Gefährliche Fracht nach Minas Tirith

Gefährliche Fracht nach Minas Tirith

 

Man schrieb das Jahr 2953 des Dritten Zeitalters von Mittelerde. Nach dem Tod des Statthalters Turgon von Gondor erbte sein Sohn Ecthelion diese Würde und wurde als Ecthelion II. der neue Statthalter von Gondor. Wie alle Statthalter seit dem treuen Mardil schwor er, Stab und Regierung bis zur Wiederkehr des Königs zu führen. So geschah es nun zum fünfundzwanzigsten Male seit 2043 König Earnur spurlos verschwand und man nur vermuten konnte, dass der kinderlose König seinem Feind zum Opfer gefallen war. Seither regierten die Statthalter des Hauses Húrin Gondor für den König. Die Tatsache, dass der Statthalter einen geringeren Rang hatte als der König, hielt die Statthalter zwar davon ab, sich auf den Thron zu setzen, jedoch nicht davon, ihre Amtseinführung entsprechend zu verkünden und zu feiern.

Die Kunde von der Amtseinführung des neuen Statthalters von Gondor erreichte auch König Dáin II. Eisenfuß, den König der Zwerge unter dem Berg. Dáin betrachtete es als eine Verpflichtung, als König eines der Freien Völker Mittelerdes dem neuen Führer eines anderen Freien Volkes seine Aufwartung zu machen und zum Amtsantritt ein wertvolles Geschenk zu machen. Dáin ließ ein kostbares Tafelgeschirr herstellen. Es bestand aus je drei Dutzend Tellern in drei verschiedenen Größen, drei Dutzend kompletten Bestecken sowie zweiundsiebzig Bechern – geschmiedet aus purem Gold. Die Teller und die Becherkelche waren zudem mit einer Einlage aus Mithril verziert, die die sieben Sterne von Gondor über dem Weißen Baum von Gondor darstellte.

Dieses unermesslich wertvolle Geschenk sollten drei seiner vertrauenswürdigsten Diener nach Minas Tirith bringen: Finli, Quilin und Wirin. Doch König Dáin war klar, dass drei Zwerge allein nicht in der Lage waren, diese Fracht sicher nach Minas Tirith zu bringen. Der Weg war weit und gefährlich. So sandte er Boten aus, die bei den benachbarten Freien Völkern um Beistand bitten sollten.

Einer der Boten von Dáin kam auch über das Nebelgebirge nach Eriador. Dort, so hatte man ihm gesagt, würde er Hilfe bei den Dúnedain des Nordens finden. Tatsächlich traf der Bote schon bald auf Aragorn, Arathorns Sohn, der ihm auch seine Hilfe zusagte und versprach, den Zwergenwagen ab der Alten Furt des Anduin mit einigen Männern zu begleiten. Ein anderer Bote wagte sich in den Düsterwald zu Thranduils Volk, in jenen Tagen ein wagemutiges Unterfangen, da Zwerge und Elben – vorsichtig ausgedrückt – nicht eben Freunde waren. Dennoch hatte auch dieser Bote Erfolg und konnte Thranduil in mühsamen Verhandlungen dazu bewegen, eine Elbeneskorte wenigstens für den Weg durch den Düsterwald zu stellen. Thranduil beauftragte seinen Sohn Legolas, die Zwerge zu begleiten. Legolas hatte keine große Neigung, den Auftrag seines Vaters durchzuführen, aber als gehorsamer Sohn widersetzte er sich dem Wunsch des Vaters nicht.

Drei Wochen, nachdem der Bote abgereist war, rumpelte ein schwer beladener Wagen über den Elbenweg in den Düsterwald. Mit finsteren Mienen übernahmen Legolas und fünf weitere Elben den Begleitschutz, hielten sich aber so weit vom Wagen entfernt, dass sie mit den Zwergen nicht unnötig sprechen mussten. Nicht nur Legolas sehnte die Alte Furt, den Übergang über den Anduin herbei, wo er die Zwergenfuhre an die Dúnedain weitergeben wollte. Weiter als bis dort wollte er freiwillig nicht reisen.

Als sie die Furt erreichten, sah Legolas zu seiner Freude, dass Aragorn selbst die Dúnedain anführte.

„Mae govannen, Aragorn Arathornion!“,[1] rief der Elb und ritt ihm entgegen. Die Freunde begrüßten sich mit herzlicher Umarmung.

„Mae govannen, Legolas Thranduilion!“,[2] erwiderte Aragorn.

„Das sind die drei Zwerge – Finli, Quilin und Wirin – die Ecthelion sein Geschenk bringen sollen. Ich vertraue sie dir und deinen Dúnedain an. Wir kehren zurück zu meinem Vater.“

Aragorn sah über seine drei Gefährten, dann über die stattliche Elbenpatrouille – immerhin sechs Mann.

„Andelu i ven“,[3] sagte er. „Und der richtig gefährliche Weg beginnt jetzt erst. Bis nach Rohan haben wir keinerlei Verstärkung zu erwarten. Zwar sind einige Dúnedain auf dem Rückweg von Rohan, aber ob wir ihnen wirklich begegnen, ist keinesfalls sicher. Erst vor vier Tagen haben wir eine Orkhorde knapp vor der Grenze des Auenlandes abfangen können. Wenn sie sich schon so weit von Mordor entfernt herumtreiben, haben sie hier irgendwo Stützpunkte – ich fürchte im Nebelgebirge. Wir könnten gute Bogenschützen aus dem Düsterwald gut gebrauchen, denn niemand hat schärfere Augen als Elben.“

Dass Elben bei Dunkelheit auch sehr viel besser sahen als Menschen, brauchte Aragorn nicht besonders zu erwähnen.

„Unsere Äxte sind scharf genug, Waldläufer!“, protestierte der Wagenlenker der Zwerge, den Legolas als Finli vorgestellt hatte. „Außerdem kommen wir an Moria vorbei, wo unser Vetter Balin uns Beistand leisten kann.“

Aragorn lächelte kühl.

„Ich würde mich auf Beistand aus Moria nicht verlassen, mein langbärtiger Freund“, erwiderte er. „Wir haben Spuren von Orks im ganzen Nebelgebirge gefunden – aber nicht von Zwergen. Außerdem dürfte Herr Balin mit seinen unterirdischen Geschäften zu gut beschäftigt sein, um im Falle eines Orkangriffs Hilfe zu leisten“, gab er zu bedenken. Der Zwerg schnaufte verächtlich. Dieser Mensch verstand von Zwergen so viel wie ein Elb vom Erzschürfen – nichts! Dennoch sagte er nichts mehr, als Aragorn sich wieder an Legolas wandte:

„Legolas, mellon nîn[4], ich bitte dich! Wir vier Dúnedain und drei Zwerge werden gegen eine wirklich wütende Orkhorde nicht viel ausrichten“, beschwor er den Elben. Legolas seufzte. Einen Appell an seine Freundschaft konnte er nicht unbeantwortet lassen. Er winkte einen seiner Elben zu sich und beauftragte ihn, mit einem zweiten zu seinem Vater zurückzukehren und ihm zu sagen, dass die Elben den Zwergentransport weiter begleiten würden – bis in die Riddermark oder notfalls bis nach Gondor.

Geschützt von vier Waldläufern, vier Elben und drei Zwergen, die sich auch beim Lenken des schweren Wagens ablösen konnten, fuhr der Zwergenwagen in südlicher Richtung, dem Anduin folgend. Nur Stunden, nachdem die Menschen die Elbeneskorte verstärkt hatten, bemerkte Eboriel, der vorausritt, in der schon fortgeschrittenen Dämmerung Orkspuren im Straßenstaub.

„Legolas! Hier sind Orks!“, warnte er. Nur Augenblicke später johlte eine wilde Horde Orks, die beinahe wie Wölfe auf allen Vieren aus dem Wald hervorbrachen. Die Elben griffen zu den Bögen und erschossen eine große Anzahl von Orks. Die Waldläufer griffen die Orks von hinten an und erschlugen mit dem Schwert, was ihnen vor die Klinge kam. Die planlos attackierenden Orks wehrten sich ebenso planlos gegen Elben, Menschen und Zwerge – erfolglos. Nach einer halben Stunde lagen die Orks tot am Boden, aber auch Eboriel und Gilrond, zwei der Elben, waren tot. Finli, Anführer der Zwerge, hatte eine tiefe Wunde im rechten Bein, wo ihn ein Orkmesser getroffen hatte. Efanir und Silar, zwei der Waldläufer, hatten Verwundungen an den Armen. Aragorn suchte eilig nach Athelas-Blättern und bemühte sich, die Wunden zu schließen.

„Ohne euch Elben hätten sie uns wohl besiegt“, erklärte Aragorn. Legolas verstand sowohl die freundliche Diplomatie als auch die schlichte Tatsache, dass nur ein paar Verteidiger weniger den Verlust aller Leben zu Folge gehabt hätte.

„Ich habe verstanden, mellon“, erwiderte der Elb.

Allein bis zur Kreuzung der Caradhras-Passstraße folgten noch drei weitere Orküberfälle innerhalb von zehn Tagen Reise. Außer Legolas und Aragorn war niemand mehr ohne Wunden. Besonders Finli brauchte einige Tage Ruhe, damit die Wunde an seinem Bein heilen konnte. Der einzige geschützte Platz in dieser Gegend war Lórien, das Elbenreich von Celeborn und Galadriel. Dennoch zögerte Aragorn, nach Lórien zu gehen. Elben und Zwerge vertrugen sich schlecht. Nur die Notgemeinschaft dieses Transportes hielt die Gegensätze im Zaum. Legolas sah den Dúnadan an und konnte dessen Zweifel im Gesicht wie in einem Buch lesen.

„Wir sollten versuchen, was du vorhast“, sagte er. Noch unschlüssig nickte Aragorn schließlich. Letztlich konnte Celeborn nichts Schlimmeres tun, als ihnen Hilfe zu verweigern – und dann mussten sie eben weiterziehen, so schlecht es den Verwundeten auch gehen mochte. Er und Legolas ritten nach Lórien hinein.

Dort, im Goldenen Wald, wich die brütende Sommerhitze als Folge des Elbenzaubers einem sanften, lauen Frühlingswind. Die Mallornbäume standen in voller Blüte und verbreiteten einen süßen, unwiderstehlichen Duft, der sämtliche Bienenvölker der Umgebung anlockte. Ein durchdringendes Summen der fleißigen Bienen erfüllte die Luft, als Celeborns Wächter Haldir sie in Empfang nahm und zu seinem König begleitete. Celeborn und seine Gemahlin Galadriel kannten Aragorn – und seine große Liebe Arwen Undómiel. Sie war ihre Enkelin.

„Sei gegrüßt, Aragorn, Arathorns Sohn. Sei auch du gegrüßt, Legolas, Thranduils Sohn. Was führt euch in den Goldenen Wald?“, erkundigte sich König Celeborn.

„Herr, wir sind mit sieben weiteren Gefährten auf dem Weg nach Minas Tirith. Seit unserem Zusammentreffen an der Alten Furt haben wir vier Orküberfälle gehabt, bei denen zwei unserer Gefährten bereits umkamen. Alle anderen außer uns sind verwundet. Wir bitten Euch um einige Tage Gastfreundschaft in Lórien, damit die Verwundeten sich erholen können“, erwiderte Aragorn mit aller Ehrerbietung und höflicher Verneigung vor dem König. Celeborn sah den Menschen lange schweigend an.

„Aragorn“, sagte er dann, „wir kennen dich lange und Legolas ist uns auch gut bekannt. Aber wer sind deine Gefährten?“

Aragorn seufzte leise. Er hatte gehofft, diese Frage nicht gestellt zu bekommen.

„Herr, es ist noch ein Elb aus dem Düsterwald, drei meiner Dúnedain – und drei Zwerge.“

Celeborn sprang auf.

„Zwerge?!“, stieß er hervor. „Aragorn! Zwerge haben in Lórien nichts verloren!“

„Ich habe Eure Reaktion befürchtet, Herr. Bitte, vergesst, dass wir hier gewesen sind. Wir werden weiterziehen“, erwiderte Aragorn und wandte sich zum Gehen.

„Moment“, hielt Celeborn ihn zurück. „Du sagst, du hast meine Reaktion befürchtet, Aragorn. Warum hast du dann gefragt?“

„Weil ich gehofft habe, dass Ihr großmütig genug wärt, Verwundeten den Schutz Eures Volkes nicht schon deshalb zu versagen, weil sie nicht Elben oder Dúnedain sind“, versetzte Aragorn. „Vergebt mir, dass ich mich im Irrtum befand. Wir wollen Euch nicht länger belästigen.“

Galadriel stand von ihrem Thron auf und trat zu Aragorn.

„Dein Ton und deine Wortwahl sind höflich, deine Worte zwischen den Worten hart“, bemerkte sie. „Aus dir spricht königlicher Stolz, Arathorns Sohn.“

„Dann bitte ich abermals um Vergebung, Herrin. Die Sorge um meine verwundeten Gefährten ließ mich unbedachte Worte wählen. Es tut mir Leid“, erwiderte der Dúnadan mit gesenktem Kopf. Galadriel lächelte, streckte ihre Hand aus und hob sein Kinn an, bis sie ihm in die Augen sehen konnte.

„Ich sehe, dass du die Wahrheit sagst. Seid ihr bereit, für eure Gefährten zu bürgen? Aragorn? Legolas?“, fragte sie. Aragorn nickte, Legolas zögerte einen Moment, doch dann nickte auch er. Galadriel sah ihren Gatten an.

„Nun gut, da auch ein Elb für die Zwerge bürgt, sei es. Ihr dürft Lórien betreten. Haldir wird euch zu einem Platz bringen, an dem eure Freunde sich in Sicherheit erholen können.“

„Ich danke Euch, Herr“, verbeugte sich Aragorn. Legolas verneigte sich schweigend.

„Folgt mir“, forderte Haldir die beiden Männer auf, die ihm vom königlichen Flett, der Wohnplattform in einem der gewaltigen Mallornbäume, herunter folgten.

Haldir und einige Elbenwächter geleiteten die Eskorte und den Wagen zu einer Lichtung am östlichen Rand von Lórien, wohin zwar noch der Elbenzauber reichte, der den Wald vor Feinden und unwillkommenen Wettereinflüssen schützte, wo aber eine Begegnung zwischen Elben und Zwergen praktisch unmöglich war. Aragorn hatte genügend Zeit und Muße, sich um die Wunden seiner Begleiter zu kümmern, ohne dass er ständig auf der Hut vor Angriffen sein musste. Die Elbenwächter stellten bald fest, dass die Zwerge, die den schweren Wagen führten, den Weisungen Aragorns folgten und den ihnen zugewiesenen Lagerplatz nicht verließen.

Nach einigen Tagen ließ Celeborn den Dúnadan zu sich rufen.

„Ich möchte dich um Entschuldigung bitten, Aragorn“, sagte er, die Gemeinsprache benutzend. „Ich hätte wissen müssen, dass du dich nicht mit Gefährten umgibst, die nicht deinen Vorstellungen vom Verhalten gegenüber anderen Völkern in Mittelerde entsprechen.“

Aragorn verbeugte sich höflich.

„Ú-moe edaved, Celeborn, aran o lórien“,[5] erwiderte er in der schönen Sprache der Elben, die er mit derselben Selbstverständlichkeit gebrauchte wie die der Menschen. Celeborn lächelte. Er mochte diesen Menschen, der sich größte Mühe gab, jedem die ihm gebührende Höflichkeit zu erweisen und Angehörige jedes freien Volkes in Mittelerde zu respektieren – was sich auch darin ausdrückte, dass der sprachbegabte Aragorn sich mühte, sämtliche Sprachen zu lernen, die zwischen Forodwaith im kalten Norden und Umbar im heißen Süden gesprochen wurden.

„Wie geht es deinen Gefährten?“, erkundigte sich der Herr des Waldes.

„Sie sind auf dem Wege der Besserung, Herr. Bald werden wir wieder aufbrechen können.“

„Wohin wollt ihr?“

„Nach Minas Tirith, nach Gondor.“

„Was wollt ihr dort?“

„Der König vom Einsamen Berg, Dáin II. Eisenfuß, sendet dem Statthalter von Gondor zwergische Erzeugnisse von einigem Wert. Finli, der Anführer unserer Zwergengefährten, ist im Auftrag des Königs unter dem Berg mit der wertvollen Fracht unterwegs. Er hat mich und Legolas um Beistand gebeten, denn der Weg ist lang und sehr gefährlich“, erwiderte Aragorn.

„In der Tat. Die Orks werden immer zahlreicher und frecher“, stellte Celeborn fest. „Ihr solltet den Weg auf dem Anduin fortsetzen“, schlug er dann vor. „Boote würden wir euch leihen, wenn ihr sie auf dem Rückweg wieder herbringt.“

„Auf dem Fluss können wir wohl bis Osgiliath fahren, wenn wir den Rauros-Fall umgehen können, aber von Osgiliath – oder dem, was einmal Osgiliath war – sind es noch gut achtzehn Meilen bis nach Minas Tirith auf der Straße. Wir bräuchten dort wieder den Wagen, denn die Ladung ist zu schwer, um sie auf dem Rücken zu tragen“, gab Aragorn zu bedenken. Celeborn nickte.

„Sende zwei deiner Begleiter nach Minas Tirith mit Pferden voraus. Ohne den Wagen werden sie sehr viel schneller sein als ihr und können den Orks bis nach Rohan entkommen. Dort haben sie zurzeit wohl keine Orks zu fürchten, denke ich. Sie können in Minas Tirith einen Wagen beschaffen und euch an der Brücke von Osgiliath erwarten“, empfahl Celeborn.

„Ich danke für deine Empfehlung und werde sie gern an meine Gefährten weitergeben“, erwiderte Aragorn mit einem freundlichen Lächeln. Galadriel kam hinzu.

„Ah, du bist noch hier“, bemerkte sie. „Aragorn, hier ist jemand, den du gut kennst. Du solltest dir noch die Zeit nehmen, sie zu besuchen.“

Mit allem mochte der junge Fürst der Dúnedain gerechnet haben, aber nicht damit, in Lórien Arwen zu treffen, die er in Bruchtal vermutete. Er zitterte leicht, war unsicher, was er tun sollte. Wenn er jetzt mit Arwen zusammentraf, bestand die Gefahr, dass er alles andere vergaß und die Zwerge Zwerge sein ließ. Sich aber wieder von Arwen zu trennen, die er schon zwei Jahre nicht gesehen hatte, wäre eine harte Strafe. Doch noch während Aragorn mit sich rang, ob er dem verlockenden Angebot nachkommen sollte, war Arwen Undómiel schon auf dem königlichen Flett im Mallornbaum.

Celeborn und Galadriel zogen sich diskret zurück und ließen die Verliebten allein.

„Was ist mit dir? Du wirkst verwirrt, Aragorn“, flüsterte Arwen vertraulich und überließ sich der ersehnten Umarmung des geliebten Menschen.

„Komm“, sagte er leise und stieg vom Flett. Eine Weile gingen sie schweigend durch den Wald, bis sie zum Cerin Amroth kamen, einem grünen Hügel, der das ehemalige Haus des Elbenkönigs Amroth deckte und mit Elanor und Nephredil, goldenen und silbernen Blumen, übersät war. Dort, unbeobachtet von allen, wagte Aragorn es, Arwen zu küssen. Der Kuss drückte ihre ganze Sehnsucht nacheinander aus, beinhaltete all die Zärtlichkeit, die sie sich in den letzten zwei Jahren nicht hatten geben können.

„Arwen, vanimelda, gen milin“,[6] seufzte Aragorn leise, als sie sich endlich aus dem langen, genussvollen Kuss lösten. Er strich ihr sanft durch das lange, dunkle Haar und umarmte sie wieder. Arwen lehnte sich an ihn, erwiderte seine Umarmung und erlaubte sich, die seine einfach zu genießen.

„Ich weiß im Moment nicht, woran ich bin“, setzte er dann leise hinzu. Ein seltsamer Klang in seiner sonst sanften Stimme ließ Arwen aufsehen. Zweifel standen deutlich sichtbar in seinem Gesicht.

„Was meinst du?“

„Du bist hier in Lórien, wo ich dich nicht erwartet habe. Deine Großeltern lassen uns allein. Dein Vater hält mich für leichtsinnig und verführbar. Ist das eine Prüfung für mich, ob ich widerstehen kann?“, fragte er. Arwen sah ihn erschrocken an. Aragorn war misstrauisch geworden, wie sie entsetzt feststellte. Elben waren im Grundsatz gute Wesen; Falschheit war wohl von Elben am wenigsten zu erwarten. Sie spürte, dass Aragorn von der Ablehnung seiner Werbung durch ihren Vater innerlich schwer verletzt war. Offenbar so schwer, dass er seinem plötzlichen Glück nicht trauen mochte.

„Aragorn, wir haben Zeit. Eines Tages wird mein Vater einsehen, dass ich mich entschieden habe und wird es billigen.“

„Nun, muin nîn[7], du hast sicher alle Zeit dieser Welt. Jedenfalls, solange du der Unsterblichkeit deines Volkes nicht entsagst. Ich bin ein sterblicher Mensch, auch wenn wir Dúnedain ein viel längeres Leben haben als andere Menschen. Und wenn dein Vater entschlossen ist, uns seinen Segen nicht zu geben, werde ich kaum darauf warten können, dass er eines Tages die Augen für immer schließt. Denn wenn er sich entscheidet, zu den Grauen Anfurten zu gehen, um nach Valinor zu segeln, dann wird er dich mitnehmen“, erwiderte Aragorn ernst. Arwen senkte den Kopf, der Schwere seiner Last begreifend. Der sanfte Kuss, den sie auf der Stirn spürte, überzeugte sie noch mehr, dass es einen Mann wie Aragorn – sei es unter Elben oder Menschen – kein zweites Mal gab.

„Ich habe auch meinen Kopf …“, widersprach sie und sah wieder auf. Er lächelte, aber er schüttelte den Kopf.

„Nein, es wird nicht ohne Zustimmung deines Vaters gehen, Frau Undómiel“, entgegnete der Dúnadan. „Bei Elben und Menschen herrschen in dieser Hinsicht die gleichen Gesetze. Ich weiß nur nicht, welchen Preis er verlangen wird, damit ich deine Hand bekomme. Im Moment ist er einfach nur dagegen – und zwar völlig.“

„Er wird dich brauchen, Aragorn; dich und deine Dúnedain. Das Böse wächst wieder in Mordor. Zu viele Elben haben Mittelerde schon den Rücken gekehrt. Um Sauron zu besiegen, werden die Elbenfürsten die Menschen brauchen“, prophezeite Arwen. Ein melancholischer Schatten legte sich über Aragorns scharfgeschnittene Züge.

„Dein Vater hält nicht viel von uns Menschen“, entgegnete er. „Wir sind leichtsinnig, verführbar, schwach, fehlerbehaftet. Es war ein Mensch, der die Möglichkeit hatte, dem Bösen in Mittelerde ein für allemal den Garaus zu machen – Isildur, mein Ahnherr. Er hat es nicht getan – und so kann Sauron sich nach fast dreitausend Jahren wieder soweit erholen, dass seine Macht wieder ausreicht, um Mittelerde in Gefahr zu bringen. Nein, einem Menschen würde dein Vater nicht noch einmal in so maßgeblichen Dingen vertrauen. Außerdem sind wir Dúnedain einfach zu wenige, um eine wirkliche Verstärkung für ein Elbenheer zu sein.“

„Tauchte der Eine Ring wieder auf – was würdest du damit tun?“, fragte Arwen.

„Es wäre meine Pflicht, den Fehler meines Ahnen zu bereinigen, soweit das möglich ist – also das Ding zerstören. Doch ob ich die Kraft dazu hätte, weiß ich nicht. Ich habe nicht einmal die Kraft, dir zu widerstehen, liebste Arwen. Wie sollte ich einem magischen Ring widerstehen, dessen Verführungskraft selbst mein größter Ahnherr erlegen ist?“

„Doch“, sagte sie leise, „du hättest diese Kraft.“ Es klang völlig überzeugt. Aragorn strich ihr sanft durchs Haar und lächelte liebevoll.

„Danke für dein Vertrauen. Mögen die Valar mir helfen, dass ich es nie enttäusche“, sagte er leise und küsste sie wieder.

Einige Zeit später hatte er sich mit viel Mühe seiner Pflicht entsonnen, den Zwergentransport nach Minas Tirith zu begleiten und war zum Lagerplatz seiner Gefährten zurückgekehrt. Legolas bemerkte den Schatten, der das Gesicht seines menschlichen Freundes verdunkelte.

„Celeborn empfiehlt uns, den Weg auf dem Wasser fortzusetzen. Die Elben würden uns Boote leihen, mit denen wir bis nach Osgiliath fahren können“, sagte Aragorn.

„Schön und gut, aber Osgiliath ist nicht Minas Tirith – und da soll die Ladung hin. Wie sollen wir die Fracht vom Anduin in die Stadt bringen? Das sind über achtzehn Meilen, Herr Waldläufer!“, knurrte Finli.

„Ich weiß, Herr Zwerg“, versetzte Aragorn. „Zwei von uns werden mit Pferden vorausreiten und in Minas Tirith oder in der Umgebung ein Transportmittel besorgen. Sie werden schneller sein als wir auf dem Fluss und rechtzeitig für uns bereitstehen.“

„So sie an den Orks vorbeikommen“, warf Legolas ein. „Und da ist noch etwas: Der Weg über den Anduin führt an den Stromschnellen von Sarn Gebir vorbei und an den Argonath. Die abwehrende Haltung dieser Steinkolosse sagt doch alles, mein Freund. Der ihnen folgende See Nen Hithoel und der dahinter liegende Rauros-Fall sind auch nicht ohne große Gefahr“, warnte der Elb.

„Die Stromschnellen können wir auf dem Weg westlich davon umgehen, wenn die Boote auch sehr schwer sein werden, den Rauros-Fall auf den speziell dafür angelegten Treppen. Die Argonath? Sie sind meine Vorfahren. Was sollten ausgerechnet meine Vorfahren gegen eine Reise haben, die ich an ihnen vorbei unternehme?“, erwiderte der Dúnadan.

„Dich werden sie wohl passieren lassen, vielleicht auch deine Dúnedain. Aber wir anderen …?“, zweifelte Legolas. Aragorn schüttelte den Kopf.

„Ihr seid meine Begleiter, meine Freunde. Finli ist mit seinen Zwergen zu dem geschickt, der den König in Gondor vertritt. Die Männer, die als Argonath Nen Hithoel bewachen, waren die Könige von Arnor und Gondor. Sie haben nie über Zwerge und Elben geboten, aber sie waren deren Freunde und Verbündete. Warum sollten sie etwas gegen solche Begleiter haben?“

Legolas erwiderte nichts mehr, als alle anderen sich mit dieser Variante einverstanden erklärten.

„Efanir“, wandte Aragorn sich an einen der Dúnedain, „reite du mit Silar nach Minas Tirith und beschafft einen Wagen wie diesen, damit wir die Fracht von Osgiliath zum Palast des Statthalters bringen können.“

Efanir nickte.

„Soll ich ihm auch gleich sagen, dass der neue König auf dem Weg zu ihm ist?“, erkundigte sich der Dúnadan. Aragorn schüttelte den Kopf.

„Nein, sag’ ihm nichts von Arathorns Sohn. Bevor ich meine Rechte geltend mache, sollte ich noch einiges lernen, mein Freund.“

„Schade“, brummte Efanir. „Es wird Zeit, dass Arnor und Gondor wieder einen gemeinsamen König haben. Du bist der Erbe dieses Anspruchs!“, erinnerte er Aragorn.

„Ich weiß. Aber ich halte meine Zeit noch nicht für gekommen, Efanir“, widersprach der junge Fürst.

Celeborns Vorschlag entsprechend wurde der Wagen entladen und die Fracht auf vier Boote verteilt, die von je einem Elben oder Menschen gesteuert wurden. Zehn Tage folgten sie dem Lauf des Anduin, ließen sich von der Strömung des großen Flusses tragen. Zunächst war das Gelände neben dem Fluss flach; dann, am vierten Tag erreichten sie südlich der Einmündung des Limklar die Hügellandschaft nördlich der Emyn Muil, deren westlich vom Anduin gelegener Teil Ödlande genannt wurde, während der östlich davon befindliche Anteil die Braunen Lande waren. Hier lebten weder Menschen noch Elben noch böse Unwesen. Diese Gegend war einfach nur verlassen und öd. Von nun an war das Ufer steil und bot nur noch schmale Streifen, auf denen eine Lagermöglichkeit bestand. Weitere vier Tage später waren sie an den Sarn Gebir, den gewaltigen Stromschnellen, die mit den Booten nicht passierbar waren. Es war eine mühevolle Anstrengung, die schweren Boote über den Uferweg um die Stromschnellen herum zu tragen. Menschen, Zwerge und Elben brachten es nur noch knapp fertig, den Lagerplatz herzurichten, dann schliefen sie völlig erschöpft ein, obwohl es noch heller Tag war.

Aragorn fuhr erschrocken auf, als ein Blitz den nächtlichen Himmel durchzuckte und der Donner eines Gewitters in der Ferne grollte. Noch schienen über ihnen die Sterne, aber weiter im Osten waren Wolken, doch schienen sie nichts mit dem eigentlichen Wetter zu tun zu haben. Die Blitze, die daraus zuckten, waren rot bis orange, nicht weiß. Im Sternenlicht bemerkte Aragorn, dass Legolas ebenfalls wach war.

„Seltsames Gewitter, was da im Osten tobt“, sagte der Dúnadan. Der Elb nickte. „Bist du schon lange wach? Du siehst nicht aus, als wärst du auch eben erst aufgeschreckt worden“, erkundigte sich der Mensch.

„Nein, ich schlafe ohnehin nicht so wie ihr Menschen“, erwiderte Legolas. „Dich bedrückt etwas, mellon nîn“, sagte er dann.

„Woran bemerkst du das?“, fragte Aragorn erschrocken.

„Du hast sehr unruhig geschlafen – und du hast im Schlaf gesprochen.“

Aragorn stocherte das Feuer auf und legte neue Äste nach, damit es nicht ausging. Es war die normale Reaktion eines Mannes, der nur selten Gesellschaft hatte und sich in der Regel auf fremde Hilfe nicht verlassen konnte.

„Was habe ich dir erzählt?“, fragte er dann und sah den Elben an.

„Du hast von Arwen Undómiel gesprochen; davon, dass du sie liebst, aber nicht von ihr verlangen willst, ihre Unsterblichkeit aufzugeben“, erklärte der. Aragorn spürte, dass er rot wurde und hoffte, dass sein elbischer Freund dies den auflodernden Flammen des Feuers zuschreiben würde.

„Sag mir, was du davon hältst“, bat Aragorn. Legolas sah eine Weile ins Feuer.

„Du hast ein hohes Ziel, mellon. Arwen ist nicht irgendeine Elbenfrau; sie ist die Tochter eines bedeutenden Elbenfürsten. Elrond wird sein Schmuckstück nicht ohne weiteres hergeben. Und die Entscheidung, zu der sie gezwungen ist, ist schrecklich.“

„Ich weiß. Und genau das zerreißt mich fast“, erwiderte Aragorn mit einem tiefen Seufzen. Verzweiflung stand ihm im Gesicht. „Legolas, ich liebe sie so sehr, dass ich mir wünschen würde, sie würde meine Liebe nicht erwidern und eines Tages mit ihrem Vater in die Unsterblichen Lande fahren.“

„Aber ein Leben ohne sie kannst du auch nicht ertragen, oder verstehe ich dich falsch?“

„Nein, du verstehst es vollkommen richtig. Ich mag nicht leben ohne sie, aber ich kann ihr nicht zumuten, für einen Sterblichen wie mich das Geschenk eurer Unsterblichkeit aufzugeben.“

„Ich verstehe, dass dich das quält. Überlass‘ Arwen die Entscheidung. Es ist ihr Leben und ihre Unsterblichkeit. Wenn sie dich so sehr liebt, dass sie bereit ist, ein sterbliches Leben zu wählen, solltest du dieses Geschenk nicht zurückweisen“, erwiderte Legolas. Aragorn nickte abwesend. Der Weisheit seines elbischen Freundes hatte er nichts mehr hinzuzufügen. Er spürte Legolas‘ Hand auf der Schulter und sah ihn wieder an.

„Du solltest versuchen, noch etwas zu schlafen. Ich werde Wache halten“, sagte der Elb.

„Und deine Ruhe?“

Legolas lächelte leicht.

„Mach‘ dir darum keine Gedanken. Ich brauche nicht viel Schlaf.“

Aragorn nickte.

Hannon le“,[8] sagte er, legte sich wieder hin und war bald wieder eingeschlafen.

Am Tag darauf passierten sie die gewaltigen Steinkolosse der Argonath. Die vor Jahrhunderten aus dem Stein gehauenen Skulpturen standen am Ende der immer schmaler werdenden Schlucht und waren nicht kleiner als die in unglaubliche Höhen aufragenden Seitenwände der tief in das Gestein gegrabenen Schlucht. Auf weitere Entfernung sah es fast so aus, als wäre zwischen den beiden Steinfiguren kein Platz mehr zum hindurch fahren. Erst, als die Boote näher kamen, wurde der Spalt zwischen den Füßen der Könige deutlich. Die rechte Uferseite bewachte Isildur, auf der linken erhob sein Bruder Anárion ebenfalls abwehrend die linke Hand, während die rechte den Griff des nach unten gerichteten Schwertes und einer Axt umklammert hielt. Während Elben und Zwerge, selbst Galrond, der zweite Dúnadan, sorgenvoll zu den drohenden Steinkolossen hinaufsahen, spürte Aragorn keinerlei Gefahr – sah man von dem immer schneller strömenden Fluss ab, der durch die schmale Schlucht jetzt reißend geworden war. Aragorn war, als winkten ihm seine Vorfahren. Sein Boot passierte als erstes die Argonath – dahinter präsentierte sich ein weiter, ruhiger See, über dem stets leichte Dunstschleier lagen. Diese Tatsache hatte dem See den Namen Nen Hithoel gegeben, das neblige Wasser. Frei und ungestört paddelten sie auf dem See zum südlichen Rand. Genau südlich der Argonath ragte eine Spitze aus dem Wasser, die vom Seewasser umschäumt wurde, der Tol Brandir, die Zinneninsel. Die Felsinsel lag genau in der Mitte des den See verlassenden Stroms, der beidseits der Insel auf den Rauros-Fall zu schäumte und mit Booten nicht passierbar war. Über hundert Fuß stürzte das Wasser über den gewaltigen Fall bis zum Fuß des Absatzes, um danach wieder friedlich durch die Ebenen von Anórien und des Fennfeldes zu fließen. Es war bereits über Mittag hinaus. Aragorn bedeutete seinen Gefährten, das Ufer auf der rechten Seite neben dem Tol Brandir anzusteuern und unterhalb des Amon Hen, dem Berg des Auges, zu landen. Die letzten Meilen auf dem immer reißender werdenden Fluss hatte ihnen allen viel Kraft abgefordert – zu viel, um jetzt noch die Boote die langen Treppen zum Fuß des Falls hinunter zu tragen.

„Wir lagern heute Nacht hier!“, entschied Aragorn. Alle nickten nur beifällig. Bis sie die Boote ans Ufer gezogen hatten, das Lager eingerichtet und ein Feuer entzündet war, war es schon fast dunkel, obwohl die längsten Tage noch nicht lange vergangen waren.

„Es ist Saurons Dunkelheit, die sich über dieses Land legt“, murmelte Legolas mit ungutem Gefühl. „Er wird immer stärker.“

„Der soll nur kommen!“, knurrte Quilin, nach Finli der zweite Zwerg und Wagenlenker, der nun auf der Bootsreise nur noch seine Ladung zu bewachen hatte.

„Dennoch – ich glaube, es wäre gefährlich, auf unseren Lagerplatz hinzuweisen“, entgegnete Legolas.

„Es ist warm heute Nacht. Wir löschen das Feuer, sofern wir das Essen fertig haben“, erwiderte Aragorn, der ein ähnlich ungutes Gefühl hatte.

Einige Stunden später beleuchtete nur noch das Sternenlicht den See und seine Ufer. Außer dem schäumenden Wasser am Tol Brandir und am Rauros-Fall, der einige hundert Klafter weiter südlich über die Felskante stürzte, war kein Laut zu hören. Für die Waldelben Legolas und Emandir war diese Stille ebenso verdächtig wie für die Waldläufer Aragorn und Galrond. Die beiden Elben schliefen ohnehin nicht wirklich, sondern meditierten offenen Auges im Sternenlicht. Sie hatten aber die Fähigkeit, ein Ohr stets der Umgebung zu widmen. Die beiden Menschen schliefen dafür nur mit einem Auge.

Die Orkbande, die durch das Unterholz am Amon Hen trampelte, hätte aber selbst Tote geweckt. Der inzwischen über den Bergen im Osten aufgegangene, strahlende Vollmond hob die buckligen, bulligen Umrisse der Orks deutlich vom Wald ab. Elben, Zwerge und Menschen waren sofort auf den Beinen.

„Oben auf dem Amon Hen gibt es einen Turm. Hier unten haben wir schlechte Chancen“, empfahl Emandir.

„Und was ist mit unserer Fracht?“, ereiferte sich Finli. Der Elb wollte entgegnen, dass es ums Leben ging, aber Aragorn hielt ihn zurück.

Havo dad, mellon“, sagte er leise in der Sprache der Waldelben. Wörtlich übersetzt bedeutete das: Setz dich, Freund. Im übertragenen Sinne hieß es: Lass‘ es gut sein, Freund. Emandir verstand.

„Er hat Recht. Wir können nicht alle mitsamt der Fracht nach oben“, erklärte Aragorn dem Zwerg. „Emandir, nimm dir Galrond mit und geht auf den Turm. Macht ein Feuer, das weit leuchtet. Deckt es nach Nordwesten in regelmäßigen Abständen ab. Mit etwas Glück sind Dúnedain in der Nähe auf dem Weg nach Norden. Die sollten das Signal sehen.“

Galrond und Emandir entkamen gerade noch rechtzeitig Richtung Bergspitze, bevor die laut stampfende Orkhorde den Lagerplatz an der Seewiese erreicht hatte. Emandir wies dem Dúnadan einen nur den Elben bekannten Weg zum Turm auf dem Amon Hen. Die anderen fünf Gefährten lieferten sich mit den mehrfach überlegenen Orks ein wütendes Gefecht am Parth Galen. Die Zwerge schwangen ihre rasiermesserscharfen Äxte, die den Orks die Köpfe oder mindestens Gliedmaßen abhieben, Aragorn nutzte sowohl die Reichweite seines langen Zweihandschwertes wie auch zur Not die freie Linke und die Füße, um sich die wilden Orks vom Leib zu halten. Legolas benutzte seinen Bogen mit tödlicher Präzision, bis die Orks so nahe heran waren, dass er nicht mehr schießen konnte, ohne seine Begleiter zu gefährden. Fortan wehrte er sich mit zwei scharfen Elbenschwertern und seiner unglaublichen, raubkatzenartigen Behändigkeit. Doch für jeden erschlagenen Ork schienen zwei neue schier aus dem Boden zu wachsen.

Oben auf dem Amon Hen wurde es plötzlich hell, als Galrond und Emandir das Signalfeuer zündeten. Die Orks, die Helligkeit jeder Art mieden, waren erschrocken und hielten einen Moment inne – was zur Folge hatte, dass etwa zehn von ihnen ohne Gegenwehr erschlagen wurden. Doch dann hatten sie sich gefangen und führten mit nun größerer Wut den Kampf fort, wohl ahnend, dass das Feuer ein Signal für andere Menschen, Zwerge oder Elben sein sollte. Finli und Wirin fielen den Orks schließlich doch zum Opfer, Aragorn, Legolas und Quilin gerieten in immer größere Bedrängnis.

Der Kampflärm drang bis auf den Amon Hen. Galrond gab die Zeichen, die andere Dúnedain sehen konnten und erkennen mussten – so welche in der Nähe waren. Er und Emandir wurden ob des heftigen Lärms von unten immer nervöser, Minuten gerannen ihnen zu Stunden, bis drei weitere Feuer zeigten, dass ihr Signal gesehen worden war. Galrond signalisierte ihren Standort, dann liefen er und Emandir wieder zur Wiese Parth Galen hinunter, um ihren Freunden zu helfen. Sie attackierten die Orks von hinten.

„Aragorn! Sie kommen!“, rief Galrond. Ihm und Emandir gelang es, sich zum Ufer durchzuschlagen. Die Orks hatten inzwischen zwar zwei der Zwerge getötet, aber selbst auch etwa vierzig Mann verloren. Sie zogen sich zunächst zurück. Ihr Anführer trieb sie wieder nach vorn.

„Los, ihr Schlappschwänze! Macht sie endlich fertig!“, fauchte er.

Die kurze Pause gab den erschöpften Kämpfern am Ufer wieder etwas Luft. Legolas und Emandir suchten eilig Pfeile zusammen. Aragorns Blick fiel auf die Boote.

„Quilin, Galrond, macht die Boote fertig. Wir müssen hier verschwinden!“, kommandierte er. Der Dúnadan und der Zwerg beeilten sich, die Boote zu Wasser zu bringen. Die Orks kamen ohne Rücksicht auf weitere Verluste wieder näher, die ihnen Aragorn, Emandir und Legolas mit Bogen beibrachten. Schließlich rangen die drei Verteidiger wieder mit Fechtwaffen gegen die Orks, die ihnen nur selten standhalten konnten.

„Fertig!“, meldete Quilin. Die beiden Elben und der Mensch zogen sich zurück und sprangen in die Boote. Eilig paddelten sie vom Ufer weg, bis sie außerhalb der Reichweite der Orkbogen waren. Dort erst stoppten sie.

Mitten auf dem See wischte sich der erschöpfte Aragorn über das Gesicht.

„Beim Barte Elendils! Und ich soll König werden? Die Valar seien meinem Volk gnädig!“

Legolas steuerte sein Boot zu Aragorns.

„Was wirfst du dir vor, Aragorn?“

„Dass ich nicht gleich auf die Idee gekommen bin, aufs Wasser zu verschwinden. Nicht nur, dass Finli und Wirin noch leben könnten, nein, wir können nicht einmal weg, ohne die Dúnedain zu gefährden, die unser Signal gesehen haben und herkommen. Sie würden den Orks genau in die Arme laufen. Ich bin so ein Dummkopf!“, schalt er sich.

„Dann ist jeder von uns ein Dummkopf, mellon nîn. Jeder hätte auf die Idee kommen können, auf den See zu fliehen. Keiner ist auf diese Idee gekommen, aber dir ist es eingefallen“, erwiderte Galrond, der ebenfalls zu Aragorn hingefahren war.

„Ja, nur ein bisschen spät, finde ich“, beharrte Aragorn.

„Du bist hart zu dir“, bemerkte Legolas.

„Wenn ich jemals mein Erbe antreten soll, sollten mir solche Fehler wie heute besser nicht häufiger passieren“, erwiderte Aragorn und paddelte vorsichtig davon, immer auf der Hut vor der Strömung, die zum Rauros-Fall führte. Galrond wollte ihm folgen, aber Legolas hielt ihn zurück.

„Nein“, sagte er, „lass‘ ihn. Wir sind alle müde.“

„Dann sollten wir besser zusammenbleiben, Legolas. Der Fall ist sehr nahe. Er könnte in die Strömung geraten“, erinnerte Galrond.

Am Ufer wurde es laut, als die zur Verstärkung gerufenen Dúnedain eintrafen und die Orks sie sogleich angriffen.

„Wir dürfen sie nicht allein lassen!“, rief Aragorn. „Boote zu Quilin!“, befahl er und steuerte auch sofort auf den Zwerg zu. Der helle Vollmond half ihnen, den Zwerg mit seinem Boot auf dem weiten See zu finden. Quilin nahm mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck den Tampen von Aragorns Boot entgegen, der Dúnadan zog sein Schwert, sprang ins Wasser und schwamm zum Ufer. Legolas tat es ihm nach, ließ aber seine Schwerter in den Scheiden, um sich nicht unnötig zu behindern. Auch Emandir und Galrond folgten ihm.

Die überraschten Orks bekamen nun von zwei Seiten Hiebe: Von den Dúnedain aus dem Wald und von der Frachteskorte vom See her. Obendrein dämmerte der Morgen herauf. Mit recht unmelodischen Hornrufen wurden die verbliebenen Orks zurückgerufen und verschwanden schließlich im Dunkel des Waldes.

Die aufgehende Sonne fand eine müde, aber dennoch glückliche Versammlung von Dúnedain des Nordens, zweier Elben und eines Zwergs, der sich trotz der Größenunterschiede nicht fehl am Platze vorkam.

„Liberid, ich danke dir und deinen Freunden. Ihr seid gerade rechtzeitig gekommen“, dankte Aragorn den Männern, die ihnen zu Hilfe gekommen waren.

„Hätten wir gewusst, dass du es bist, Aragorn, wären noch ein paar mehr mitgekommen. Ihr seht mitgenommen aus“, bemerkte Liberid.

„Wir sind zu elft an der Alten Furt aufgebrochen. Fünf Orküberfälle haben vier von uns das Leben gekostet. Zwei Wochen haben wir schon im Goldenen Wald verbracht, damit sich unsere Verwundeten erholen konnten“, erwiderte Aragorn. „Und jeder war mir einer zu viel“, setzte er hinzu.

„Wohin führt euer Weg?“

„Nach Minas Tirith. Der Statthalter von Gondor erwartet zwergische Erzeugnisse von einigem Wert“, erwiderte Aragorn.

„Wirst du gleich dort bleiben und ihm sagen, wer du bist?“, fragte Liberid. Aragorn schüttelte schweigend den Kopf. Liberid nickte nur.

„Wir sind zu zehnt und haben keine besonderen Pläne, nachdem in Rohan nichts los war. Sollen wir euch begleiten?“

Aragorn sah sich um.

„Wir haben nur vier Boote. Efanir und Silar sind nach Minas Tirith unterwegs, um einen Wagen zu besorgen, damit wir die Ladung von Osgiliath nach Minas Tirith bringen können.“

„Efanir und Silar?“, fragte Liberid nach. Aragorn nickte.

„Dann werdet ihr in Osgiliath lange warten, mein Freund. Wir haben sie gefunden – und leider begraben müssen.“

Aragorn wurde bleich.

„Elbereth Gilthoniel! Wo?“

„Nicht einmal weit von hier. Südöstlich der Stelle, an der die Entwasser ihr Delta bildet, in dem Dreieck, das die Rohirrim die Fennmark nennen.“

„Also gibt sogar in Rohan schon Orks!“, konstatierte Aragorn.

„Nein, es waren keine Orkpfeile. Es waren überhaupt keine Feinde dabei. Efanir und Silar können nicht im Nahkampf gefallen sein. Sonst hätten sie doch bestimmt welche von der Bande mitgenommen. Nein, ich habe keine Ahnung, wer ihnen die Wunden beigebracht hat, die zum Tode führten. Ehrlich gesagt hat mich gewundert, dass sie überhaupt an den kleinen Stichverletzungen gestorben sind. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wer immer das war. hatte es wohl auf die Pferde abgesehen, denn die waren nicht mehr da. Und beide kenne ich nur wie die Rohirrim zu Pferd“, erklärte Liberid.

„Sehr rätselhaft. Jetzt müssen wir erst einmal zusehen, wie wir die Fracht von Osgiliath nach Minas Tirith bekommen. Ich möchte ungern nochmals das Leben von jemandem aufs Spiel setzten“, seufzte Aragorn.

„Komm, wir sind jetzt zu sechst“, wehrte Liberid ab. „Thorn, Beregil, Simar und Adanion fahren mit euch, wir reiten nach Minas Tirith und bereiten alles für eure Ankunft vor.“

Vier der Dúnedain fuhren also mit den Booten mit, die anderen sechs machten sich zu Pferd auf nach Minas Tirith. Hinter dem Rauros-Fall floss der Anduin vorbei an den Mündungen der Entwasser durch eine weite, ebene Landschaft. Von fern sahen die Bootsbesatzungen die sanften Hügel Nord-Ithiliens auf der östlichen Seite des Anduin. Dahinter stieg schroff die Ephel Dúath auf, das Schattengebirge, hinter dem Mordor lag. Auf der anderen Seite des Anduin erhob sich das Weiße Gebirge, die Ered Nimrais; ihr östlichster Berg war der Mindolluin, an dessen östliche Flanke sich Minas Tirith schmiegte. Von dort zog sich das Gebirge in einem leichten Bogen nach Nordwesten über einen kleinen Vorsprung bei Edoras, der Hauptstadt Rohans. Zwischen Edoras und dem Starkhorn, dem höchsten Berg des Gebirgszuges, bog ein Ausläufer des Gebirges noch weiter nach Norden bis zur Pforte von Rohan, wo die große Festung Helms Klamm lag, die letzte Zuflucht der Rohirrim in Notzeiten. Westlich dieses Ausläufers verlief der Gebirgskamm dann in einem weiten Bogen nach Südwesten bis fast an das Kap Andras, dem nordwestlichen Ende der Bucht von Belfalas. Von diesem großen Gebirge sahen die Reisenden allerdings nur bis zum nördlichen Ausläufer, in dem sich Helms Klamm verbarg. Die Pforte von Rohan, die die Ered Nimrais vom Nebelgebirge trennte und den Übergang in die westlichen Lande ermöglichte, war für die Reisenden nur zu ahnen.

Sechs Tage später erreichten sie Osgiliath, wo Liberid und seine Dúnedain schon mit dem Wagen warteten. Rasch war die Fracht umgeladen und auf dem Weg nach Minas Tirith.

Ecthelion empfing den Zwergengesandten und seine Begleiter höflich, aber kühl. Er saß auf dem Sitz der Truchsesse in der Turmhalle des Weißen Turms von Minas Tirith. In der Hand hielt er den weißen Stab mit dem goldenen Knauf, der die Regierungsmacht der Truchsesse symbolisierte. Die Halle war ein weiter, ovaler Raum, dessen Längsachse sich zwischen Ost und West erstreckte. An der Ostseite befand sich eine Empore, die etwa ein Viertel des gesamten Raums einnahm, über die ganze Breite der Halle reichte und durch vier Stufen vom übrigen Raum getrennt war. Der Sitz der Truchsesse stand auf der untersten Stufe der Empore, nur wenig von der nördlichen Wand der Halle entfernt. Oben in der Mitte der Empore stand unter einem Baldachin aus Marmor in Form des Kronenhelms von Gondor der verhüllte, verwaiste Thron von Gondor, überragt von einer in die Wand gemeißelten und mit Edelsteinen geschmückten Skulptur des Weißen Baumes in seiner vollen Pracht. Draußen, vor der Ostseite des Turmes stand sein natürliches Vorbild, doch war er schon seit hundert Jahren abgestorben und wartete darauf, eines Tages durch einen neuen Schössling ersetzt zu werden. Der Legende nach sollte der neue König diesen Schössling bringen.

Quilin öffnete die Truhen mit den prachtvollen Geschirren. Teller, Becher und Besteckteile präsentierten sich auf dunklem Samt und erstrahlten im Licht der Kerzen und Fackeln an den schwarzen Marmorsäulen wie eigene Lichter.

„Ich danke König Dáin für die kostbaren Geschenke. Übermittelt ihm bitte meinen Dank und meine aufrichtige Verbundenheit, Herr Quilin“, sagte Ecthelion mit einem freundlichen Kopfnicken.

„Zu Diensten“, erwiderte Quilin mit dem üblichen Zwergengruß und verneigte sich.

„Und euch, Elben und Menschen, danke ich, dass ihr diese Fracht so uneigennützig begleitet habt.“

Dúnedain und Elben verbeugten sich ebenfalls und übergingen die Tatsache, dass Ecthelion sie nicht einmal nach ihren Namen gefragt hatte. Dem Statthalter fiel auf, dass einer der beiden Dúnedain sehr intensiv nach dem Thron in der Mitte der Empore sah. Die Miene des Statthalters verdunkelte sich.

„Ihr seht nach dem Thron, als wolltet Ihr ihn beanspruchen!“, bemerkte der Truchsess. Aragorn, der nach dem Möbelstück geschaut hatte, das eines Tages sein Sitz sein sollte, zuckte erschrocken zusammen.

„Entschuldigt. Ich habe mich nur gefragt, weshalb Ihr hier unten sitzt und nicht dort oben“, fasste er sich rasch.

„Herr Waldläufer, ich bin der Truchsess, der Statthalter von Gondor. Auf dem Thron zu sitzen gebührt nur dem König!“, versetzte Ecthelion scharf.

„Und einen König gibt es nicht?“, fragte Aragorn harmlos. Legolas sah ihn aus dem Augenwinkel an. Aragorn verstand es, dem Statthalter zu verbergen, dass er mit ihm spielte.

„Ihr kommt wirklich aus dem hintersten Winkel Eures Waldes! Nein, einen König gibt es in Gondor nicht mehr, seit König Earnur im Jahre 2043 des noch immer andauernden Dritten Zeitalters dem Hexenkönig zum Opfer fiel, ohne einen Erben zu hinterlassen. Seitdem regieren die Statthalter Gondor für den König“, erklärte Ecthelion.

„Wenn jemand käme, der aus dem Hause Elendils wäre, würde vor Euch treten und Euch auffordern, ihn als König anzuerkennen – würdet Ihr es tun?“, hakte Aragorn nach. Ecthelion kniff die Augen zusammen.

„Ich habe gehört, Herr Waldläufer, dass die Blutlinie Isildurs noch nicht erloschen ist. Vermutlich gibt es jemanden, der diesen Thron beanspruchen könnte. Aber seit über neunhundert Jahren hat ein Erbe Isildurs, der auch der Erbe des Thrones von Gondor wäre, den Weg nach Minas Tirith nicht gefunden, um seinen Anspruch hier geltend zu machen. Käme er tatsächlich, müsste er schon beweisen, dass er der rechtmäßige Erbe ist. Kann er den Beweis antreten, werde ich ihm den Thron übergeben. Das ist mein Eid als Statthalter!“, versetzte der Truchsess.

„Sagt Euch der Name Arador etwas, Herr?“, fragte Aragorn weiter. Ecthelion ging ihm auf den Leim.

„Arador war aus dem Haus Isildurs, er war ein möglicher Erbe Isildurs. Nach ihm trug sein Sohn Arathorn den Erbanspruch, doch Arathorn war nicht lange Fürst der Dúnedain des Nordens. Falls er einen Sohn haben sollte, wäre jener der rechtmäßige König.“

„Woran werdet Ihr den Erben erkennen, Herr?“, bohrte Aragorn weiter.

„Zwar weiß ich nicht, was es Euch angeht, Herr Waldläufer, denn eigentlich solltet Ihr die Zeichen ebenso gut kennen wie ich, doch ich will es Euch sagen: Der Erbe wird das neu geschmiedete Schwert Narsil besitzen, das Zepter von Annúminas und den Ring Barahirs – und er wird einen Schössling des Weißen Baumes bringen. Daran werden wir in Minas Tirith ihn erkennen“, erwiderte Ecthelion.

Aragorn verbeugte sich.

„Ich danke Euch, Herr, für Eure Lehre, die ich mitnehmen und bewahren werde. Mögen die Valar euch gewogen sein.“

„Warum hast du es ihm nicht gesagt?“, fragte Legolas, als sie Minas Tirith verließen und zum Anduin zurückkehrten.

„Was?“, fragte Aragorn.

„Wer du bist?“, präzisierte der Elb.

„Ecthelion? Dem kann ich viel erzählen, wenn der Tag lang ist. Er wird mir nicht glauben, dass ich Arathorns Sohn bin, denn ich kann die von ihm verlangten Beweise nicht vorlegen: Das Zepter von Annúminas hat Elrond noch in Verwahrung, weil ich es mir verdienen muss. Narsil ist noch zerbrochen. Einen Schössling vom Weißen Baum kann ich schlecht herbeizaubern. Im Moment hätte ich nur Barahirs Ring, um meinen Anspruch zu beweisen. Ecthelion sprach nicht von oder sondern von und. Ein einzelnes Beweisstück wird er nicht akzeptieren, mellon nîn. Nein, die Zeit ist noch nicht reif – und ich selber auch nicht. Ich muss noch viel lernen“, erwiderte Aragorn. „Komm, lass’ uns gen Norden reiten. Wir haben noch etwas zu tun!“

„Und was?“, erkundigte sich Legolas.

„Ich will wissen, woran Efanir und Silar gestorben sind. Das, was Liberid erzählt hat, scheint doch sehr rätselhaft.“

Zunächst verlief die Rückreise eher als gemächliche Kanureise flussaufwärts. Die berittenen Dúnedain begleiteten die Boote, man wechselte sich beim Bootfahren und Reiten ab. Zehn Tage, nachdem sie Osgiliath mit den Booten verlassen hatten, kamen sie an die nördlichste Mündung der Entwasser, hatten das Delta hinter sich gelassen. Aragorn, Liberid, Beregil und Legolas verließen die übrigen Gefährten und ritten zwei Tagesritte weit fort in die Fennmark, um die Gräber von Efanir und Silar aufzusuchen. Erschüttert stand Aragorn vor den Grabhügeln seiner Vettern.

„Wer immer für euren Tod verantwortlich ist – wir werden ihn oder sie finden und das, was euch angetan wurde, nicht ungesühnt lassen!“, versprach er leise.

„Wo willst du mit der Suche beginnen, Aragorn?“, fragte Liberid. „Wir haben nicht den Hauch einer Spur finden können.“

„Die einzigen, die keine Spuren zu hinterlassen pflegen, sind Elben“, erwiderte Aragorn. Doch bevor Legolas aufbegehren konnte, winkte er ab.

„Ich meine damit nicht, dass es Elben waren, Legolas. Weshalb sollten Elben Dúnedain töten? Zumal ausgewiesene Elbenfreunde wie Efanir und Silar? Nein, das würde ich nicht glauben.“

„An wen würdest du denken, mellon?“, fragte Legolas. Aragorn zuckte mit den Schultern.

„Orks, Trolle, Uruk-hai – aber die hinterlassen Spuren, die würden wir noch nach einem halben Jahr finden. Nein, von denen war es wohl auch keiner“, seufzte der Dúnadan. „Kommt, kehren wir zurück zu den anderen. Wir haben noch einen weiteren Weg vor uns.“

„Gibst du auf?“, fragte Liberid.

„Keineswegs. Ich habe nur keine Idee, wer sie umgebracht hat – und warum.“

„Für das Warum habe ich eine Erklärung: Sie wollten die Pferde. Die Rohirrim vielleicht?“, entgegnete Liberid.

„Nein, ausgeschlossen. Das sind Pferdezüchter, keine Pferdediebe“, versetzte Legolas. Traurig kehrten sie zu den übrigen Gefährten zurück, die am Ufer des Anduin auf sie warteten und setzten die Reise nach Norden in Richtung Rauros-Fall und Sarn Gebir fort.

Fünf Tage, nachdem sie von den Sarn Gebir nach Norden abgefahren waren, erreichten die Boote in der Abenddämmerung die Mündung des Limklar.

„Wir sollten nördlich der Mündung lagern“, empfahl Aragorn. „Dort haben wir das Hügelland hinter uns und müssten vor Orks und sonstigen Unwesen sicher sein.“

Seine Begleiter stimmten ihm zu und steuerten den Strand nördlich der Mündung an. Schnell hatten sie ihr Nachtlager errichtet und die Boote sicher vertäut. Doch noch während sie ihr Nachtmahl zubereiteten, hörten sie geradezu unirdische Schreie – fast wie von übergroßen Raubvögeln. Erschrocken sahen die Reisenden in die Richtung, aus der die Schreie kamen, zum Ostufer des Anduin, konnten aber in der Dunkelheit nichts erkennen.

„Was ist das?“, fragte Aragorn.

„Wir sind nicht weit vom Düsterwald“, erwiderte Legolas. Sein ebenmäßiges Gesicht verriet seine Anspannung. „Es klingt nach den Nazgûl“, sagte er dann.

„Vergib mir die Frage: Wer oder was sind Nazgûl?“, erkundigte sich Aragorn. Legolas sah ihn einen Moment an.

„Nazgûl? Was weißt du über die Ringe der Macht?“, fragte der Elb. Aragorn schien die Frage nicht zu passen, er beantwortete sie dennoch:

„Nun, Elrond sagte mir, es gäbe mehrere Arten: Die Drei, die den Elben gegeben wurden und die frei sind vom Einfluss Saurons, weil sie rechtzeitig verborgen wurden. Die Sieben, die an die Zwerge gingen und die Neun, die den Menschen gegeben wurden – und den Einen, den Herrn der Ringe, den Herrscherring, den Sauron für sich selbst schmiedete, um alle anderen Ringe damit zu beherrschen. Letzteren schnitt Isildur Sauron von der Hand und hatte nicht die Kraft, ihn zu zerstören, behielt ihn – und wurde verraten. Das Unglück des Einen Ringes beutelt Mittelerde noch immer“, erklärte er. Legolas nickte.

„Die Nazgûl sind die Besitzer der Neun. Sie sind die Ringgeister, Saurons Sklaven. Sie spüren den Einen Ring besonders – und sie suchen ihn für ihren Herrn. Sauron erholt sich nach nun fast dreitausend Jahren und wird wieder stärker.“

„Sind sie hier oder im Düsterwald?“, fragte Thorn.

„Genau weiß ich es nicht“, entgegnete Legolas. „Es gab einmal im Düsterwald die Festung Dol Guldur, die von Sauron beherrscht wurde. Doch vor etwa zwölf Jahren wurde Sauron samt seinen Dienern von dort vertrieben. Selbst, wenn seine Diener versuchen sollten, dorthin zurückzukehren, dürfen sie den Anduin auf Befehl ihres Herrn nicht überqueren; sie müssen auf der Ostseite bleiben.“

Emandir saß Legolas gegenüber am Feuer. Seine Blickrichtung war Osten, er sah zum Ufer.

„Bist du ganz sicher, Thranduils Sohn, dass sie das auch wissen?“, fragte der andere Elb mit schreckgeweiteten Augen. Hinter Legolas tauchten zwei Gestalten auf, in weite, schwarze Gewänder gehüllt, die Kapuzen der Umhänge übergezogen – doch schienen die Kapuzen nichts zu enthalten. Im ersten Impuls wollte Aragorn aufspringen, doch eine unerklärliche Kälte hielt ihn plötzlich fest.

„Da ist noch einer!“, keuchte Thorn, der ihm gegenüber saß. Nur mit einigem Willen gelang es Elben, Zwerg und Dúnedain überhaupt, aufzustehen und sich gegen die nun blankziehenden Gestalten mit dem Schwert zu wehren. Legolas und Emandir bemerkten schnell, dass ihre Pfeile einfach durch die Gewänder hindurchgingen, aber keinen Widerstand darin fanden.

„Bei Manwe! Sie sind körperlos!“, keuchte Emandir. In den Kutten waren wohl Panzerhandschuhe – aber keine Arme, keine Hände, keine Finger und vor allem keine Gesichter! Zehn Dúnedain, zwei Elben und ein Zwerg kämpften wie die Löwen, aber sie konnten wenig mehr ausrichten, als den Nazgûl die Kutten zu zerschneiden und ihnen die Schwerter zu zerbrechen. Erst, als Legolas einen brennenden Ast aus dem Feuer riss und einem die Kutte in Brand setzte, zogen sich die seltsamen Gestalten zurück, ohne etwas erbeutet zu haben. Aragorn und Beregil sahen verstört, dass sich ihre Schwerter plötzlich in Luft auflösten. Aragorn hatte noch Glück, weil er mehr zufällig nur mit dem Hirschfänger in eine der Kutten hinein gestochen hatte und nicht mit seinem Langschwert. Simar und Adanion hatten tiefe Wunden von den Schwertern der Nazgûl erlitten.

„Morgulklingen!“, schnaufte Legolas. „Die Spitzen sind abgebrochen. Wenn wir sie nicht sofort heraus bekommen, lösen sie sich im Körper auf und die Verwundeten werden ebenfalls zu Geistern in der Schattenwelt.“

„Übrigens – Geister:“ entfuhr es Aragorn. „Sie hinterlassen keine Spuren!“, sagte er und deutete auf die Plätze, auf denen vor kurzem noch die Nazgûl gestanden hatten – nicht die kleinste Spur war zu sehen … Aragorn hatte das Gefühl, dem Rätsel um Efanirs und Silars Tod auf der Spur zu sein, aber zunächst musste er sich um die Verwundeten kümmern. Er schnitt die Reste der Morgulklingen aus den Wunden und konnte seine Männer damit vorerst retten. Aber in jener Gegend war kein einziges Blättchen Athelas zu finden – und das war das Verhängnis, denn Aragorn hatte nur noch wenige, schon recht trockene Blätter aus Lórien in seinem Beutel …

Die Wunden wollten nicht heilen – im Gegenteil: Simar und Adanion ging es von Stunde zu Stunde schlechter. Dennoch setzten die Reisenden zunächst ihre Fahrt auf dem Anduin nach Norden fort. Die Strömung des großen Flusses trug nicht dazu bei, es den Männern leichter zu machen. Am folgenden Tag fühlten sich auch die beiden Elben nicht mehr wohl, die zwar Wunden erlitten hatten, in denen aber keine Reste der Klingen verblieben waren. Noch einen Tag später traf ein erstes Unwohlsein auch die Dúnedain, die nur mit ihren Klingen in die Mäntel der Nazgûl gestochen hatten.

Aragorn, dem es selbst mehrfach an diesem Tag schwarz vor Augen wurde, war nahe daran, zu verzweifeln. Nicht einmal mehr in seinem Beutel hatte er noch ein Krümelchen Athelas. So lange er noch von seinen Vorräten hatte zehren können, hatte sich der Zustand der Verwundeten jedenfalls nicht dramatisch verschlechtert. Aber jetzt wurde die Lage kritisch.

„Wir müssen den Fluss verlassen und quer durch den Wald nach Lórien kommen“, schnaufte Aragorn. Quilin sah in verwirrt an.

„Was hast du vor, Aragorn?“

„Auf dem Fluss schaffen wir es nicht. Meine Heilkunst ist ohne Athelas bei den Wunden, die Simar und Adanion haben, einfach am Ende. Dieses seltsame Fieber, das die Nazgûl verbreiten, scheint auch Legolas, Emandir, Beregil und mich gepackt zu haben. Du, Liberid, Thorn und Galrond – ihr bringt die Boote auf dem Fluss weiter nach Lórien zurück. Zu Pferd werden wir quer über Land schneller sein.“

„Es geht dir selbst nicht gut, Freund. Bist du sicher, dass ihr es überhaupt schafft?“, erkundigte sich der Zwerg.

„Ehrlich gesagt: Nein“, versetzte Aragorn. „Aber ich in mir auch nicht ganz sicher, ob das nicht ansteckend ist. Ich hoffe, dass die Elben in Lórien uns helfen können.“

Sie trieben die Pferde an, so schnell sie laufen konnten – und die rohirrischen Pferde, die die Dúnedain ritten waren sehr schnell. Obwohl ihre Reiter ihnen in dem undurchsichtigen Wald nicht viel helfen konnten, fanden die Tiere den richtigen Pfad. Die Pferde kannten sich in ihrer alten Heimat besser aus als ihre kranken und verwundeten Reiter.

Nur mit Mühe und unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte erreichten sie die Grenze des Goldenen Waldes am Silberlauf. Die Pferde schwammen durch den Fluss. Sie hatten kaum das andere Ufer erreicht, als auch Aragorn und Legolas endgültig die Sinne schwanden.

Der aufmerksame Haldir fand mit seiner Elbenpatrouille vier Menschen und zwei Elben, die wie leblos am Ufer des Silberlaufs lagen. Haldir erkannte Aragorn und Legolas, erkannte die übrigen als Dúnedain, die den Elben herzlich verbunden waren. Auf seinen Wink brachten seine Elben die bewusstlosen Männer in die Sicherheit von Caras Galadhon. Auf Anweisung Galadriels trugen Haldirs Männer Aragorn gleich zu dem Flett, das Arwen Undómiel bewohnte, wenn sie bei der Familie ihrer Großmutter Galadriel zu Besuch war.

„Was ist mit Aragorn, Haldir?“, fragte sie erschrocken, als sie in Aragorns bleiche Züge sah. Er atmete kaum noch.

„Ich weiß es nicht, Herrin. Ich habe ihn, zwei Elben und noch drei andere Dúnedain so an der Grenze gefunden“, erwiderte der Wächter.

„Danke, Haldir. Bitte, geh und hole Frau Galadriel.“

Haldir verneigte sich ehrerbietig und verließ leise das Flett. Wenig später kehrte er mit Arwens Großmutter zurück. Galadriel sah Aragorn an.

„Was ist geschehen?“, fragte sie.

„Ich weiß es nicht. Haldir hat ihn und einige andere so gefunden. Eine Verletzung finde ich nicht.“

Galadriel sah Haldir fragend an.

„Aragorn, Legolas, der andere Elb und ein anderer Dúnadan sind äußerlich unverletzt, die beiden anderen haben auch Wunden, Herrin“, erklärte Haldir. Galadriel berührte Aragorns bleiche Stirn. Kalter Schweiß stand darauf. Sie überlegte einen Moment.

„Sie wollten nach Minas Tirith. Wir haben ihnen Boote gegeben, damit sie ihre Fracht dorthin bringen können“, sinnierte die Herrin des Waldes. „Hatten sie Boote bei sich, Haldir?“

„Nein, Herrin. Sie hatten Pferde.“

„Was ist mit den Pferden?“

„Die schienen mir gesund, aber sehr verschreckt.“

„Verschreckt … Er ist ganz kalt. Das ist Saurons Kälte“, erkannte die Elbenfürstin. „Der Schwarze Anhauch, das Morgulfieber!“, entfuhr es ihr dann. „Haldir, ich brauche Athelas – sofort! Elwen und ihre Zofen sollen sich ebenso um die anderen Kranken kümmern, schnell!“, befahl sie dann. Haldir verbeugte sich und beeilte sich, den Befehl seiner Herrin auszuführen.

Wenig später hatte Galadriel das Athelas, zerrieb einige Blätter unmittelbar unter Aragorns Nase. Frischer, belebender Duft verbreitete sich. Sie legte dem Dúnadan beide Hände an das bleiche Gesicht und rief ihn beim Namen. Langsam kam wieder Leben in den schon schwindenden Aragorn. Er wachte halb auf und glaubte, einen schönen Traum zu haben, als er Arwen über sich bemerkte und schlief mit einem glücklichen Lächeln wieder ein, als die schöne Elbe ihn sanft küsste.

Trotz des wirksamen Athelas schwebte Aragorn noch drei weitere Tage zwischen Leben und Tod. Arwen wich ihm nicht von der Seite. Auf Anraten von Galadriel sorgte sie dafür, dass er weitere drei Tage möglichst nur schlief. Wann immer er erwachte, streichelte sie ihn wieder zärtlich in den Schlaf zurück.

„Schlafe weiter!“, flüsterte sie, drückte ihm zart die Augen zu und küsste ihn.

Erst eine Woche, nachdem Haldir Aragorn und seine Gefährten an der Grenze des Goldenen Waldes gefunden hatte, ließ Arwen es zu, dass Aragorn soweit aufwachte, dass er seine Umgebung erkennen konnte.

„Arwen?“, flüsterte er matt. Sie nickte lächelnd und strich ihm sanft über das stoppelbärtige Gesicht.

„Ja“, erwiderte sie leise, „du bist in Lórien. Viel später hättet ihr nicht kommen dürfen.“

„Was … was ist das?“, fragte er.

„Der Schwarze Anhauch, das Morgulfieber, vermutet meine Großmutter.“

„Was ist mit meinen Begleitern? Legolas, Emandir, Simar, Adanion und Beregil?“

„Zwei deiner Begleiter konnte auch Frau Galadriel nicht mehr retten. Der dritte Dúnadan und die beiden Elben sind noch nicht erwacht. Aber sie werden sicher überleben“, sagte Arwen leise. „Was ist mit euch geschehen? Nur die Nazgûl verbreiten diese Krankheit, die auch Elben packen kann.“

„Die Nazgûl haben uns überfallen“, erwiderte Aragorn.

„Das ist seltsam. Seit langem hat man sie nicht mehr gesehen. Wo ist das passiert?“, erkundigte sich Arwen.

„An der Mündung des Limklar“, brachte Aragorn mühsam heraus.

„Das wird immer seltsamer. Alle Weisen sagen, die Nazgûl dürften den Anduin nicht überqueren – außer Sauron erlaubt es ihnen.“

„Dann hat er es wohl getan. Legolas hat sie eindeutig als die Nazgûl erkannt.“

„Wie viele waren es?“

„Drei, meine ich“, antwortete Aragorn. Müde schloss er die Augen und schlief wieder ein.

Arwen eilte mit dieser Neuigkeit gleich zu ihrer Großmutter. Galadriel beschloss, ihren Spiegel um Rat zu fragen und ging mit ihrer Enkelin zu ihrem Garten am südöstlichen Rand des tiefen Grabens, der Caras Galadhon vom übrigen Lothlórien kreisförmig trennte. Dort entsprang ein Bach, bildete einen kleinen Wasserfall, bevor er die schützende Hecke durchstieß und zum Quellenfluss wurde, der auch den tiefen Graben durchschnitt und zum Celebrant, dem Silberlauf, floss. Dort, an dem kleinen Wasserfall, schöpfte Galadriel in einer silbernen Kanne Wasser und goss es in eine flache Silberschale, die auf einem Steinsockel in der Mitte ihres persönlichen Gartens stand. Zunächst spiegelte sich nur der blaue Himmel und die umgebenden Bäume darin, doch schnell verschwamm der blaue Himmel zu einem dunkelgrauen Gewölk, das ein Bild von Mordor umwaberte. Sauron schickte drei seiner Ringgeister aus, um das verlorene Dol Guldur im Düsterwald zurück zu gewinnen. Galadriel nickte.

„Sie sind also wieder da. Aber warum? Die Ringgeister schickt der Dunkle Herrscher nur aus, wenn etwas über seinen Ring bekannt wird“, sinnierte sie.

„Und wenn er etwas erfahren hat, was dem Weißen Rat noch nicht bekannt ist?“, mutmaßte Arwen.

„Er wird etwas erfahren haben, wie du vermutest, Arwen. Der Weiße Rat muss sich treffen. Ich werde mich nach Isengard aufmachen. Dein Vater und Círdan sowie die anderen Fürsten der Eldar müssen benachrichtigt werden“, entschied die Elbenkönigin.

Bekanntermaßen wurde bei diesem letzten Treffen des Weißen Rates über den Einen Ring gesprochen, doch behauptete Saruman – wider besseres Wissen, wie man später erfuhr – dass der Ring nicht gefunden sei. Da Saruman als der Ringsachverständige in Mittelerde galt, glaubte der Weiße Rat ihm, abgesehen von Gandalf, der einen bestimmten Verdacht hatte …

Während Aragorn sich unter Arwens Händen vom Morgulfieber erholte, erfuhr er zwar vom Treffen des Weißen Rates und seinem Ergebnis, aber dass der Überfall auf ihn und seine Begleiter der Auslöser für dieses Treffen war, blieb ihm verborgen. Immerhin konnten er und Legolas sich nun zusammenreimen, dass die beiden Dúnedain, die Liberid und seine Begleiter tot aufgefunden hatten, ebenfalls mit den Nazgûl zusammengestoßen waren, kleine Wunden erlitten hatten und am Morgulfieber gestorben waren.

„Legolas hat mir gesagt, die Nazgûl seien einmal Menschen gewesen. Sind sie der Grund, weshalb dein Vater uns Menschen für leichtsinnig und verführbar hält?“, erkundigte er sich einige Tage später bei Arwen. Die Elbe lächelte.

„Neun Gründe“, erwiderte sie. „Und der zehnte ist Isildur, dein Ahn, der dem Einen Ring nicht widerstehen konnte.“

„Zehn gute Gründe“, seufzte Aragorn. „Schließlich bin ich ein Mensch und mache Fehler, wie jeder andere Mensch auch. Und dann bin ich ein Nachkomme Isildurs, der die Finger nicht von dem mächtigen Ring lassen konnte.“

„Aragorn – die Nazgûl, besonders der oberste der Nazgûl, der Hexenkönig, sind für den Untergang des Reiches von Arnor verantwortlich. Der Hexenkönig gründete das Reich von Angmar, das die Dúnedain von Arnor besiegte …“

„… und uns in die Wälder trieb, ja“, sagte Aragorn leise. Er nahm sanft Arwens Hand und sah sie lange an. Ihre sanften, dunkelblauen Augen leuchteten warm.

„Wenn die Nazgûl und ihr Hexenmeister ein großes Reich wie Arnor vernichten konnten, wenn sie der Grund dafür sind, dass in Minas Tirith ein Statthalter für den König regieren muss, wenn sie nicht zu töten sind und jede Berührung mit ihnen dieses tödliche Fieber auslöst, dann wird es in alle Ewigkeit nicht möglich sein, dass ich das Erbe von Isildur antrete. Ich habe auch kein Interesse daran“, sagte Aragorn leise.

„Du bist sehr krank, Aragorn. Wenn du wieder bei Kräften bist, siehst du das schon wieder anders“, beruhigte Arwen ihn.

Doch so sehr Arwen ihn auch beruhigte und seine Zweifel dem Einfluss des Morgulfiebers zuschieben wollte – Aragorns Zweifel an seiner Berufung zum König blieben und verstärkten sich. Noch schlimmer für ihn war, dass er sich etwa zwei Wochen, nachdem er und seine kranken Gefährten Lórien erreicht hatten, an nichts erinnern konnte, was sich zwischen dem Besuch des Boten von Dáin II. Eisenfuß in Eriador und dem Überfall der Nazgûl am Limklar ereignet hatte. Denen, die mit ihm nach Lórien geritten waren, erging es ebenso. Nur eines blieb in seinem Gedächtnis unauslöschlich haften: Dass die Nazgûl mit ihren gefährlichen Klingen und dem tödlichen Fieber, das sie verbreiteten, eher eine Ausgeburt der Hölle waren, als dass sie jemals Menschen gewesen sein konnten – und dass sie Feuer fürchteten. Aber sie endgültig zu besiegen, das erschien nicht nur dem Fürsten der Dúnedain zu diesem Zeitpunkt gänzlich unmöglich.

[1] Sindarin: Willkommen, Aragorn, Arathorns Sohn

[2] Sindarin: Willkommen, Legolas, Thranduils Sohn

[3] Sindarin: Die Straße ist gefährlich

[4] Sindarin: Legolas, mein Freund,…

[5] Sindarin: Es ist nichts zu verzeihen, Celeborn, Herr/König von Lórien

[6] Sindarin (Quenya): Arwen, (schöne Geliebte), ich liebe dich.

[7] Sindarin:  mein Liebling

[8] Sindarin: Ich danke dir.

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