Balduin V., König von Jerusalem, lädt seinen liebsten Vasallen Balian von Ibelin zum Weihnachtsfest nach Bethlehem ein. Lest selbst, was ein Besuch im Stall von Bethlehem bewirken kann …
Disclaimer
Die Rechte an dieser Story – soweit sie nicht ersichtlich vom Film bzw. Buch abweicht –, den handelnden Personen und den gewählten Orten, soweit sie nicht historisch sind, liegen ausschließlich bei 20th Century Fox, William Monahan und Ridley Scott.
Ich habe mir Figuren, Orte und Grundlage der Erzählung lediglich ausgeliehen und verdiene hiermit kein Geld.
Vorwort
Weihnachten, die Geburt Christi, um die Zeit der Wintersonnenwende zu feiern, ist eine überaus alte Tradition, die zwar ein paar Jahrhunderte jünger ist als der christliche Glaube, die aber viele andere, nichtchristliche Kulte vereinnahmt hat. Für Christen ist Christus das Licht der Welt – was wäre passender, als dessen Geburt in der dunkelsten Zeit des Jahres zu feiern, wenn die Tage zwar zögernd, aber unaufhaltsam wieder länger werden …?
Dass wir uns zu Weihnachten beschenken, ist ebenfalls eine sehr alte Tradition. Sie geht zurück auf die Heiligen Drei Könige, jene Weisen aus dem Morgenland, die dem neugeborenen König der Juden – Jesus von Nazareth – als erste huldigten.
Nicht nur, als Jesus geboren wurde, gab es einen König, der ein Kind war. Fast zwölfhundert Jahre später war ein achtjähriger Knabe, der seinen Vater nie gekannt hatte, König von Jerusalem – Balduin von Montferrat, fünfter Träger dieses Namens im Königreich Jerusalem, Sohn des Guillaume von Montferrat und der Prinzessin Sibylla von Anjou, der Schwester König Balduins IV. von Jerusalem …
Kapitel 1
Der kleine König und der Stall von Bethlehem
Bethlehem, 25. Dezember im Jahre des Herrn 1185, Geburtskirche, Mitternachtsmesse.
Heraclius, der Patriarch von Jerusalem, las das Evangelium nach Matthäus, in dem die Geburt des Herrn der Christenheit nach der Aufzählung von zweiundvierzig Generationen seit dem Stammvater Abraham beschrieben wurde. Heraclius stand vor dem Altar der recht engen Geburtskirche und trug die Heilsgeschichte mit so monotoner Stimme vor, dass selbst die ausgeruhten Leibwächter des jungen Königs Balduin V. ein Gähnen nur mühsam unterdrücken konnten. Obendrein war es – abgesehen von einigen Öllampen – sehr dunkel in der Kirche. Und das, obwohl nach dem Gloria, dem Lob des Herrn, das Licht in vollem Umfang entzündet worden war. Aber die wenigen Öllampen in der Geburtskirche gaben bereits ihr ganzes warmes Licht. Mehr wäre nicht möglich gewesen.
König Balduin V., der neben seiner Mutter auf einem erhöhten Thron auf der rechten Seite der Apsis in der königlichen Chorreihe saß, suchte mit immer wieder zufallenden Augen die erste Reihe der Kreuzritter ab, die mit ehrfurchtsvoll gesenktem Haupt vor dem Patriarchen standen und den Bibelworten lauschten. Sein suchender Blick fand ganz am Rand auf der Seite, auf der er saß, seinen liebsten Vasallen, den jungen Baron Balian von Ibelin.
Balian war ein freundlicher Mann, das wusste Balduin aus eigener Erfahrung; man sagte, dass er gütig und gerecht war, dass er nie Streit um des Streites willen suchte, schon gar nicht von sich aus, aber dass er einem Konflikt auch nicht aus dem Weg ging. Balduin sah in dem jungen Ritter ein leuchtendes Vorbild, dem er gern nacheifern wollte. Er hatte seinen Vater nie gekannt. Sein Vater, Guillaume von Montferrat, war noch vor Balduins Geburt gestorben. Sibylla hatte ihren Sohn ohne Vater erziehen müssen.
Zwar hatten sich auch Männer um seine Erziehung gekümmert, aber sein Onkel, König Balduin IV., war viel zu krank gewesen, um dem Jungen väterliche Zuneigung geben zu können, Godfrey von Ibelin war für Balduin V. eher der Großvater gewesen und Guy de Lusignan, den jetzigen Mann seiner Mutter, fürchtete Balduin eher als dass er seinen Stiefvater in ihm gesehen hätte. Wenn es für Balduin jemanden gab, von dem er wünschte, dass er sein Stiefvater wäre, dann war es Balian. In den letzten Monaten hatte Balian viel Zeit mit dem Jungen und seiner Mutter verbracht, nachdem Balduin ihn zu seinem persönlichen Leibwächter bestimmt hatte. Doch hin und wieder musste Balian von Ibelin sich auch um seine Lehen und die Sicherheit der Pilgerstraße kümmern. Einige Wochen war er deshalb nicht mehr in Jerusalem gewesen, und Balduin hatte ihn sehr vermisst.
Ein leichtes Aufatmen entrang sich dem kleinen König, der gerade acht Jahre alt war, als er feststellte, dass sein Stiefvater nicht in der Kirche war. Wie seine Mutter sah er von de Lusignan lieber die Hacken als die Zehen. Sibylla hatte de Lusignan nicht freiwillig geheiratet. Es war der Wunsch ihrer Mutter gewesen. Sibylla hatte alles versucht, dieser Ehe zu entgehen, hatte mithilfe anderer Höflinge einen Ausweg gesucht und hatte schließlich in Guillaume von Montferrat die Alternative gefunden, die ihre Mutter zähneknirschend akzeptiert hatte, weil Guillaume aus einem bedeutenden Adelshaus Frankreichs stammte. Doch dass die Mutter den Plan nie aufgegeben hatte, Prinzessin Sibylla mit dem Haus de Lusignan zu verbinden, erwies sich, als Guillaume plötzlich starb, kaum dass Sibylla schwanger war. Offiziell war Guillaume an Malaria gestorben, aber Gerüchte, dass er umgebracht worden waren, wollten nicht verstummen …
Balduin sah seine Mutter an und bemerkte, dass ihr Blick ebenfalls den Baron von Ibelin traf. Der kleine König sah ein leichtes Zucken der Mundwinkel seiner Mama und wusste, dass sie lächelte – und dass dieses Lächeln Balian galt, der es freundlich, aber zurückhaltend erwiderte. Das Lächeln Balians vertrieb Balduins gelangweilte Müdigkeit. Das Jerusalemer Königshaus war reich, sehr reich. Was immer Balduin sich zu Weihnachten gewünscht hätte: Sofern es mit Geld zu kaufen gewesen wäre – er hätte es bekommen. Doch dieses Jahr hatte er nur einen einzigen Wunsch gehabt: Dass er dieses Weihnachtsfest mit Balian und seiner Mutter in Bethlehem verbringen konnte.
Weihnachten in Bethlehem! Traum jedes Christen, seitdem die Evangelien geschrieben waren … Balduin war in der glücklichen Lage, nur wenige Meilen von diesem heiligsten aller Orte der Christenheit neben Jerusalem zu wohnen und den Geburtsort des Herrn jederzeit aufsuchen zu können. Nur einer hätte seinem Weihnachtsgeschenk wirksam den Garaus machen können, und das war Guy de Lusignan. Doch Guy hatte wieder im Osten zu tun, was nichts anderes hieß, als dass er mit den Templern wieder sarazenische Karawanen angriff. Balduin war hin- und hergerissen, als er darüber nachdachte.
‚Ich habe Onkel Balian bei mir, aber wie viele Karawanen würde er vor meinem Stiefvater beschützen können, wenn ich nicht darauf bestanden hätte, dass er Weihnachten bei uns verbringt?’, durchfuhr es den kleinen König. Beschämt sah er zum Kreuz in der Geburtsgrotte.
‚Ich war eigensüchtig, lieber Jesus. Das tut mir Leid. Ich will nicht, dass jemand darunter leiden muss, wenn Onkel Balian bei mir und Maman ist.’
Balduin sah auf die Figur am Kreuz – und hatte plötzlich den Eindruck, dass der Herr Jesus ihm zuzwinkerte. Der Blick des Jungen blieb gebannt daran hängen, bis er einen sanften Stoß von seiner Mutter bekam.
„Komm, steh auf“, forderte sie ihn auf. Brav stand Balduin auf, musste sich aber trotzdem erst sortieren, bis er wieder beim aktuellen Punkt der Messe war, dem Glaubensbekenntnis. Erst stotterte er etwas, dann war er beim richtigen Wort und sprach mit. Aus dem Augenwinkel bemerkte er den amüsierten Blick des Barons.
Balian war ebenfalls nicht recht bei der Sache. Die Einladung des kleinen Königs nach Bethlehem war eine große Ehre für ihn, zudem liebte er Balduin wie einen Sohn, von Sibylla ganz zu schweigen. Der junge König hatte ihm kein größeres Geschenk machen können, als ihn zum Weihnachtsfest gemeinsam mit ihm und seiner Mutter einzuladen. Andererseits wusste Balian, dass eine größere Karawane von Damaskus nach Alexandria unterwegs war. Mit der Karawane reisten auch Verwandte von Imad, der ihm diese Information nicht ohne den Hintergedanken gegeben hatte, dass Balian für den Schutz der Karawane sorgen würde.
„Christus, das Licht der Welt ist erschienen, um der Menschen Sünden zu sühnen. Gehet hin in seinem Frieden!“, schloss der Patriarch schließlich die Mitternachtsmesse.
„Amen“, bestätigte die Gemeinde, die nahezu ausschließlich aus Angehörigen des Jerusalemer Hofes bestand. Der Patriarch und seine Liturgiehelfer zogen mit Weihrauch und Kerzenschein aus der Geburtskirche aus, die Gläubigen folgten ihnen.
Draußen vor der Kirche war um die Geburtskirche alles dunkel und still. Nur die Fackeln um die Kirche und die Kohlebecken, die hier extra für die Mitternachtsmesse aufgestellt waren, gaben Licht in Bethlehem. Ein leichter Wind bewegte die Palmen, über denen die Sterne schienen. Nichts erinnerte daran, dass es Winter war. Balian trat aus der Kirche und hatte von der Temperatur her eher das Gefühl nach kühlen Ostern – aber gewiss nicht nach Weihnachten. Zum ersten Mal erlebte er Weihnachten im Heiligen Land. Weihnachten 1184 hatte er gerade seinen Vater in Messina beerdigt und wenige Wochen zuvor seinen Sohn und seine Frau verloren. Ihm war nach allem, nur nicht nach Weihnachten gewesen. Und jetzt verhinderte die für das Weihnachtsgefühl eines Europäers doch etwas zu hohe Temperatur die Weihnachtsstimmung. Von Frankreich war Balian Kälte und Schnee zu Weihnachten gewöhnt …
„Frohe Weihnachten, Mylord Balian!“, riss ihn der Wunsch des kleinen Königs aus seinen Gedanken. Balian ging vor dem Jungen in die Hocke.
„Frohe Weihnachten, mein König!“, erwiderte er den Weihnachtsgruß. Balduin umarmte ihn einfach.
„Schön, dass du Weihnachten mit uns feiern kannst, Onkel Balian! Ich hab’ mir das so gewünscht!“, juchzte Balduin und drückte Balian ganz fest an sich. Balian erwiderte die freudige Umarmung des Jungen gerührt.
‚Der Tag wird kommen, an dem Ihr Euch wünschen werdet, dieses kleine Übel begangen zu haben, um etwas wirklich Gutes zu bewirken’, hallte Sibyllas beleidigte Antwort in ihm nach, die sie ihm gegeben hatte, als er sich dagegen entschieden hatte, sich als Grund für die Hinrichtung Guys zur Verfügung zu stellen. Heute war wieder einer der Tage, an denen er seine Entscheidung bereute. Balduin ein guter Ersatzvater und Sibylla ein liebevoller Ehemann zu sein, entsprach durchaus Balians innigstem Wunsch; aber er ging nicht über Leichen, weder für sein eigenes noch für das Glück anderer. Nein, so pfuschte er dem Allmächtigen nicht ins Handwerk!
„Frohe Weihnachten, Mylord Balian!“, grüßte nun auch die Mutter des Königs. Balian stand auf und verneigte sich leicht vor der Prinzessin.
„Frohe Weihnachten, meine Prinzessin!“, gab er auch ihr den freundlichen Wunsch zurück.
„Mylord Balian, unser König hat Euch nach Bethlehem eingeladen. Ich freue mich, dass Ihr es möglich machen konntet, herzukommen.“
Balian lächelte leicht – und verführerisch.
„Wer wäre ich, käme ich meinen Pflichten als Leibwächter unseres Königs nicht nach?“
Die Wärme in seiner Stimme ließ Sibylla von einer ganz besonderen Weihnacht träumen.
„Nun, ich habe mich schon gefragt, ob Ihr Euch zerreißen wollt, so wie Ihr in letzter Zeit mit dem Schutz von Karawanen beschäftigt wart. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Ihr wirklich kommt“, versetzte die Prinzessin mit freundlichem Spott und einem so verführerischen Blick, dass es Balian ganz heiß wurde.
„Ich denke, es hat viel Unheil verhindert, dass meine Männer und ich die Karawanenrouten geschützt haben“, gab er sanft zurück.
„Warst du schon mal in Bethlehem, Onkel Balian?“, fragte Balduin. Balian sah zu ihm hinunter und schüttelte den Kopf.
„Dann komm mit! Ich will dir den Stall zeigen, wo unser Herr Jesus geboren wurde!“, quengelte Balduin und zog Balian an der Hand, damit er ihm folgte.
„Entschuldigt mich bitte“, bat Balian um Verzeihung, verbeugte sich und folgte Balduin um die Ecke der Geburtskirche.
Gleich dahinter war ein kleiner Stall, in dem ein Esel und ein Ochse genüsslich Heu aus einer Krippe fraßen, in die Balduin bequem hineingepasst hätte. Der Stall sah nicht sehr alt aus, jedenfalls nicht über tausend Jahre und war garantiert nicht jener Originalstall, in dem Maria den Gottessohn geboren hatte, aber Balian war doch angerührt von der Atmosphäre dieses Refugiums. Die kleine Laterne, die Balduin in seinen Händen hielt, vermittelte erst recht die Vorstellung, wie es an jenem Abend vor 1185 Jahren hätte gewesen sein können. Eben in der Kirche, so feierlich ein Weihnachtsgottesdienst auch sein mochte, hatte Balian nur mit halbem Ohr zugehört und das Geschehen nicht wirklich verinnerlicht. Aber hier, in diesem stillen Stall, hier war Weihnachten, auch ohne Kind in der Krippe, ohne Maria und Josef und ohne die Hirten, die von den Engeln hergeschickt worden waren.
„Hörst du, wie die Engel singen?“ fragte Balduin flüsternd. Balian hörte genauer hin. Ja, da war ferner Gesang, doch klang der eher nach noch ungeübten Benediktinernovizen, die gregorianische Choräle lernten. Er nickte schweigend. Irgendwann würden auch diese Novizen richtig singen können. Die Engel hatten schließlich auch mal angefangen …
„Jetzt fehlen nur noch die Drei Könige aus dem Morgenland“, murmelte Balduin weiter. Dann seufzte er tief. „Aber jetzt sind die bestimmt auch Sarazenen und glauben nicht an Jesus.“
„Weißt du, Balduin, die Muslime glauben schon an Jesus Christus. Aber sie sehen in ihm einen Propheten Gottes, nicht seinen Sohn“, erklärte Balian.
„Aber Guy nennt sie Ungläubige und Heiden, auch der Patriarch tut das. Die lügen doch nicht, oder?“
„Die Sarazenen nennen uns auch Ungläubige, weil sie nicht begreifen können, dass wir Gott in drei Gestalten ehren – Vater, Sohn und Heiliger Geist – und trotzdem immer nur den einen meinen. Das ist schwer zu erklären und mit dem menschlichen Verstand nicht wirklich zu erfassen. Die Muslime meinen, wir Christen glaubten nicht an einen Gott, sondern an drei, von den Heiligen mal abgesehen. Gott ist so unendlich groß, dass wir Menschen ihn uns nicht vorstellen können. Er kann in so verschiedenen Gestalten erscheinen, die wir alle noch gar nicht kennen und die wir nie kennen werden – aber es ist immer derselbe und immer nur einer“, erwiderte Balian sanft. Der Junge sah zu ihm auf.
„Kann Gott auch ein Ritter sein?“
„Wenn er will, kann er das. Gott ist allmächtig. Er kann alles“, bestätigte Balian.
„Glaubst du an Gott, Onkel Balian?“
„Ja, jetzt wieder.“
„Kann man denn nicht an ihn glauben?“, bohrte Balduin weiter.
„Wenn man großes Unglück erfahren hat, Balduin, dann kann man den Glauben verlieren. Ich bin an Gott verzweifelt, weil ich in wenigen Wochen alles verloren habe, was ich einmal hatte: Meine Frau, meinen kleinen Sohn, meinen Bruder, meine Heimat, meinen Vater und dessen Gefolgsleute. Als ich herkam, habe ich nicht mehr an Gott geglaubt – aber er hat an mich geglaubt und mir viel mehr wiedergegeben, als ich jemals hatte.“
„Und was hat er dir gegeben?“
„Eine neue Heimat, wunderbare Freunde nicht nur unter den Christen hier, ein schönes Land und schöne Häuser, die Liebe einer schönen Frau und meines Königs, eine ehrenvolle Aufgabe. Und er hat mir gezeigt, woher er kommt.“
Balduin sah im Schein der kleinen Laterne Tränen in Balians Augen glitzern.
„Warum weinst du?“, fragte er besorgt. Balian beugte sich zu ihm hinunter, eine Träne fiel zu Boden.
„Ich weine nicht, weil ich traurig bin, Balduin. Es sind Tränen der Freude, weil ich endlich wiedergefunden habe, was ich verloren hatte – und das ist mein Glaube. Jetzt, hier, in diesem Stall, habe ich meinen Glauben wieder gefunden. Danke, dass du mich hergeführt hast.“
Er kniete neben dem Jungen nieder und umarmte ihn voller Dankbarkeit
Als Balian und Balduin den kleinen Stall wieder verließen, hatte Balian bereits einen Plan, wie er dieses schöne Erlebnis bewahren wollte. Er dachte an das Modell der Stadtmauer von Jerusalem in Tiberias’ Amtszimmer. In ähnlicher Größe würde er ein Modell des Stalles von Bethlehem bauen, um nie wieder zu vergessen, wie es im Stall von Bethlehem aussah – samt Ochs und Esel, Maria und Josef, den Hirten und Schafen.
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Kapitel 2
Weihnachtswünsche
Der königliche Palast in Bethlehem war eher eine größere Villa, wie die Römer sie einst in Palästina gebaut hatten. Er lag nicht weit von der Geburtskirche entfernt. Sibylla und ihr Sohn wurden von vier dunkelhäutigen Dienern in sarazenischer Kleidung in einer Sänfte dorthin getragen, Balian ritt im Schritt daneben.
„Wann kehrt Ihr nach Jerusalem zurück, meine Prinzessin?“, erkundigte er sich. Sibylla sah zu ihm hoch.
„Noch heute Mittag. Der König muss sich dringend wieder um Jerusalem kümmern. Aber erst soll er sich ausschlafen. Es war ein langer Tag“, erwiderte sie. Ihr Blick fiel auf ihren Sohn, der neben ihr eingeschlafen war. „Bleibt Ihr noch in der Stadt, oder kehrt Ihr gleich wieder nach Nablus zurück, um die Karawanenroute zu schützen?“, fragte sie dann.
„Was wünscht Ihr, meine Prinzessin?“, erkundigte sich Balian mit einem sanften Lächeln.
„Ihr … Ihr wart lange nicht in Jerusalem. Ihr hattet noch nicht einmal Gelegenheit, dem König zu berichten, was sich auf der Pilgerstraße und der Karawanenroute ereignet hat. Bitte, bleibt wenigstens, bis wir wieder nach Jerusalem zurückkehren“, erwiderte sie und hoffte, dass die Diener die Sehnsucht in ihrer Stimme nicht wahrnahmen.
„Wie Ihr wünscht“, bestätigte er mit einer leichten Verbeugung.
Als die Sänfte den kleinen Palast erreichte, übergab der Baron sein Pferd einem der Bediensteten und hob den fest schlafenden Kindkönig aus dem Schoß seiner Mutter. Balduin auf dem einen Arm, half er Sibylla aus der Sänfte und folgte ihr dann in Balduins Schlafgemach, wo er den kleinen König vorsichtig in dessen Bett legte, damit er nicht aufwachte.
„Schlaf gut, mein kleiner König“, flüsterte er und gab ihm einen sanften Kuss auf die Stirn.
Sibylla sah sich noch einmal besorgt um. Nein, niemand war zu sehen. Sie nahm Balians Hand und zog ihn zu sich, umarmte ihn.
„Dass du gekommen bist und Guy für längere Zeit abwesend ist, ist das schönste Geschenk für mich und für meinen Sohn, Balian“, flüsterte sie, als sie sich aus dem zärtlichen Kuss löste. Er lächelte sanft.
„Für ein so reiches Haus habt ihr bescheidene Wünsche, du und dein Sohn“, erwiderte er.
„Sind deine unbescheidener?“, fragte sie mit schelmischem Augenaufschlag.
„Ja – und völlig unerfüllbar.“
„Im Heiligen Land gibt es keine unerfüllbaren Wünsche“, widersprach die Prinzessin. Er zog spöttisch eine Augenbraue hoch.
„Ah ja – dann haben wir also Frieden, weil die Sarazenen uns vorbehaltlos samt unserem Glauben akzeptieren, dann sind die Templer waffenlose Bettelmönche, Reynald hat jeglicher Gewalt abgeschworen und sein Schwert beim Schmied zwecks Umarbeitung in eine Pflugschar abgegeben, Guy hat dich einfach freigegeben und will als Einsiedler in Qumran am Toten Meer leben und der Patriarch ist kein Intrigant mehr? Hab’ ich was verpasst?“
Ihr blieb das heitere Lachen über die Ironie in seinen Worten fast im Hals stecken, als ihr bewusst wurde, wie unerfüllbar diese Wünsche tatsächlich waren.
Frieden – das hatte es im Heiligen Land wohl noch nie gegeben, seit die Israeliten hierher gezogen waren. Stets war Palästina ein unruhiges Land gewesen, ob zu Zeiten Abrahams, Moses’ oder Davids; ob während er Herrschaft der Assyrer, der Perser oder der Griechen, die in der Nachfolge Alexanders des Großen hier gewesen waren, ob zu römischer Zeit oder danach – wirklich immer war Palästina in mehr oder weniger heftigem Aufruhr. Alle drei Religionen, die das Heilige Land gegenwärtig für sich beanspruchten und in Jerusalem die jeweils anderen beiden Religionsparteien nicht dulden wollten, waren von ihrem Glauben her dem Frieden und der Barmherzigkeit verpflichtet, aber keine der Religionsgemeinschaften hielt sich an dieses Gebot. Jede Gemeinschaft suchte nur ihren eigenen Vorteil, in jeder der drei Gemeinschaften gab es allzu viele Individuen, die ihr persönliches Wohl über das aller anderen stellten.
Sibylla und Balian waren leise aus dem Gemach des kleinen Königs gegangen und – weil unbeobachtet – Arm in Arm zu Sibyllas persönlichen Gemächern geschlendert. Sie lehnte vertraulich an seiner Schulter.
„Was meinst du? Ob es den Frieden, den die Engel einst zu Weihnachten verkündeten, einmal wirklich geben wird?“, fragte die Prinzessin den geliebten Mann. Er drückte sie sanft an sich.
„Ich weiß es nicht, Sibylla. Aber eines weiß ich: Wenn der Friede nicht im Herzen beginnt, hat er keine Wurzel und kann nicht wachsen. Aber auch wenn er im Herzen geboren wurde und dort einen festen Halt hat, muss er zunächst erst noch durch den Magen, bevor er nach draußen kann. Frieden bedeutet auch, dass es keinen Mangel an den lebensnotwendigen Dingen gibt. Wie oft hat die Not an Wasser die Menschen hier in der Gegend fortgetrieben? Oder auf der anderen Jordanseite, wo alles karg und wüst ist? Oder auf dem Sinai? Israeliten und Philister haben sich um Weidegründe bekriegt, bevor sie sich religiös gestritten haben. Manchmal habe ich den Eindruck, dass der religiöse Gegensatz nur vorgeschoben ist und es in Wahrheit nur um Land und Wohlstand geht – und einer dem anderen nicht mal den Dreck unter den Nägeln gönnt“, sagte er leise. Sie blieb plötzlich stehen und sah interessiert auf seinen Rücken.
„Was suchst du?“, fragte er.
„Deine Flügel.“
„Welche Flügel?“
„Solche Worte wie du, die so voller Weisheit sind, sprechen in diesem Land nur die Engel“, erwiderte sie.
„Ich bin kein Engel, ich bin ein einfacher Mann“, entgegnete er mit dem ihm eigenen Ernst. Sie sah ihn lange an und war immer mehr davon überzeugt, dass hinter diesem Ritter mehr steckte, als durch die durchaus ansprechende Fassade zu dringen schien.
„Du bist ein Ritter – und das mit vollem Recht, nach allem, was ich gesehen habe …“
„… aber ganz gewiss kein Engel“, bremste er.
„Und wer anders als ein Engel des Herrn würde einem König die Stirn bieten und es ablehnen, sein Schwager zu werden, um gegen alle Wünsche der Menschen einen der schlimmsten Sünder zu retten?“
„Ein Sünder, der noch Schlimmeres auf dem Kerbholz hat und einfach Angst vor der ewigen Höllenstrafe hat – für sich selbst und für seine verstorbene Frau …“
Sie schüttelte den Kopf.
„Was du getan hast, weiß ich. Aber du stehst dazu und bereust, was du getan hast. Wenn ich über die Gleichnisse nachdenke, die Jesus seinen Jüngern zur Vergebung der Sünden erzählt hat, dann wirst du eines Tages direkt durchs Himmelstor zum Thron des Herrn gehen, und er wird dich willkommen heißen. Den reuigen Sünder, so steht es geschrieben, liebt der Herr mehr als alle stets Gerechten zusammen. Guy ist anders. Er kennt keine Reue, er kennt keine Nachsicht, er kennt keine Gnade. Nächstenliebe ist ein Fremdwort für ihn. Und deshalb bin ich überzeugt, dass der Erzengel Michael und der heilige Georg, der Schutzpatron der Ritter persönlich, Herrn de Lusignan direkt an der Höllenpforte abliefern werden, wenn ihn der Tod dahinrafft.“
„Sollen sie. Aber da ich Gottes Pläne nicht kenne und er sie mir auch sicher nie mitteilen wird, werde ich ihm nicht hineinpfuschen“, wehrte Balian ab. Sibylla lächelte spitzbübisch und nestelte sanft an seinem Gewand.
„Ich bin auch überzeugt davon, dass Gott sich etwas dabei gedacht hat, als er dich herführte. Er kann so einen wie Guy nicht wirklich gern haben, oder?“
Er lächelte.
„Nein, nicht wirklich. Jedenfalls nicht, wenn er sich nicht doch noch besinnt.“
„Er wird sich nicht besinnen. Glaub’ mir, ich kenne ihn. Eher finden sich Forellen und Hechte im Toten Meer, als dass Guy seine Taten bereut“, versetzte sie überzeugt. Er schüttelte leicht den Kopf und umarmte die Prinzessin.
„Jeder, auch der größte Lump, verdient eine Chance. Nach allem, was Jean mir zur Vergebung von Sünden erzählt hat, bin ich ganz sicher, dass es auch für den schlimmsten aller Sünder noch im Augenblick seines Todes die Möglichkeit zur Reue gibt – oder es doch Menschen gibt, die seiner mit Liebe gedenken. Deshalb, Sibylla, kann ich zum Beispiel nicht glauben, dass meine Frau Natalie in der Hölle ist, obwohl sie sich das Leben nahm. Ich habe sie sehr geliebt …“
„… und du liebst sie immer noch, oder?“, fragte sie mit einem enttäuschten Seufzen. Wenn er seine verstorbene Frau noch immer liebte, war sein Herz nicht frei. Sein Lächeln verstärkte sich.
„Ja, das tue ich – aber deshalb bin ich trotzdem für dich frei, mein Liebling. Ich habe einmal versprochen, sie zu lieben und zu ehren, bis dass der Tod uns scheidet. Der Tod hat uns geschieden, und so darf ich für dich und deinen Sohn da sein. Nichts wünsche ich mir mehr, als euch beide glücklich zu machen und euch die Liebe zu schenken, die euch aus Eigensucht oder Staatsräson verwehrt wird. Weihnachten ist das Fest der Liebe, und deshalb schenke ich euch beiden meine Liebe zu Weihnachten“, flüsterte er und küsste sie erneut.
„Widersprich mir nie wieder, wenn ich dich Engel nenne, Balian“, grinste sie, als er ihre Lippen wieder freigab. „Ich weiß zwar nicht, wo du deine Flügel hingepackt hast – aber den Heiligenschein sehe ich sehr deutlich“, lächelte sie, als ihr auffiel, dass sein Kopf vom Schein einer hinter ihm an der Wand steckenden Fackel umstrahlt wurde.
Einen Moment war Schweigen, als Sibylla das dunkelrote Kreuz auf der linken Seite seines Waffenrockes sanft mit einem Finger nachzeichnete.
„Hast du mal über die Bedeutung deines Namens nachgedacht?“, fragte sie ihn schließlich.
„Nein, nicht unbedingt. Mutter sagte mir einmal, sie habe mich nach dem Onkel meines Vaters genannt – sie hat mir nur nicht gesagt, dass es wirklich meines Vaters Onkel Balian war, der deinen Großvater gegen Hugo du Puiset unterstützt hat, gegen seinen eigenen Bruder …“
„Dann kennst du die Bedeutung nicht?“
„Nein.“
„Also, dein Name Balian ist ursprünglich Barisan gewesen. Balian der Alte hieß ursprünglich Barisan. Frag’ mich nicht, warum der Name sich so abgeschliffen hat – aber im Laufe von ganz kurzer Zeit, noch vor dem Aufstand gegen meinen Großvater, kannte man Barisan den Alten als Balian. Und das ist eine Erweiterung des bei den Rum-Seldschuken, den Türken, gebräuchlichen namens Baris. Er bedeutet soviel wie Frieden oder schließ Frieden. Und … wenn unsere Deuter nicht schwindeln, dann ist der Baris eine Fortentwicklung, praktisch eine weichere Aussprache des trojanischen Namens Paris*“, erklärte die Prinzessin. „Sagt dir der Name etwas?“, fragte sie dann. Er schüttelte den Kopf.
„Ich habe nicht deinen Bildungsstand, das muss ich bekennen.“
Sibylla erzählte Balian von der Ilias und der Odyssee, jenen großen Epen des griechischen Dichters Homer und vom Prinzen Paris, der Menelaos die Frau ausspannte. Balians Blick bekam einen Schatten.
„Nun, wenn mein so uralter Namensvetter Troja den Untergang brachte, denke ich besser nicht darüber nach, was ich alles anstellen werde – zumal ich auf dem besten Wege bin, auch jemandem die Frau auszuspannen …“
„Ich denke eher an die wunderschöne Bedeutung deines Namens – Frieden“, entgegnete sie weich. „Wenn du Balduin weiter so beschützt, wie du es tust, ihm deine Liebe schenkst und für ihn da bist, so wie dein Vater für meinen Bruder und mich da war, ihm die guten Gedanken weitergibst, die du mit deinem Vater teilst, dann wird er zu einem meinem Bruder gleichen König. Dann wird er den Frieden bewahren können, den mein Bruder mit Saladin schloss; dann kann Jerusalem vielleicht eines Tages wirklich den Frieden haben, den die Engel verkündeten.“
Balian erwiderte nichts. Was Sibylla aussprach, entsprach durchaus auch seinen Wünschen und Vorstellungen. Ob es eintreffen würde – nun das konnte nur die Zukunft zeigen. Aber Weihnachten ist schließlich eine Zeit, in der wir manches optimistischer sehen, als die Realität zulässt. Und manchmal … manchmal erfüllen sich die unmöglichsten Wünsche …
Kapitel 3
Geschenke und Gedanken
Der neue Tag brach mit hellem, warmem Sonnenschein an, den Balian mit Weihnachten nicht recht in Verbindung bringen konnte. Wirklich, es fühlte sich für ihn nach Ostern an, nach Frühling und nicht nach tiefstem Winter. Neben ihm schlief Sibylla noch und Balian mochte sie nicht wecken. Ganz leise stand er auf, zog sich ein Morgengewand an und sah nach Balduin. Auch der junge König schlief noch den Schlaf des Gerechten. Balian lächelte. Wenn die beiden Menschen, die ihm mehr bedeuteten als jeder andere im Heiligen Land, noch im Land der Träume waren, konnte er seine kleine Überraschung präsentieren.
Geschenke – insbesondere für Kinder – gab es im fränkischen Kulturkreis, zu dem auch das Heilige Land in dieser Zeit gehörte, eigentlich vom heiligen Nikolaus, und der gab seine Präsente am 6. Dezember ab. Zu Sankt Nikolaus war Balian aber nicht in Jerusalem gewesen und hatte deshalb Balduin und Sibylla die für sie bestimmten Geschenke noch nicht geben können.
Für Balduin hatte Balian im Laufe des Jahres schon eine beachtlich große Herde von etwa handgroßen Holzpferdchen geschnitzt. Jetzt hatte er als Ergänzung eine Kutsche gebaut, vor die die geschnitzten Pferdchen mit einem handgefertigten Geschirr aus Palmfasern gespannt werden konnten. Die winzigen, etwas über daumennagelgroßen Türen der Kutsche waren mit dem Jerusalemer Wappen versehen, das Balian mit einem ganz feinen Pinsel aufgemalt hatte. Seine Fingerfertigkeit auch im Umgang mit kleinen und zerbrechlichen Dingen war höchst erstaunlich, wenn man bedachte, welch grobe Kraft ein Schmied für gewöhnlich bei seinem Handwerk anwandte.
Für Sibyllas Geschenk hatte er bei einer Karawane, die in Ibelin Station gemacht hatte, einige kostbare Steine wie Rubine und Smaragde erworben, hatte sie geschliffen und in eine Kette verwandelt. Die Kettenglieder hatte er aus einigen römischen Denaren gemacht, die in einem alten Brunnen in Ibelin gefunden worden waren. Einst hatte an der Stelle, an der Ibelin nun war, eine römische Siedlung gelegen. Mancher der Einwohner hatte dem Boden unter seinem Haus mehr getraut als der eigenen Geldtruhe. Der Baron hatte lange mit sich gerungen, ob es ihm überhaupt zustand, der Prinzessin ein solches Geschenk zu machen. Aber von Tiberias hatte er erfahren können, dass entsprechend kostbare Geschenke an das Königshaus von den reichen Vasallen eher normal waren und er Sibylla nicht dem Verdacht des Ehebruchs aussetzte, wenn er ihr eine Silberkette schenkte – auch wenn es einfach Tatsache war, dass Sibylla und er nichts weniger als Ehebruch begingen, wenn sie in der Nacht zusammen waren … Tiberias hatte ihn sogar ermuntert, deutlich auf die Herkunft der Kette hinzuweisen und so steckte zwischen all den silbernen Teilen auch eines aus Gold, das aus Rubinen das rote Tatzenkreuz von Ibelin enthielt.
Balian komplimentierte einen der Hausdiener aus dem Speisezimmer, deckte selbst den Frühstückstisch und platzierte seine Geschenke gleich auf den Tellern der Prinzessin und des kleinen Königs.
Zufrieden mit den angerichteten Präsenten wollte er seine Gastgeber vorsichtig aus den Träumen der Weihnachtsnacht zurückholen und wäre auf dem Flur beinahe mit Balduin zusammengestoßen, der etwas zu suchen schien.
„Guten Morgen, mein König“, begrüßte er den Jungen. Balduin blieb erschrocken stehen und sah hoch. Seine Miene erhellte sich sofort. Mit einem Jauchzer sprang er Balian auf den Arm, umarmte ihn.
„Guten Morgen, Onkel Balian! Ich hab’ dich schon gesucht.“
Balian gab ihm einen väterlichen Kuss und sah ihn an.
„Und warum?“
„Weil ich dich was fragen wollte.“
„Und was?“
„Darf ich dich Papa nennen?“
Balian hätte Balduin beinahe vor Schreck fallen lassen. Er fing sich rechtzeitig.
„Balduin …“, setzte er zögernd an, „… weißt du, das … das ist schwierig.“
„Aber ich hab’ dich so lieb und Maman auch. Wir möchten, dass du bei uns bleibst – und nicht mehr fortgehst.“
„Aber das tue ich doch gar nicht. Ich bin doch bei euch“, erwiderte Balian. Balduin nestelte etwas verlegen an Balians Morgengewand.
„Ja, du bist zu Besuch, aber … aber …“, stotterte der Kleine.
„Aber?“
„… du musst ja wieder weggehen. Nach Ibelin oder nach Nablus oder in dein Haus in Jerusalem. Wenn … wenn du Maman heiraten würdest, dann könnest du doch bleiben, oder?“
„Balduin, deine Mama ist verheiratet“, erinnerte Balian sanft. Der Junge zog eine Schnute.
„Ja, mit dem dummen de Lusignan“, maulte er. „Ich mag ihn nicht und Maman mag ihn auch nicht. Ich find’ das nicht richtig, dass der mein Stiefvater ist und nicht du.“
Balian seufzte.
„Es gibt noch mehr, die das nicht gut finden, Balduin.“
„Dann kann man das doch ändern, oder?“
„Das ist nicht so einfach. Sieh mal, wenn zwei Menschen heiraten, dann versprechen sie sich, sich treu zu sein, so lange sie leben. Und sie versprechen sich, sich lieb zu haben. Und so ein Versprechen, das man sich vor dem lieben Gott gegeben hat, das kann man nicht einfach wieder zurückziehen. Das darf man nicht.“
„Aber wenn einer von beiden sich nicht an sein Versprechen hält, dann muss der andere das doch auch nicht tun, oder?“, fragte Balduin.
„Dann sollte man darüber reden, aber nicht einfach selbst sein Versprechen brechen“, versetzte Balian.
„Hat Maman ja versucht, aber der dumme de Lusignan, der hört ihr einfach nicht zu. Er hat sie nicht lieb und treu ist er ihr auch nicht“, erklärte Balduin überzeugt.
„Dass er sie nicht lieb hat, weiß ich. Aber was war das mit untreu sein?“, hakte Balian nach.
„Na, der ist doch dauernd mit dem de Châtillon weg und mit den Tempelrittern. Immer ist er ganz lange weg und wenn er wiederkommt, dann gibt es immer Streit mit den Sarazenen. Onkel Balduin hat immer gesagt, dass wir mit den Sarazenen unbedingt Frieden haben müssen, damit wir hier wohnen bleiben können. Aber der dumme de Lusignan, der will immer Krieg mit ihnen. Maman will doch auch, dass wir hierbleiben können und will mit Saladin Frieden haben. Warum tut er das, Onkel Balian? Warum ist er Maman nicht treu und tut, was sie nicht will? Warum hat sie ihn überhaupt geheiratet, wenn sie ihn nicht lieb hat und er sie nicht lieb hat?“
„Vielleicht solltest du das deine Mutter fragen, Balduin“, erwiderte Balian.
„Weißt du das denn?“
„Ja, sie hat es mir gesagt.“
„Duuuu, Onkel Balian …?“, fragte Balduin gedehnt.
„Hm?“
„Dein Papa hat immer gesagt, dass ein Ritter immer die Wahrheit sprechen muss.“
„Ja, das stimmt.“
„Dann sag du mir, warum Maman den dummen de Lusignan geheiratet hat und nicht dich, obwohl sie dich lieb hat und du sie doch auch.“
„Königlicher Befehl?“
Balduin nickte ernsthaft.
„Na schön …“, seufzte Balian und trug den kleinen König zu einem Diwan in dem großen Speisezimmer, wo er ihn absetzte und sich dann neben ihn setzte. Balduin rückte nahe zu ihm und lehnte sich an wie ein Sohn an den Vater. Balian legte ihm den rechten Arm um die schmale Schulter.
„Sieh mal, wenn man von Adel ist, so wie deine Mama, noch dazu aus königlichem Haus, dann kann man sich nicht einfach aussuchen, wen man heiraten möchte. Es gibt da sehr strenge Regeln. Und deine Großmutter, die hat den de Lusignan für deine Mama ausgesucht, als dein Vater gestorben ist“, erklärte Balian. Balduin sah zu ihm hoch.
„Und warum hat Großmama dich nicht ausgesucht?“
„Deine Großmama kannte mich gar nicht“, erwiderte Balian.
„Aber du bist doch Onkel Godfreys Sohn! Dann musste Großmama dich doch kennen!“, protestierte Balduin. Balian lächelte
„Das ist ganz schön kompliziert. Sieh mal, mein Vater und meine Mutter, die waren nicht verheiratet.“
„Aber dein Papa hat deine Mama doch lieb gehabt, oder?“
„Ja, das hat er“, bestätigte Balian.
„Und dann hat er sie nicht geheiratet? Schön blöd!“
Balian musste schallend lachen über die treffende Bemerkung seines jungen Schutzbefohlenen.
‚Kindermund tut Wahrheit kund’, dachte er. Balduin sah ihn verblüfft an. Balian lachte nicht häufig laut.
„Stimmt’s?“, fragte der Junge mit leuchtenden Augen nach.
„Ja, stimmt“, kicherte Balian und wischte sich eine Lachträne aus den Augen. „Aber die Sache hatte den Haken, dass meine Mama schon verheiratet war – mit unserem Dorfschmied. Mein Vater konnte sie nicht heiraten.“
Balduin sah ihn eine Weile grübelnd an.
„Also, deine Mama war mit einem anderen verheiratet, hat aber deinen Papa Godfrey lieb gehabt. Und meine Mama ist mit dem de Lusignan verheiratet und hat dich lieb. Dann kann ich dich auch Papa nennen!“, entschied Balduin mit bestechender, kindlicher Logik.
„Na, ja, mit dem kleinen Unterschied, dass mein Vater tatsächlich mein Vater war, aber ich nicht deiner bin. Du bist schließlich Guillaume von Montferrats Sohn“, entgegnete Balian lachend. Balduin sah ihn enttäuscht an.
„Und das ist nicht das gleiche?“
„Nein, das ist es nicht – leider.“
„Aber … du wärst doch auch gern mein Papa, oder? Maman sagt das jedenfalls oft zu mir und Maman schwindelt nicht“, kam Balduin unbeirrt auf sein Lieblingsthema zurück. Balian strich Balduin sanft durch das strohblonde Haar.
„Ja, das wär’ ich gern“, sagte er leise.
„Und auch gern Mamans Mann?“
„Ja, das wäre mir viel lieber. Aber es geht nicht. Maman ist eben mit Herrn de Lusignan verheiratet“, seufzte Balian.
„Hm, der de Lusignan ist nicht hier. Er hat gesagt, er kommt erst Ende Januar nach Jerusalem zurück. Bleibst du bis dahin bei Maman und mir, Onkel Balian?“, erkundigte sich Balduin.
Balian zuckte leicht zusammen. De Lusignan bis weit ins neue Jahr hinein abwesend? Was konnte der alles anrichten in der Zeit? Zwischen Jerusalem und Damaskus gab es viele kleinere moslemische Städte, die einem massierten Angriff der Templer nicht standhalten konnten. Er konnte sogar Damaskus überfallen oder zahlreiche Karawanen plündern …
„Bleibst du?“, fragte Balduin erneut, als Balian nicht antwortete.
„Einige Tage auf jeden Fall“, versprach der Baron.
„Nicht bis Ende Januar?“, hakte Balduin traurig nach.
„Das würde ich gerne.“
„Und warum tust du es dann nicht?“
„Weil de Lusignan mit de Châtillon und den Templern eine Menge Unheil stiften kann. Ich werde bald wieder die Karawanenroute beschützen müssen.“
„Och, schade. Ich hatte mich so gefreut, dass du wieder bei uns bist“, maulte Balduin. „Kann Almaric das nicht machen? Der hat das doch auch immer für Onkel Godfrey gemacht“, schlug er dann vor.
„Almaric hat Familie, Balduin. Er ist auch lange nicht zu Hause in Ibelin gewesen. Seine Frau und seine Kinder haben auch mal Anrecht auf ihn – wenigstens zu Weihnachten. Der arme Almaric hat das ganze Jahr über nicht einen freien Tag gehabt“, erklärte Balian. „Erst, weil er auf Ibelin aufgepasst hat, als mein Vater mich holte; dann hat er mir geholfen, mich zurechtzufinden und war immer für mich da. Tag und Nacht. Und jetzt habe ich ihm frei gegeben, damit er mal drei Wochen ganz für sich und seine Familie hat.“
„Weißt du, dass es richtig blöd ist, wenn man keine ganze Familie hat, Onkel Balian? Dein Hauptmann Almaric hat seine Familie, sein Freund Michel auch, aber Maman ist mit mir allein und du bist hier ganz allein, weil du doch gar keine Familie mehr hast. Ich will aber nicht, dass du immer allein bist. Darum … darum will ich dich ja als Papa“, sagte Balduin und sah Balian mit großen Augen an. Es dauerte einen Moment, bis Balian begriff, was Balduin ihm gerade gesagt hatte.
„Dann … dann möchtest du mir eine Familie schenken?“, fragte er verblüfft nach. Balduin nickte eifrig.
„Hmm, Maman und mich!“, bekräftigte er.
„Das ist ein großzügiges Geschenk, mein König“, lächelte Balian. „Eines großen Königs würdig. Es gibt kein größeres Geschenk, als sich selber zu verschenken. Danke.“
Sibylla war durch einen Sonnenstrahl geweckt worden, hatte festgestellt, dass das Bett neben ihr leer war und Balians Morgengewand nicht mehr auf dem Diwan im Schlafgemach lag, wo er es in der Nacht abgelegt hatte. Sie schlüpfte aus dem Bett, zog sich ihr eigenes Morgengewand an und sah nach ihrem Sohn, der ebenfalls nicht mehr in seinem Bett war. Dann hörte sie leise Stimmen und Balians schallendes Lachen aus dem Speisezimmer. Sie schlich auf Zehenspitzen dorthin und lauschte, was ihr Sohn und Balian miteinander redeten.
Jedem gegenüber konnte Balduin die frühzeitig eingeübte königliche Würde bewahren, nur gegenüber Balian nicht. In dessen Nähe taute er regelrecht auf, wurde ein fröhlicher und ganz normaler Junge, der gern spielte und ebenso gern lernte. Balian konnte mit Kindern umgehen, das wusste die Prinzessin aus Ibelin, wo die Kinder stets in Scharen in der Nähe ihres freundlichen Barons waren. Sibylla wusste, wie sehr Balduin an Balian hing und wie sehr der Junge ihn in den letzten Wochen vermisst hatte – mindestens so sehr wie sie selbst. Sie sah verstohlen um die Ecke und sah die beiden auf dem Diwan sitzen.
Balduins Vorschlag, Balian eine Familie zu schenken, trieb Sibylla ebenso Tränen der Freude in die Augen wie ihrem Geliebten.
„Und? Nehmt Ihr das Geschenk an, Herr von Ibelin?“, sagte sie, als sie nun das Zimmer betrat. Balian erhob sich höflich und verneigte sich leicht vor ihr.
„Guten Morgen, meine Prinzessin“, begrüßte er sie. Sie kam zu ihm und umarmte ihn.
„Guten Morgen, Mylord Balian“, erwiderte sie und küsste ihn.
„Siehst du?“ fragte Balduin und zupfte Balian an der Tunika. Er nickte.
„Also, nimmst du das Geschenk deines Königs an?“, fragte Sibylla weiter.
„Wenn Euch der Preis nicht zu hoch ist, ja, meine Prinzessin“, bestätigte er mit vorsichtigem Hinweis auf die nun einmal bestehende Ehe zwischen ihr und de Lusignan.
„Wir rechnen beide mit deinem Schutz, Balian“, lächelte sie.
„Mein Vater beauftragte mich, den König zu beschützen. Und das tue ich“, erwiderte er sanft, drückte auf der einen Seite Sibylla sanft an sich und strich mit der anderen Hand Balduin durch das Haar.
„Ich habe noch etwas für dich, Balian“, sagte Sibylla und machte sich vorsichtig aus seinem Arm frei. Aus der Truhe neben dem Diwan nahm sie ein seidenes Tuch heraus, das kreuzweise mit einer goldgewirkten Schnur verschnürt war. Balian nahm das Päckchen vorsichtig auseinander, schlug das Tuch auf und hatte eine silberne Kette mit einem silbernen Kreuzanhänger in der Hand. Das Kreuz war ein einfaches, lateinisches Kreuz, ähnlich wie das, was er bei seiner Ankunft in Jerusalem auf Golgota beerdigt hatte, nur feiner gearbeitet.
„Ich danke dir, Sibylla. Das ist eine Kostbarkeit“, bedankte er sich. Sie lächelte ihn an.
„Und ich möchte, dass du es trägst. Du bist ein christlicher Ritter“, setzte sie hinzu. Er nickte lächelnd und ließ sich von ihr die Kette umlegen.
„Da fällt mir ein – der heilige Nikolaus war auch bei mir und hat was für euch abgegeben …“, grinste er dann, holte die Geschenke für Sibylla und Balduin vom Tisch und überreichte sie ihnen.
Die Prinzessin besaß viel Schmuck, aber die Kette, die Balian ihr schenkte, die war etwas Besonderes.
„Sie ist wunderschön. Ich hoffe nur, Guy lässt dich deshalb nicht umbringen. Danke, Mylord Balian.“
Dem kleinen König verschlug die Kutsche mit Geschirr glatt die Sprache. Er umarmte Balian völlig überwältigt und hätte über der Freude über das schöne Geschenk beinahe noch das Frühstück vergessen.
Schließlich saßen sie aber doch alle drei am Frühstückstisch und ließen sich ein Morgenmahl schmecken, das man auch heute noch weihnachtlich nennen würde: Feigen, Mandarinen, ein mit Zimt, Koriander, Sternanis und Zucker gewürztes Früchtebrot, dazu einen Früchtetee, der auch viel Zimt enthielt und mit Zucker gesüßt war.
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Kapitel 4
Versprochen ist versprochen
Entgegen der in der Nacht zuvor geäußerten Absicht blieb Sibylla mit ihrem Sohn doch noch in Bethlehem. Obwohl Bethlehem als Geburtsort Christi gerade zu Weihnachten deutlich mehr von Pilgern besucht wurde als zu anderen Zeiten des Jahres, war der Ort immer noch sehr ruhig. Es herrschte eine Stille, die für gewöhnlich nur mit Weihnachten in Verbindung gebracht wurde. Zudem waren die Leute, die hier lebten, dem Königshaus sehr zugetan und liebten den kleinen König, hätten schier alles für ihn getan.
Balduin war früh für das Königreich Jerusalem in die Pflicht genommen worden. Am 20. November 1183 hatte sein Onkel, König Balduin IV., den in jenem Spätsommer gerade sechs Jahre alt gewordenen Jungen zum Mitkönig erhoben und damit seine Nachfolge geregelt. Seitdem hatte Balduins Kindheit eigentlich ein Ende gehabt, doch seine Mutter hatte immer wieder Mittel und Wege gefunden, ihrem Sohn doch noch Zeiten des Kindseindürfens zu ermöglichen.
Das Haus in Bethlehem hing damit eng zusammen. Wenn er hierher kam, dann war Balduin wieder Kind und er genoss es. Aber dieser Weihnachtstag war insofern etwas ganz Besonderes, weil es seit langer Zeit eine Familienweihnacht war, wie er sie sich immer gewünscht hatte. Mit Balian so richtig ausgelassen zu spielen, war ihm die größte Freude – und Balian hatte auch seinen Spaß daran, genoss den Aufenthalt in Bethlehem bei den Menschen, die er liebte.
Eine Woche verging; eine wundervolle Woche ungetrübten Familienidylls, in der Balian Sibylla ein zärtlicher und aufmerksamer „Ehemann“ war und Balduin den Vater ersetzte, den der Junge nie hatte kennen lernen dürfen. Diese Woche war für den jungen Baron ein erholsamerer Urlaub von seinen sonstigen ritterlichen Pflichten, als wenn er in Ibelin gewesen wäre, wo es ständig etwas für ihn zu tun gab. Hier, in Bethlehem, hatte er das Leben wirklich genießen dürfen, umsorgt von königlichen Dienern, die es sich einfach nicht verbieten ließen, Balian die gleiche Aufmerksamkeit zu schenken wie dem kleinen König und seiner Mutter. Wenn er mit dem Jungen nicht gespielt hatte, hatte er etwas mit ihm gemeinsam gebaut. Die Krippe nahm bereits Gestalt an, die Figuren, die sie bevölkern sollten, zeigten ihre Konturen. Balian, der für den Vizegrafen du Puiset daheim in Frankreich auch Belagerungsmaschinen gebaut hatte, arbeitete mit Holz ebenso geschickt wie mit Metall.
Als sich der Abend des Neujahrstages senkte, sammelten Balduin und Balian die ganze große Herde Holzpferdchen ein, mit der sie auf der Terrasse gespielt hatten. Die Dämmerung dauerte nicht lang und ging rasch in eine dunkle Nacht über. Balduins Blick ging nach oben zu einem sternenübersäten Himmel und zum Abendstern, der tief im Westen stand, dort, wo die Sonne untergegangen war und das letzte Tageslicht in einem wunderschönen Farbspiel von ganz schwarz über blau und violett zu kräftigem Rot am Horizont wurde.
„Was meinst du, Onkel Balian: Kann der Stern von Bethlehem so ausgesehen haben, wie der schöne leuchtende Stern dort in dem blauen Streifen?“, fragte Balduin. Balian sah zu dem hellen Stern.
„Vielleicht. Er ist sehr hell und die Weisen aus dem Morgenland kamen ja von der anderen Seite. Da haben sie ihn am Abend immer vor sich gehabt“, erwiderte Balian.
„Ob es die Weisen heute noch gibt?“, fragte Balduin weiter.
„Sicher nicht dieselben, die das Christuskind besucht haben“, gab Balian zurück. „Aber vielleicht gibt es Nachkommen von ihnen – auch wenn sie heute vermutlich Muslime sind.“
„Schade, ich wär’ ihnen gern begegnet“, sagte Balduin, nahm den Korb mit den Spielsachen und ging ins Haus. Balian blieb stehen und sah weiter auf den im Westen versinkenden Stern. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf, den er fast völlig vergessen hatte: Die Karawane! Er zuckte erschrocken zusammen.
„Woran denkst du?“, hörte er Sibyllas Frage dicht neben sich.
„Daran, dass ich ein Versprechen gegeben habe und es nicht halten kann“, antwortete der junge Ritter mit einem Seufzen. „Jedenfalls nicht, ohne dass Balduin mir Wortbruch vorwerfen wird.“
„Was meinst du?“
„Imad hat mich gebeten, eine Karawane zu beschützen, die von Damaskus auf dem Weg nach Alexandria ist“, seufzte Balian schwer. „Leider hatte ich das nicht mehr ganz im Kopf, als ich Balduin versprochen habe, einige Tage zu bleiben. Als er eben von den Weisen aus dem Morgenland sprach, fiel mir das wieder ein.“
„Und was willst du ihm jetzt sagen?“, erkundigte sich Sibylla. Balian rang sich ein Lächeln ab.
„Die Wahrheit – auch wenn sie mir unangenehm ist“, sagte er und ging ins Haus. Sibylla sah ihm nach.
‚Ein vollkommener Ritter!’, durchzuckte es sie. ‚Nach Ausreden würde Balian nie suchen. Wie mache ich ihm nur klar, dass es Momente gibt, in denen er besser nicht ganz die Wahrheit sagt?’
Balduin verstaute den Korb mit den Spielsachen in seiner Truhe, als Balian hereinkam.
„Balduin …“
Der Junge drehte sich um.
„Ja?“
Balian kam nahe zu ihm und kniete sich halb hin und nahm den Jungen liebevoll an den Schultern.
„Balduin, mir ist gerade etwas eingefallen – etwas, das ich fast vergessen hätte“, begann Balian. Balduin sah ihn einen Moment an.
„Und was?“
„Bevor … bevor ich herkam, habe ich einen Brief von meinem Freund Imad bekommen. Imad ist ein Heerführer von Sultan Saladin. Weißt du, wen ich meine?“
„Ja, er war mal mit dem Sultan bei Onkel Balduin. Ich glaub’, er ist ganz nett, auch wenn er ein Sarazene ist. Ist er wirklich ein Freund von dir?“
„Ja, das ist er“, bestätigte Balian. „Er hat mir mitgeteilt, dass Verwandte von ihm mit einer Karawane von Damaskus auf dem Weg nach Alexandria sind. Er hat mich gebeten, die Karawane zu beschützen, und das habe ich ihm versprochen. Sie … sie kommt bald an Ibelin vorbei.“
Balduin hatte eine dunkle Ahnung.
„Dann … dann kannst du doch nicht hierbleiben? Aber du hast es mir doch versprochen!“, rief er.
„Ja, das habe ich versprochen. Ich habe aber auch Imad versprochen, die Karawane zu beschützen, damit sie sicher nach Alexandria kommt.“
„Aber du kannst doch nicht beide Versprechen gleichzeitig halten!“
„Nein, das kann ich nicht“, erwiderte Balian mit traurigem Blick.
„Und ich hab’ gedacht, … du …“, schluchzte der Junge und brach in heiße Tränen aus. Balian umarmte ihn tröstend.
„Es tut mir Leid, Balduin. Es war ein dummer Fehler von mir, dass ich das Versprechen an Imad vergessen hatte, als ich dir versprochen habe, hier zu bleiben. Es tut mir so Leid, dass ich dir ein Versprechen gegeben habe, das ich nicht halten kann. Ich bitte dich um Verzeihung, Balduin.“
Balduin hielt Balian fest umarmt und schluchzte heftig. Dann machte er sich ganz vorsichtig aus der Umarmung des Ritters frei und schniefte heftig. Balian putzte ihm die Nase.
„Verzeihst du mir, Balduin?“, fragte er mit besorgtem Blick. Sehr zögernd nickte der kleine König.
„Aber du musst wiederkommen“, bedingte Balduin und schluchzte noch mal heftig. Balian nickte.
„Ja, das verspreche ich.“
Balduin zuckte ob dieser Worte heftig zusammen.
„Und dieses Versprechen werde ich halten, Balduin“, bekräftigte Balian. „Ich werde dir nie wieder etwas versprechen, was ich nicht halten kann.“
Mit gesenktem Kopf zupfte Balduin an Balians Tunika.
„Du, sind das Leute aus dem Morgenland, die du beschützen sollst?“, fragte er.
„Ja.“
„Solche wie die Drei Weisen?“
„Vielleicht.“
„Wenn … wenn das solche Leute sind, dann sag ihnen doch, dass … dass sie mal Bethlehem besuchen sollen und sich den Stall ansehen sollen. Wenn … wenn sie wissen, wo unser lieber Herr Jesus geboren wurde, werden sie vielleicht wieder Christen“, schlug Balduin vor.
„Ich kann es ihnen ja mal vorschlagen“, lächelte Balian und gab Balduin einen Kuss. „Ich bin bald zurück, mein König.“
Balduin nickte, aber seine Enttäuschung, dass Balian sein Versprechen nicht halten konnte, saß tief.
Als der Morgen kam, bereitete der junge Baron eilig den Aufbruch vor und ritt dann nach dem Frühstück fort. Balduin stand neben seiner Mutter und winkte, wie sie, Balian nach.
„Kommt er bestimmt zurück, Maman?“, fragte er.
„Ja, das wird er“, bestätigte Sibylla.
„Warum hat er mir was versprochen, was er nicht halten kann?“
Sibylla hockte sich zu ihrem Sohn.
„Weißt du, Balduin, wir machen alle mal Fehler. Menschen sind nicht vollkommen. Balian von Ibelin macht nicht viele Fehler und dieser tut ihm wirklich Leid. Aber er wird dich nie belügen und irgendwelche Ausflüchte suchen. Vergib ihm seinen Fehler und schätze dich glücklich, dass er dich so sehr liebt und dir ganz ehrlich gesagt hat, dass er was falsch gemacht hat“, sagte sie leise. Die Enttäuschung ihres Sohnes tat ihr weh, aber sie wusste, dass Balian nicht absichtlich sein Wort gebrochen hatte. Balduin nickte nur. Im Moment war er einfach nur traurig, dass die kurzen Weihnachtsferien vom Thron schon wieder beendet sein sollten …
Aber zuweilen kommt es anders, als man denkt – zum Guten oder zum Schlechten.
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Kapitel 5
Drei Weise aus dem Morgenland
Balian hatte es sehr eilig, um rechtzeitig in Ibelin zu sein, damit er mit seinen Leuten die Karawane auf der Pilgerstraße nach Gaza in Richtung der Grenze des Sultanats Ägypten eskortieren konnte. Dass das Ziel der Karawane nicht wirklich Alexandria war, wusste Balian noch nicht.
Balduin V. war seit März 1185, seit dem Tod seines Onkels Balduin, alleiniger König auf dem Thron in Jerusalem. Auf Rat von Tiberias, Balian und dem Johannitergroßmeister Roger de Moulins hatte der kleine König Gesandte nach Damaskus geschickt und erklärt, dass er den Frieden, den Balduin IV. geschworen hatte, ebenfalls halten wolle. Als Zeichen der Freundschaft hatte Balduin V. Ende November 1185, zu Beginn des den Muslimen heiligen Fastenmonats Ramadan*, Fahnen und Feldzeichen an Saladin gesandt, die in der Schlacht von Mont Gisgard in der Nähe des Ibelin-Lehens Ramle von den christlichen Rittern erbeutet worden waren. Ganz genau waren es jene Beutestücke, die Godfrey von Ibelin zugefallen waren, die Balian aus Freundschaft zu Imad ad-Din für diesen Zweck hergab. Eine Antwort auf die Botschaft des Friedens stand jetzt, einen guten Monat später, noch aus.
Balian forderte seinem Schimmel viel ab und erreichte in der Abenddämmerung des 2. Januar 1186 Ibelin. Almaric sah den eiligen Reiter und nahm ihn am Tor des Herrenhauses in Empfang.
„Willkommen, Mylord. Eine frohe Weihnachtszeit wünsche ich“, begrüßte er Balian.
„Danke, mein Freund. Das wünsche ich dir auch“, erwiderte Balian, stieg vom Pferd und umarmte seinen ersten Mann. „Gibt es schon Nachrichten von der Karawane?“, fragte er dann. Almaric lächelte hintergründig.
„Nachrichten? Sie ist in unserer Karawanserei, Mylord. Und Besuch habt Ihr auch.“
„Wer ist zu Besuch?“, erkundigte sich Balian und überließ seinen erschöpften Schimmel einem herbeieilenden Stallknecht, bei dem er sich bedankte und ihm ebenfalls eine gute Weihnachtszeit wünschte. Almarics Lächeln verbreiterte sich.
„Seht selbst, Mylord.“
Balian folgte dem Hauptmann in das Herrenhaus und fand auf der Terrasse unter dem Sonnensegel einen genüsslich Pfefferminztee trinkenden Imad ad-Din.
„As-Salam ‘alaykum, mein Freund!“, begrüßte Balian den Araber. Imad stellte das Teeglas weg und erhob sich mit einem freundlichen Lächeln.
„U ‘alaykum as-Salam!“, gab er den Friedensgruß zurück.
„Es tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, aber ich war beim König in Bethlehem eingeladen und habe schlicht vergessen, dass wir uns verabredet hatten. Ich bitte für meine Saumseligkeit um Entschuldigung, Imad.“
Der Sarazene klopfte Balian verstehend auf die Schulter.
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, wir sind zu früh hier, mein Freund. Dank deiner Männer konnten wir Ibelin ohne Zwischenfälle erreichen. Was für ein Paradies hast du daraus gemacht? Ich kannte es noch als wasserloses Halbwüstendorf, in dem die Kamele quer über die verdorrten Felder liefen!“
Balian lächelte halb verlegen und bat Imad mit einer Handbewegung, sich wieder zu setzen und nahm auf dem Diwan gegenüber Platz, schenkte sich auch von dem Pfefferminztee ein und hob Imad das Glas entgegen, der seine Geste erwiderte.
„Das war nicht ich, das waren die Bewohner von Ibelin“, schmälerte er seinen Anteil und trank einen Schluck Tee. „Ich habe nur den Anstoß dazu gegeben.“
„Wie war das? Sprich immer die Wahrheit … Das gilt auch für die Ehre, mein Freund. Deine Leute hier haben mir wahre Wunderdinge von dir erzählt. Dass du selber mitgegraben hast, die Wasserräder konstruiert hast, die Leitungen geplant …“
Imad stockte grinsend, als Balian abwehrend die Hände hob.
„Lass es gut sein, Imad. Wann wollt ihr nach Alexandria aufbrechen?“
„Da wollen wir nicht hin“, grinste der Araber. Balian sah ihn verwirrt an.
„Aber …“
„Ja, geschrieben habe ich es dir, aber es sollte eine Überraschung sein. Ich bin hier im offiziellen Auftrag meines Herrn, des Sultans Saladin. Dein junger König Balduin hat in seiner Großmut Kriegsbeute zurückgegeben und geschworen, den Frieden, den sein Vorgänger mit dem Sultan schloss, zu halten. Nun bringe ich Geschenke des Sultans für deinen König und das Versprechen, dass auch das Volk Mohammeds den Frieden bewahren wird, wenn ihr ihn nicht brecht. Deshalb wollen wir morgen mit dir nach Jerusalem aufbrechen.“
„Der König ist noch in Bethlehem und erwartet dort meine Rückkehr. Worin bestehen die Geschenke des Sultans?“
„Er sendet Kostbarkeiten, die nur ein Sultan senden kann: Gold, Weihrauch und Myrrhe“, pries Imad die Geschenke. „Und zudem hat er drei seiner Sterndeuter gesandt, damit sie deinem König die Sterne deuten, wenn er das wünscht.“
Jetzt war es Balian, der grinste.
„Was ist?“, fragte Imad. „Ist das für einen König nicht angemessen?“
„Oh, doch, gewiss, mein Freund. Nein, ich habe wegen der Zusammensetzung der Präsente lächeln müssen.“
„Warum?“
„Wie gut kennst du den christlichen Glauben?“
„Nun, ich weiß, dass ihr eure Götter Vater Sohn und Heiliger Geist nennt und dass das mindestens zwei zu viel sind, als dass ein gläubiger Muslim sich damit näher befassen sollte.“
„Ich bin nicht so gebildet wie du und könnte dir nicht erklären, dass es keine drei Götter sind, sondern nur einer; jedenfalls nicht so, dass du es verstehen und begreifen würdest – nicht weil ich meine, dass du zu dumm dafür bist. Ich bin zu dumm, es für einen Nichtchristen begreifbar zu erklären“, erwiderte Balian entwaffnend ehrlich. „Aber ich weiß, dass ihr Muslime Jesus von Nazareth, den wir Christus nennen, wenigstens für einen Propheten Gottes haltet, ist doch so, oder?“
„Ja“, bestätigte Imad.
„Als Jesus gerade geboren war, da kamen drei Weise aus dem Morgenland. Sie kamen von sehr weit her, vielleicht sogar aus deiner Heimat, dem Zweistromland. Diese Männer waren Sterndeuter und hatten einen hellen Stern aufgehen sehen in jener Nacht, in der Jesus geboren wurde. Es gab im Morgenland eine Prophezeiung, dass ein solcher Stern den neuen König der Juden ankündigen sollte. Sie waren diesem Stern gefolgt, hell und groß wie jener dort“, erzählte Balian und zeigte auf den Abendstern, der am klaren Nachthimmel gut zu erkennen war. „Sie kamen nach Jerusalem und suchten den neugeborenen König der Juden bei König Herodes. Doch der neue König war nicht dort“, fuhr er fort. „Im Traum erschien ihnen ein Engel des Herrn und sagte den Weisen, dass sie nicht in Jerusalem suchen sollten, sondern dem Stern weiter folgen sollten – und sie taten es und kamen nach Bethlehem, wo sie Jesus bei seiner Mutter Maria und seinem Ziehvater Josef in einem Stall in einer Krippe fanden. Sie huldigten dem Kind und brachten ihre Geschenke: Gold, Weihrauch und Myrrhe“, erklärte er weiter und ließ die Geschenkauswahl einen Moment bei Imad sacken, der große Augen bekam. „Morgen früh wird dieser Stern als Morgenstern wieder im Osten sein – dort, wo Bethlehem ist. Und da ist auch mein kleiner König, der keinen größeren Wunsch hat, als die Drei Weisen aus dem Morgenland kennen zu lernen, die gerade mit dir reisen“, ergänzte Balian mit einem sanften Lächeln.
Imad dachte eine Weile nach.
„Inschallah“, sagte er dann. „Gott ist groß und für uns Menschen unergründlich in seinen genauen Absichten. Die Geschenke hat der Sultan ausgesucht, und er ist ein gläubiger Moslem, der nie absichtlich etwas tun würde, was auf die Anerkennung eines anderen Glaubens als den an den wahren und einen Gott Allah hindeuten würde. Aber was für ein Zufall …“
„Imad, ist dir als ebenfalls gläubigem Moslem mal die Idee gekommen, dass es immer derselbe Gott sein könnte, den die Menschen meinen, wenn sie beten? Ob man ihn wie die Juden Jehova nennt, in eurer Sprache Allah oder in unserer Sprache Gott? Dass es diesem einen einzigen Gott ganz recht sein könnte, wenn wir ihn auf verschiedene Art verehren, weil er das vielleicht schön findet und die Vielfalt liebt?“, erkundigte sich Balian. Imad lächelte schelmisch.
„Balian, mein Freund, ich kenne dich gut und weiß, dass du nie einem anderen Menschen deinen Glauben aufnötigen würdest, schließlich leben in Ibelin Juden, Christen und Moslems miteinander in Frieden. Aber du säst Zweifel bei mir.“
„Was für Zweifel?“
„Dass es richtig von uns ist, darauf zu beharren, dass wir den einzig richtigen Glauben haben – oder richtig von euch, das für euren Glauben anzunehmen.“
„König Balduin IV. dachte ähnlich, und deshalb war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass Moslems, Juden und Christen in seinem Reich ihren Glauben frei ausüben konnten. Sein Neffe hat auf den Rat seiner Mutter und des Statthalters Tiberias diese Ansicht übernommen und wird jedem garantieren, dass er seinen Glauben so leben kann, wie er möchte. Es wäre schön, wenn ihr euch auch dazu durchringen könntet, uns samt unserem Glauben zu akzeptieren.“
„Man erntet, was man sät“, sagte Imad hintergründig. „Nein, mein Freund, ich meine nicht die Zweifel …“, grinste er dann, als er sah, dass sich auf Balians Gesicht Betroffenheit zeigte. „Wenn es mehr Franken wie dich gäbe, wäre vieles einfacher.“
„Danke. Brechen wir morgen früh nach Bethlehem auf?“
Imad nickte.
Am folgenden Morgen setzte sich eine Karawane von zwölf Kamelen noch vor Tagesanbruch in Richtung Bethlehem in Marsch, begleitet von zwanzig sarazenischen Reitern und zwanzig christlichen Soldaten im Dienste Ibelins mit Balian an der Spitze. Die Sterne verblassten, als letzter blieb noch der Morgenstern am Himmel sichtbar. Balian sah sich um und betrachtete die drei sarazenischen Sterndeuter, die auf den vordersten Kamelen saßen. Mit ihren Turbanen und ihrer sonstigen kostbaren Ausstattung machten sie in der Tat den Eindruck von Königen. Zwei waren arabischer Herkunft, der dritte hätte ein Verwandter von Firuz sein können, Baron Godfreys nubischem Gefolgsmann, der sein Leben für Balian geopfert hatte, obwohl er ihn nicht gekannt hatte, nur wenige Worte mit ihm in der Schmiede in Saint-Martin-sur-Eure gewechselt hatte. Der junge Baron musste sich kneifen, um zu glauben, was er sah. So viele Zufälle konnten nicht sein!
Die Karawane kam nicht so schnell voran wie ein einzelner, eiliger Reiter und musste unterwegs noch zweimal Station machen. Balian sandte zwei seiner Männer voraus, damit Sibylla und Balduin über die sarazenische Gesandtschaft informiert wurden. Für den kleinen König bedeutete das, dass er wieder König sein musste, was er im Moment nur widerwillig einsah. Aber wenn Balian dafür wieder nach Bethlehem kam, nahm Balduin dafür auch die königlichen Pflichten in Kauf.
Aber da gab es noch ein kleines Problem: Das königliche Haus in Bethlehem war zwar großzügig gebaut, hatte aber keinen Raum, der als Empfangshalle dienen konnte. So groß war es dann wieder nicht. Sibylla überlegte fieberhaft, wo ihr Sohn die Gesandten angemessen empfangen konnte. Sie überlegte, bis ihr Sohn eine Idee hatte, die die Königinmutter zunächst erschreckte, ihr dann aber ein Lächeln entlockte. In ganz Bethlehem gab es nur zwei Räume, die eine entsprechende Größe hatten. Einer davon war die Geburtskirche. Die Gesandten waren aber Moslems und würden eine christliche Kirche daher nicht betreten. Das gab dem anderen Raum den Vorzug – und das war der Stall hinter der Geburtskirche…
Am Abend des 5. Januar erreichte die Karawane Bethlehem. Für Moslems und Juden begann der neue Tag mit dem Sonnenuntergang, so dass es jedenfalls nach der Zeitrechnung der sarazenischen Gesandten bereits der folgende Tag war – jener Tag, der im christlichen Kalender der Dreikönigstag war. Im christlichen Kalender war der Dreikönigstag zu dieser Zeit in manchen Teilen Europas der eigentliche Neujahrstag, besonders in Gegenden, in denen die orthodoxe Konfession das Übergewicht hatte, und das hatte sich – trotz lateinischen Königtums mit katholisch-christlicher Konfession – auch im ursprünglich orthodox ausgerichteten Palästina erhalten.
So geschah es, dass drei Sterndeuter aus dem Morgenland am 6. Januar 1186 einem kleinen König in Bethlehem Gold, Weihrauch und Myrrhe als Geschenke brachten. Und bei dem kleinen König waren seine Mutter und der Mann, den er sich selbst als Vater ausgesucht hatte …
Als die Gesandten sich dann verabschiedeten, schaute Imad sich noch einmal in der Geburtsstadt Jesu um. Dann reichte er Balian in Freundschaft die Hand und sagte:
„Alles geschieht, wie Gott es will. As-Salam ‘alaykum, mein Freund.“
„U ‘alaykum as-Salam. Möge Allah mit dir sein, mein Freund“, erwiderte Balian.
„Und Christus mit dir und deinem kleinen König. Solange er König ist, wird es keinen Streit mehr zwischen Moslems und Christen geben.“
Balian stand vor der Geburtskirche und winkte dem Sarazenen nach, dann merkte er, dass ihn jemand an der Tunika zupfte. neben ihm stand Balduin und sah ihn mit großen Augen an.
„Bleibst du jetzt hier?“, fragte er vorsichtig. Balian bückte sich und nahm ihn auf den Arm.
„Das werde ich“, versprach er und gab Balduin einen Kuss.
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* Quelle: Firstname.de
* Beginn des Ramadan im Jahr 1185: Ich habe mir größte Mühe gegeben, den Beginn korrekt zu ermitteln. Ausgehend vom Beginn des islamischen Kalenders mit dem Auszug Mohammeds von Mekka nach Medina am 15. Juli 622 und einer jährlichen Rückverschiebung des islamischen Jahresanfangs von 11 Tagen sowie zusätzlichen 11 Schalttagen in einem 30-jährigen Zyklus, der Ermittlung der Anzahl der Tage mittels Excel-Kalkulation und der Verwendung eines Ewigen Online-Kalenders, in den die Anzahl der Tage des Julianischen Kalenders eingetragen werden können, habe ich den Beginn des Ramadan mit dem 25.11.1185 ermittelt.
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