Osloreise 2010

Es war eine wunderbare Tour, ein ganz tolles Geburtstagsgeschenk, das Wolfgang da eingefallen ist.

 

25.09.2010

Samstag, also direkt an meinem Geburtstag, sind wir vormittags mit dem Auto nach Kiel gefahren. Color Lines betreibt in der Nähe des Anlegers mehrere Parkplätze auf denen Fahrgäste, die ihr Auto nicht mitnehmen, ihre Fahrzeuge für relativ wenig Geld lassen können. Für die 48 Stunden haben wir 20 € bezahlt, das ist – verglichen mit sonstigen Innenstadtparkkosten – wirklich günstig. Das Wetter war gut, richtig schöner Sonnenschein. Völlig unverhofft präsentierte Kiel sich wieder mit einem Regatta-Wochenende, das immer gern für einen kleinen Jahrmarkt genutzt wird (deutlich kleiner als die Kieler Woche, aber immerhin vorhanden).

 

Eigentlich sind die auf der Fährlinie Kiel-Oslo verkehrende Color Fantasy und das praktisch baugleiche Schwesterschiff Color Magic Autofähren, aber … sagen wir’s mal so: Der Transport von Fahrzeugen ist bei den Color Lines sicher die Grundversorgung, das Geld wird aber mit den Passagieren verdient. Konsequenterweise wird die Color Fantasy auf den Positionsmeldungen im Netz als Passagierschiff bezeichnet und nicht als Fähre. Mit einer Länge von knapp 224 m, 35 m Breite, einer Höhe von gut 59 m bis zur obersten Mastspitze (52 m davon über Wasser!), 15 Decks, einer Kapazität von 2.667 Passgieren, 750 PKW und fast 1,3 Kilometer Ladekapazität für LKW gehört die Color Fantasy zu den wirklich großen Passagierschiffen, die sich hinter den Kreuzfahrtschiffen sicher nicht verstecken muss.

 

Wir hatten eine Außenkabine an Steuerbord (rechts in Fahrtrichtung auf dem Schiff) auf dem auf Deck 10 mit einem richtig großen Fenster – rund, wie es sich für Bullaugen nun mal gehört, gut eingerichtet mit normalem Doppelbett, Duschbad, Fernseher, zwei Sesseln und Schränken. Statt eines Kabinenschlüssels bekamen wir beim Einchecken im Terminal eine Magnetkarte, die auch als „Frühstücksausweis“ galt. Der Ausdruck aus dem Computer wollte gar nicht mehr aufhören: Tischreservierung für zwei Abendessen, zwei Gutscheine für das Abendbüffet, Ermäßigungsgutscheine für den Einkauf in den Duty Free Shops, ein Gutschein für die gebuchte Stadtrundfahrt in Oslo…

 

Wir richteten uns ein und gingen dann auf das Sonnendeck, um bei der Ausfahrt aus der Kieler Förde an der frischen Luft zu sein. Ein norwegischer LKW-Fahrer hätte das Schiff um ein Haar verpasst (schätze, er hat in der Kieler Innenstadt ein bisschen zu lange geshoppt oder Luft in Biergläser gepumpt …) jedenfalls rannte eine Minute vor zwei ein hektischer Fahrer zu einem mit PKW beladenen Laster und schoss mit Karacho vom Stellplatz um die Ecke über die Rampe ins Autodeck – hinter ihm ging die Klappe zu. Das muss fast noch Kratzer im Lack gegeben haben …

 

Mit wahrhaftig 60 Sekunden Verspätung (Pfui Teufel!) löste sich das Schiff vom Kai und glitt langsam durch eine ganze Flotte von Segelbooten der Süßwasseradmirale aus Kiel-Schilksee, die eine Regatta von historischen Seglern begleiteten, musste vor dem Nord-Ostsee-Kanal einem Containerfrachter von MSC Lines noch Vorfahrt gewähren. Vom Leuchtturm vor der Kieler Außenförde kam ein Lotsenboot und holte den Fördelotsen ab, fuhr dann noch weiter zu dem Containerfrachter, den die Fantasy überholt hatte, nachdem Captain Rune Johannsen den Frachter kurz zuvor hatte vorlassen müssen. Dann trennten sich auch die Wege des MSC-Frachters und der Fantasy.

 

Die Sonne verzog sich hinter dichter werdenden Wolken und wir verzogen uns nach innen und beschlossen, das Schiff zu erkunden. Die Einkaufs-, Amüsier- und Fressmeile konzentriert sich auf die Decks 6 und 7, aber auch auf dem Sonnendeck (Deck 13) und auf Deck 15 finden sich Restaurants und Bars. Wir schlenderten durch die Einkaufsmeile, sahen uns erst einmal an, was dort geboten wurde. Obwohl die Waren zollfrei verkauft werden, lohnte sich ein Einkauf in Sachen Parfümeriewaren oder Genussmittel selbst mit den Ermäßigungsgutscheinen nicht. Norwegen ist ein verdammt teures Pflaster – das gilt auch für Schiffe. Um „Linie-Aquavit“ zu kaufen, geht man besser in einen deutschen Supermarkt und nicht in den Duty Free Shop der Color Fantasy. Allenfalls für uns absolut exotische Waren wie Elch-Trockenfleisch oder Rentierwurst wären in Betracht gekommen …

 

Der Kaffee im Restaurant „Cosmopolitan“ im Heck war dafür mit 2,60 € ausgesprochen günstig. Dieses Restaurant liegt auf Deck 7 und ist in der Mitte zum nächsten Deck darunter offen. Über zwei geschwungene Treppen ist das auf Deck 6 gelegene Restaurant „Oceanic“ zu erreichen. Beide übereinander gelegenen Restaurants sind mit einem riesigen, dreiteiligen Panoramafenster abgeschlossen, das an die Heckfenster alter Segelschiffe erinnert – nur ist es etwas höher. Das zentrale Fenster reicht fast vom Boden des Decks 6 bis an die Decke des Decks 8; es ist geschätzt knapp zehn Meter hoch, die beiden äußeren Teile schließen auf der Hälfte des Decks 7 ab, dürften gut siebeneinhalb Meter hoch sein. Spiegel an der Decke von Deck 7 zeigen dem Fahrgast die schäumende Heckwelle – und spätestens bei diesem Anblick ist klar, wozu 42.000 PS starke Dieselmotoren in der Lage sind …

 

Für 17.30 Uhr hatte Wolfgang das Abendessen gebucht. Dieses „Grand Buffet“ ist unglaublich: Salat zum Selbstzusammenstellen, aber nicht nur ein paar grüne Blättchen …, Fischsuppe, Fisch in kalten und warmen Variationen, ebenso Fleisch in kalten und warmen Variationen, Kuchen in diversen Ausprägungen, Nachtisch von Eis über Rote Grütze bis Fruchtsalat und Cerealien, nicht zu vergessen Käse in einer Sortenvielfalt, die sich sehen lassen kann … Ich habe ja schon einige kalt-warme Buffets in Hotels zu sehen bekommen, aber so etwas noch nicht. Wer sich da komplett „durchgefressen“ hat, der macht Obelix Konkurrenz oder hat seinen Wohnsitz in Hobbingen … Wolfgang und ich nahmen eine Runde warm mit drei verschiedenen Sorten aus dem Angebot, ein zweite Runde kalten Fisch und Nachtisch. Obwohl wir wirklich sparsam waren und eher „Probierportionen“ genommen hatten, hatten wir das Gefühl, dass wir platzen würden, wenn wir auch nur noch ein Minzblättchen essen würden. Den eigentlich fälligen „Linie“ haben wir gestrichen. Wer weiß, was dann passiert wäre …

 

Während des Essens fuhr die Fantasy unter der Autobahnbrücke über den Großen Belt zwischen den dänischen Inseln Fünen und Seeland durch. Weil das Schiff im Großen Belt eher langsam fuhr, hatten wir auch nach dem Essen noch Gelegenheit die gewaltige Brücke zu begutachten, die sich unter Ausnutzung der Insel Sprogø 20 km über den Großen Belt spannt. In der Dämmerung waren die Positionslichter der Brücke, aber auch die riesigen Pylone gut erkennbar. Es war schon recht kühl, aber der Sonnenuntergang hinter Fünen war einfach grandios …

 

Als es dann dunkel war, wollten wir in einer der Bars auf dem Promenadendeck auf meinen Geburtstag anstoßen, aber es war höllelaut von schon ziemlich gut betankten Norwegern und leider viel zu lauter Musik. Ganz oben, auf Deck 15, der „Observation Lounge“ (direkt über der Brücke und mit dem gleichen Ausblick wie der Kapitän ein Deck tiefer), waren die einzigen noch freien Plätze genau die, die direkt am Flügel waren – nichts für unsere Ohren. In der Bibliothek daneben war es ebenfalls proppenvoll. Also verzogen wir uns in unsere Kabine und tranken mit Sekt aus der Minibar auf meinen Geburtstag, verfolgten den Weg unseres Schiffes durch die dänische Inselwelt im Routenprogramm am Fernseher. Die Position des Schiffes wird aus Sicherheitsgründen zwar leicht zeitversetzt angezeigt, aber für unsere Zwecke reichte es völlig.

 

Die einzige Bewegung, die wir nachts bemerkten, war die Rotation der Schraubenwelle, die regelmäßig wie ein Herzschlag im Schiff klopfte. Dennoch war es gewöhnungsbedürftig mit der Folge, dass ich nicht ganz so gut geschlafen habe.

 

26.09.2010

Morgens um sechs piepste Wolfgangs Handy vernehmlich, als ein norwegischer Mobilfunkanbieter uns eine freundliche Willkommens-SMS schickte. Entgegen seiner Absicht am Abend hatte er doch vergessen, es auszustellen, um genau das zu verhindern … Wir hatten uns gerade wieder hingelegt, als es an der Bordwand vernehmlich scharrte. Unsere Kabine lag offenbar genau über der Lotsenluke und das Scharren war das Fieren der Jakobsleiter, die dem Lotsen den Zugang zum Schiff ermöglicht. Um sieben meldete sich dann der Wecker und um halb neun saßen wir im Restaurant „Oceanic“ auf dem Achterdeck und genossen ein Frühstück mit atemberaubendem Blick auf den Oslofjord aus besagtem Riesenkajütenfenster.

 

Nach dem Frühstück verpackten wir uns in die dicken Westen plus Pullover und gingen aufs Sonnendeck. Es war zwar bedeckt und lausig kalt (+ 10° C mit Gegenwind aus Nordost), aber die Aussicht war einfach grandios. Der Oslofjord ist knapp 100 km lang und von unzähligen Inseln durchzogen, um die das Schiff geradezu Slalom fahren musste. Vor uns fuhr noch eine Fähre der DFDS-Linien, die von Kopenhagen kam und Oslo planmäßig eine halbe Stunde früher erreicht als die Schiffe der Color Lines.

 

Schlag 10.00 Uhr legte die Fantasy am Hjortnes-Terminal in Oslo an. Die Fahrer der Fahrzeuge hatten eine Viertelstunde vorher bei ihren Fahrzeugen zu sein, damit das Ausschiffen ohne Verzögerung beginnen konnte.

 

Auf Deck 7 war bereits Fußgängerstau, der sich auch nur zentimeterweise vorwärtsschob, als die Schotten um 10.10 Uhr geöffnet wurden. Wir steckten mittendrin und machten uns allmählich Sorgen, ob wir unseren Rundfahrtbus noch erwischen würden, der um 10.15 Uhr fahren sollte. Die Busse – zwei große Doppeldecker-Reisebusse mit jeweils 80 Plätzen – warteten aber brav, bis sich alle, die Rundfahrten gebucht hatten, endlich aus dem Fußgängerknäuel heraus gewühlt hatten und fuhren gegen halb elf dann ab.

 

Die Fahrt ging zunächst nach Bygdøy, der Museumsinsel von Oslo, auf der aber auch die Betuchten und die Diplomaten wohnen – dort liegen viele der in Oslo befindlichen Botschaften. Auch die Königsfamilie hat dort ein Wochenendhaus, das stets von Gardisten bewacht wird.

 

Auf der Insel befinden sich fünf Museen: Das Folkemuseum, das Wikingermuseum, das Fram-Museum, das Kon-Tiki-Museum sowie das Schifffahrtsmuseum. Das Folkemuseum ist ein Freilichtmuseum, in dem norwegische Häuser vieler Epochen stehen. Sie wurden an ihren ursprünglichen Standorten zerlegt und im Museum wieder aufgebaut. Auch eine der berühmten norwegischen Stabkirchen – komplett aus Holz gebaut und ohne einen einzigen Nagel standfest bis zum Zerfall des Holzes – ist dorthin versetzt worden. Nach den Worten unserer Stadtführerin Anette ist diese Kirche im Jahr 1150 gebaut worden … Im Wikingermuseum wird die Kultur der Wikinger lebendig, dort ist auch ein Wikingerschiff ausgestellt.

 

Color Lines hatte für die Stadtrundfahrt das Fram-Museum vorgesehen, alle anderen müssen warten, bis wir wieder nach Oslo kommen … Das Forschungsschiff, benutzt von Frithjof Nansen für seine Arktisexpedition und Roald Amundsen für die Südpolexpedition, ist dort im Original ausgestellt und für die Museumsbesucher begeh- und im Wortsinne begreifbar.

 

Nächste Station der Stadtrundfahrt war der Holmenkollen, Oslos Hausberg, auf dem die wohl berühmteste Skisprungschanze der Welt steht – sie war auch die erste ihrer Art. Gerade ist sie neu gebaut worden, weil in Oslo vom 24. Februar bis 6. März 2011 Weltmeisterschaften der nordischen Skisportarten (Skispringen, Langlauf, Nordische Kombination, Biathlon) stattfinden werden. Wegen der Bauarbeiten konnten wir nicht auf die Schanze oder ins neue Stadion, aber in der Vorbeifahrt konnten wir es wenigstens in Augenschein nehmen. Ehrlich: Freiwillig würde ich da nicht runterspringen … Sogar die Straße zum Stadion ist noch im Bau, weil sie deutlich verbreitert werden muss. Das bedeutet Einschränkungen für den Fahrzeugverkehr und entsprechende Umleitungen durch sonst so gut wie gar nicht befahrene Straßen und Gässchen …

 

Das Wohnviertel am Holmenkollen gehört zu den nobelsten in Oslo. Hier wohnen die Reichen und Schönen, auch die Königsfamilie hat hier ein Anwesen. Man kann sich vorstellen, wie begeistert diese Leute sind, dass durch ihre sonst so ruhigen Straßen jetzt im Stundentakt die großen Reisebusse der Stadtrundfahrten rollen.

 

Dritte Station der Rundfahrt war der Gustav-Vigeland-Skulpturenpark, der ausschließlich mit bildhauerischen Werken von Vigeland gestaltet ist. Seine Skulpturen sind – jedenfalls im Park – ausschließlich naturalistisch dargestellte Menschen und sind zumeist zu Lebenszyklen angeordnet. Kernstücke sind eine 17 m hohe Granitsäule aus 121 Figuren, ein Brunnen mit zwölf Figurengruppen aus Bronze am Beckenrand sowie einer riesigen bronzenen Schüssel, die von überlebensgroßen männlichen Figuren getragen wird und eine Brücke mit 58 Einzelfiguren, darunter der berühmte Trotzkopf. Säule und Brunnen sind Lebenszyklen, die Einzelfiguren haben keine besondere Ordnung.

 

Der Skulpturenpark ist ein öffentlicher und offensichtlich gut genutzter Park, in dem zahlreiche Menschen aller Altersklassen flanierten. Das schöne Wetter trug durchaus auch zum guten Besuch des Parks bei.

 

Vom Skulpturenpark führte der Weg wieder zurück zum Hjortnes-Terminal, den der Bus nach einer kleinen Verzögerung wegen des Oslo-Stadtmarathons gegen 13.30 Uhr bei richtig schönem Sonnenschein erreichte. Von Stadtführerin Anette erfuhren wir auf der Fahrt noch, dass die Osloer selbst ihre Stadt Uslo nennen, unter jungen Leuten hat sich gar Uschlo eingebürgert.

 

Wir waren gerade zurück an Bord und hatten uns die wärmeren Westen mit Pullover angezogen und waren auf dem Sonnendeck, als die Festmacher die Leinen Color Fantasy losmachten. Captain Rune setzte mit seinem Schiff ein Stück zurück und vom Kai weg, fuhr dann nach Steuerbord rückwärts ab, drehte dann, nachdem sie frei war, schier auf dem Teller und fuhr nach einer 90°-Drehung nach Süden ab. Die Museumsinsel Bygdøy mit dem Fram-Museum, dem Kon-Tiki-Museum und dem Marinemuseum blieb an Steuerbord zurück.

 

Zur Überbrückung bis zum Abendessen holten wir aus dem Burger-Restaurant auf dem Sonnendeck Cheeseburger und Bier. Beim Bezahlen kam uns der leise Verdacht, wir hätten gerade Anteilscheine an der Bar da oben gekauft. 45 norwegische Kronen oder 7 € für den Burger und 44 Kronen oder 6,50 € für 0,5 l Bier! Der Burger war zwar der größte, den ich je gesehen habe, aber dreimal so groß wie ein normaler Cheeseburger war er dann auch nicht … Immerhin, es schmeckte gut und verhinderte, dass wir – dank hobbitmäßig ausgebeulten Magens vom Buffet des Vortages – noch die Reling anknabberten.

 

Die Fahrt durch den Oslo-Fjord kam uns zurück deutlich schneller vor. Mag sein, dass die Fantasy tatsächlich schneller war und wir auf dem Hinweg durch die vorausfahrende Fähre der DFDS-Linien langsamer fahren mussten, weil vielleicht ein Überholen in den engen Passagen des Fjords nicht möglich ist (aber das ist Spekulation …). Der Himmel war bis etwa 35 km vor dem Ende des Fjords strahlend blau. Dort, in Höhe der Raffinerie Slagentangen am westlichen Ufer des Oslofjords, zog es zu und fortan war die Sonne nicht mehr zu sehen.

 

Gegen 16.45 Uhr, etwa eine Viertelstunde früher als geplant, verließ die Color Fantasy beim Leuchtturm Færder Fyr den Oslo-Fjord und fuhr in den Skagerrak ein. Der Skagerrak gilt als Teil der Nordsee. Die Ostsee endet – nach traditioneller Sichtweise der Skandinavier – an Großem Belt und Öresund, die südlich des Kattegats zwischen Dänemark im Westen und Schweden im Osten liegen. Das Kattegat bildet nach skandinavischer Auffassung ein eigenes Meer. Der Nordostwind hatte hier richtig Platz zum Luftholen und türmte die Wellen deutlich höher auf, als sie im Fjord gewesen waren. An Backbord kam uns ein Segler unter norwegischer Flagge entgegen, der angesichts des scharfen Windes – es mochte bestimmt Windstärke 6 – 7 sein, wenn nicht sogar mehr – das Focksegel nur halb gesetzt hatte und gegen die Wellen kämpfte, die der Wind und die Fantasy ihm entgegenwarfen. Wir schüttelten nur den Kopf. Bei so einem Wetter einen Ausflug per Sportboot Richtung Schweden zu machen, war schon ziemlich bescheuert … Die spinnen, die Wikinger! Der Segler tanzte jedenfalls mehr als nur heftig in den Wellen, was uns andererseits einen Begriff davon gab, was sich da vierzig Meter unter uns wirklich tat. Und wir standen oben an Deck und bemerkten von den Wellen absolut nichts! Ich habe mich später nur gewundert, weshalb ich Salz an der Brille hatte …

 

Dann war es Zeit zum Abendessen, das wiederum aus dem Skandinavischen Monsterbuffet bestand, das jeden Hobbit zum Platzen gebracht hätte. Während des Essens meldete mein Popometer (das Gleichgewichtsgefühl im menschlichen Achtersteven, das auch jeder Reiter kennt), dass das Schiff nach Backbord leichte Schlagseite hatte. Ein Blick aus dem Fenster des Speiseraums in der Mitte von Deck 6 bestätigte, dass die Fantasy gaaaanz leicht um die Längsachse schwankte, sagen wir mal zwei bis drei Grad. Das ist für ein Schiff dieser Größe nichts!

 

Nach dem Essen war es praktisch dunkel, aber die Lichter der Städte an der Ostseite des Skagerraks waren gut zu erkennen. Der Wind hatte inzwischen noch mehr zugenommen, es war kälter geworden, so dass wir dann doch noch einen kleinen Einkaufsbummel auf Deck 7 machten, weshalb nun ein norwegisches Fähnchen meine Sammlung ziert, mein nachmittäglicher Kaffee in einer Norwegentasse schwappt und auch Schwiegermom und Schwager mit kleinen Mitbringseln bedacht wurden.

 

Die weitere Beobachtung der Außenwelt machten wir dann nach unserem Bummel von der Kabine aus. So etwa viertel vor neun kam der Leuchtturm von Skagen in Sicht. Der Skagerrak lag hinter uns und vor uns das Kattegat. Von da an hatten wir dann fast stets Lichter der dänischen Orte am westlichen Ufer des Kattegats an Steuerbord neben uns. Mithilfe unseres eigenen Navigationsgerätes konnten wir genau sehen, wo wir waren.

 

Nach der Tourenkarte der Reederei war die Begegnung der Color Fantasy mit dem aus Kiel kommenden Schwesterschiff Color Magic gegen 23.30 Uhr in Höhe der Insel Anholt zu erwarten. Etwa gegen elf Uhr machten wir uns auf den Weg zum Deck 15, um vom dortigen Restaurant die Begegnung zu beobachten. Alles voll! Aber in der Ferne war ein Schiff zu sehen, das uns anscheinend an Steuerbord entgegenkam. Wir – das heißt in diesem Fall ich – schlossen daraus messerscharf, dass die Magic uns an Steuerbord passieren würde. Und wenn da oben kein Platz war, dann konnten wir das auch von unserer Kabine aus sehen.

 

Doch Anholt kam an Steuerbord in Sicht – aber die Magic nicht. So bei Mitternacht dämmerte uns, dass der Kurs südlich von Anholt nach Westen schwenkte, die Fantasy also nach Steuerbord drehen musste … Die Magic war natürlich doch an Backbord vorbeigefahren … Und was wir vor uns gesehen hatten, war die Stena Germanica, die aus Göteborg kam und Kiel planmäßig etwa eine Stunde vor uns erreichen würde. Die Begegnung mit der Magic war vermutlich um 23.30 Uhr südlich von Anholt gewesen.

 

Die Wellen im Kattegat waren nicht weniger hoch als im Skagerrak mit der Folge, dass die Gischt bis hinauf an unser Kajütenfenster spritzte, was nicht zur Verbesserung der Sicht nach draußen beitrug, aber geschwankt ist die Fantasy trotzdem nicht.

 

27.09.2010

Gegen fünf Uhr wachte ich von einem leisen Piepen auf und sah Wolfgang am Fenster mit dem Navi in der Hand. Ich fragte, weshalb er das Navi eingeschaltet hatte und er wies mich darauf hin, dass die Beltbrücke nicht mehr weit sein könne. Auf dem Navi war sie auch schon sichtbar – und nur Minuten später auch aus dem Fenster. Die Autos im einsetzenden montäglichen Berufsverkehr waren wie eine Perlenkette auf der Brücke. Ein wirklich beeindruckendes Bauwerk, das wir jetzt richtig sehen konnten. Zwar war es stockdunkel, aber die Brücke selbst ist gut beleuchtet, die Pylone erst recht. Das Ding strahlt wie ein Weihnachtsbaum.

 

Was für einen Seegang wir tatsächlich hatten, stellten wir dann am Morgen beim Frühstück kurz vor dem Erreichen der Kieler Bucht fest: Das Lotsenversetzboot fuhr hinter uns am „Spiegelfenster“ (das riesige Teil da achtern) vorbei und tanzte in den Wellen wie ein Korken in der Brandung – und unser Kaffee schwappte keinen Millimeter …

 

Um halb zehn war die Fantasy schon gedreht und setzte rückwärts an den Kai, um zehn vor zehn war die Heckklappe schon offen und die ersten Fahrzeuge verließen das Schiff. Zwanzig nach zehn waren wir dann auch draußen und gingen zu unserem Auto, das nur wenige Meter von der Schiffswand entfernt auf dem Parkplatz stand.

 

Alles in allem: Eine tolle Reise, eine schöne Stadt, eine Superidee, mir die Reise zum Geburtstag zu schenken. Wir waren gewiss nicht zum letzten Mal in Oslo, auch wenn wir das nächste Mal vermutlich fliegen werden, um mehr Zeit in Oslo zu haben. Aber mit den Color Lines sind wir ganz bestimmt auch nicht zum letzten Mal gefahren.

 

Und jeden Tag um halb zehn guckt Wolfgang, was „unser“ Schiff und seine Schwester denn machen, wie das Wetter unterwegs ist …

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