Feuerhimmel Teil 2

Was bisher geschah

Feuerhimmel ist eine Geschichte, die ursprünglich als Einzelgeschichte veröffentlicht werden sollte. Nachdem der Umfang beim Schreiben immer größer wurde und letztlich vom Kriegsausbruch 1939 bis zur Luftbrücke 1949 reichen soll, habe ich mich entschlossen, daraus zwei bis drei Teile zu machen.

Teil 1 umfasst den zeitlichen Rahmen vom Kriegsausbruch 1939 bis zur Operation Gomorrha 1943.

Steve Donovan ist Captain der US Army Air Force und befindet sich Ende August/Anfang September 1939 als Militärattaché am amerikanischen Generalkonsulat in Hamburg. Seine Verbindung zu dem deutschen Verkehrspiloten Siegfried Heinsohn ist der Gestapo ein Dorn im Auge. Mithilfe von Heinsohn selbst und einem seiner Bekannten kann Donovan sich dem Zugriff der Gestapo aber entziehen und Deutschland verlassen.

Zurück in den USA erhält er einen Posten als Fluglehrer in Arizona. Beim Weihnachtsbesuch bei seinem älteren Bruder Sid in Washington bekommt er den Auftrag, zusammen mit Sid den kurz zuvor im Rio de la Plata versenkten deutschen Kreuzer Admiral Graf Spee näher zu untersuchen. Die Brüder entdecken dabei ein Radargerät, das auf einer bislang unbekannt kurzen Wellenlänge operiert.

Die Briten zeigen Interesse an der Entdeckung. Um die Informationen ohne Störung der amerikanischen Neutralität an die Briten weitergeben zu können, schließt Donovan sich der Eagle Squadron an, einer amerikanischen Freiwilligeneinheit der britischen Royal Air Force. Er bekommt eine Einladung zu den „Sonntagsgesprächen“ bei Dr. R. V. Jones, die dem Meinungs- und Informationsaustausch zwischen Forschern und Militärs in Großbritannien dienen.

Dabei lernt er den britischen Piloten Daniel Collins kennen, mit dem er schnell Freundschaft schließt. Collins‘ Schwester Harriet ist Luftwaffenhelferin und arbeitet als Jägerleiterin in einer der Radarstationen. Steves vorsichtige Annährungsversuche blockt sie ab, weil sie ihre Arbeit für zu wichtig hält, um sie durch swingende Hormone zu gefährden.

Als Donovan nach einer Verwundung seine Rekonvaleszenz als Fluglotse im Tower verbringt, hat Harriet den Job, ihn einzuarbeiten und tut dies nur widerwillig. Steve lässt ihr Zeit und beginnt neben der Fluglotsentätigkeit eigenmächtige Einsätze als Rettungsflieger, der abgestürzte Flieger aus dem Ärmelkanal fischt. Bei einem solchen Einsatz kann er mit seinem Team Daniel Collins nach dem Absturz seines Bombers aus dem Kanal retten. Harriet, die schon langsam aufgetaut ist, weil Steve sie als Soldatin ernst nimmt, wehrt sich nicht länger dagegen, die vorsichtig aufgebaute Freundschaft zu Donovan Liebe zu nennen.

Um seinem an den Boden genagelten Freund etwas Gutes zu tun, empfiehlt Daniel seinem Geschwaderkommodore Donovan als erstklassigen Piloten – wobei er übersieht, dass Donovan Bomber wie die Pest hasst. Gegen seinen Willen muss Donovan Bomber fliegen, legt sich mit dem britischen Geschwaderkommodore Henderson an und fängt sich eine Strafversetzung nach Afrika. Harriet kommt der Verdacht, ihr Freund wolle sich elegant absetzen und verweigert den Kontakt zu ihm.

Kurz bevor er wieder nach England versetzt werden soll, wird Steve in der nordafrikanischen Wüste abgeschossen und so schwer verwundet, dass er nur in Großbritannien behandelt werden kann. Ein Bekannter von Donovan informiert Harriet und Daniel über Steves Zustand. Die Geschwister sorgen dafür, dass er in die richtige Behandlung kommt. Das Missverständnis zwischen Steve und Harriet kann geklärt werden; sie heiraten und wohnen in Harriets Elternhaus, das nicht weit von Donovans Stationierungsort entfernt ist.

Weil Steve luftsüchtig ist, verhindert sein amerikanischer Geschwaderchef Worsley, dass er zur Genesung wieder in einen Tower und damit in die Nähe von Flugzeugen kommt. Als Adjutant des Geschwaderchefs ist Donovan an den Plänen des Luftkrieges beteiligt. Sein Chef, der um Donovans strikte Ablehnung der Bombardierung von Zivilisten weiß, will ihn dabei haben, um dessen Wissen um wirkliche militärische Ziele ausmachen zu können.

Steve liefert die Daten, aber die Operation Gomorrha richtet sich dennoch hauptsächlich gegen Zivilisten. Die Schrecken dieser Bombenangriffe bringen den Bomberfreund Daniel Collins zum Nachdenken …

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Kapitel 1

Nachwirkungen


Nachdem die RAF und die USAAF ihre tagelangen massiven Angriffe auf Hamburg endlich beendet hatten und die Brände gelöscht waren, überflogen Aufklärer die zerstörte Stadt und dokumentierten mit Fotos das Ausmaß der Vernichtung. Auch Colonel Worsley erhielt solche Aufklärungsfotos. Als Steve sie sah, schüttelte er nur noch den Kopf. Worsley, der die kritische Einstellung seines Adjutanten kannte, fragte ihn dennoch nach dem Grund für sein Kopfschütteln.

„Sir, Sie wissen, dass ich was gegen Bomben auf Zivilisten habe. Aber das hier ist der Hammer. Sehen Sie sich das mal an.“

„Was meinen Sie?“, fragte der General. Steve wies ihn auf zahlreiche kleine Einschläge neben großen Bombenkratern hin.

„Hier, was für Scheißzünder sind das eigentlich?“

„Verstehe nicht.“

„Sir, diese kleinen Krater, das sind Blindgänger. Und das in einer Zahl, die mich befürchten lässt, dass die Deutschen noch in den nächsten zwanzig Jahren was vom Krieg haben sollen. Und das auch nur, wenn wir ihnen diese Bilder noch heute per Post schicken!“

Steves Schätzung war falsch – er hatte sich um einige Jahrzehnte verkalkuliert, denn selbst heute, mehr als achtzig Jahre nach der Operation Gomorrha, werden noch immer Blindgänger in Hamburg gefunden. In anderen Städten übrigens auch – und gewiss nicht nur in Deutschland …

„Sie haben angefangen, vergessen Sie das nicht“, mahnte Worsley.

„Sir, Krieg ist ein bestimmter Zustand. Er kann durch eine Kapitulation der einen oder der anderen Seite beendet werden. Wir fordern Deutschlands bedingungslose Kapitulation. Okay, von mir aus! Aber diese Scheißdinger hier, die werden den Krieg problemlos überleben, Sir, für lange Zeit. Die Deutschen werden beim Trümmerräumen nach dem Krieg noch ihre Freude damit haben; zu einer Zeit, zu der kein Krieg mehr ist. Ich halte das nicht für fair, Sir“, erklärte Steve.

„Krieg ist nicht fair, Captain“, erwiderte Worsley.

„Offenbar wollen wir auch im Frieden nicht fair sein, sonst würden wir nicht solche zweifelhaften Zünder bauen, Sir.“

„Sie sind gegen Bomben, aber explodieren sollen sie! Das versteh’ ein anderer!“, seufzte Worsley.

„Ja, Sir, ich bin gegen Bomben auf Zivilisten. Aber ich bin noch mehr dagegen, ihnen auch noch solche faulen Eier ins Nest zu legen. Mal abgesehen davon, dass wir – würden wir bessere Zünder bauen – mit weniger Bomben auskommen würden, um den gleichen Effekt zu erzielen. Spart auch noch Geld und das Personal, das den Mist dahin fliegen muss. Noch eine Anmerkung, Sir: Die Douhet*-Theorie behauptet doch, mit Flächenbombardements sei eine schnelle Kapitulation zu erzwingen. Bisher habe ich davon nichts gemerkt. Schmeißen Sie Mr. Hitler so ein paar Dinger auf den Schoß – in der Reichskanzlei, in seinem Führerhauptquartier, sonst wo; aber bitte Mr. Hitler persönlich. Dann glaube ich an eine Kapitulation; ansonsten werden wir einen verdammt weiten Weg nach Berlin gehen müssen, Sir. Hitler ist ein Diktator, dem Menschenleben egal sind – einschließlich der Leben seines Volkes. Bedrohen Sie ihn persönlich, dann regelt sich die Sache. Es gibt einen sehr alten Spruch, aber ich glaube, er hat bis heute Gültigkeit: Kriege werden nicht gewonnen, wenn Soldaten fallen, sie werden gewonnen, wenn Könige fallen. Für Staatspräsidenten gilt das meiner Meinung nach auch, Sir.“

„Stimmt“, bestätigte Worsley nickend. „Und wie kommen wir an den Lumpen ‘ran?“, fragte er dann. Die kämpferische Leidenschaft in Steves Augen verlor sich. Er zuckte verlegen mit den Schultern.

„Tut mir Leid, Sir, das kann ich Ihnen leider nicht sagen“, räumte er ein.

„Schade“, sagte Worsley. „Ich hätte gern so ein Patentrezept. Es gefällt mir nämlich genauso wenig wie Ihnen, was wir mit den Deutschen machen“, erwiderte der General.

„Das beruhigt mich“, gab Donovan zurück. „Manchmal fühle ich mich mit meiner Meinung ziemlich allein, Sir.“

Charles Worsley lächelte seinen Adjutanten freundlich an.

„Wie geht es Ihnen eigentlich?“, fragte der Brigadier dann.

„Immer noch Rückenschmerzen. Deshalb schlafe ich häufig schlecht. Hat leider keinen guten Einfluss auf meine Tagesarbeit“, antwortete Steve.

„Was macht Ihre Lunge?“

„Noch keine vollständige Wiederherstellung. Ich pfeife ziemlich schnell auf dem letzten Loch, Sir.“

„Was würden Sie von einem netten Urlaub in den Bergen halten? Aspen? Vail? Banff?“, schlug Worsley vor.

„Die Schweiz wäre deutlich näher. Davos ist ein ausgewiesenes Lungenheilzentrum, Sir.“

„Und die Hochburg der Nazis in der Schweiz“, bemerkte Worsley bissig. „Wenn Sie Urlaub machen, machen Sie ihn nicht in Europa, mein Freund! Ich will Sie dann ganz weit weg vom Krieg wissen. Sie sollen sich erholen. Offenbar sind Sie noch nicht so fit, wie Sie geglaubt haben. Und außerdem will Ihre Frau doch bestimmt ihre neue Heimat kennenlernen.“

„Sir, wenn ich in die Staaten fahre, schaue ich garantiert in Groom Lake vorbei. Da hält’s mich einfach nicht am Boden. Führen Sie mich nicht in diese Versuchung. Außerdem fürchte ich, dass meine Frau nicht schon wieder Urlaub bekommt. Die Women’s Auxiliary Air Force ist kein Pfadfinderclub, Sir. Die Mädchen müssen richtig arbeiten – und ich schätze die Professionalität meiner Frau sehr.“

„Normale Männer wünschen ihre Ehefrauen ins Heim an den Herd“, gab Worsley zu bedenken. „Ich würde wahnsinnig werden, wenn ich wüsste, dass meine Frau außer Haus arbeitet.“

„Sir, ich habe meine Frau in ihrem Job kennengelernt. Ich fänd’s furchtbar, wenn sie sich nur noch um Kinder, Kirche und Küche kümmern würde.“

„Aber Kinder wollen Sie schon?“, fragte Worsley.

„Wir geben uns große Mühe, Sir“, erwiderte Steve. „Und jetzt dürfen wir auch. Als ich nach Afrika versetzt wurde, haben wir beide große Sorge gehabt, dass Harriet schwanger sein könnte.“

„Es beruhigt mich doch, dass Sie auch nur ein Mann sind“, grinste Worsley anzüglich. „Würde Ihre Frau auch Amerikanerin werden?“, fragte er dann.

„Wir haben noch nicht darüber gesprochen, gebe ich zu. Warum, Sir?“

„Wissen Sie, ich hatte mir gedacht, ich könnte Ihre Frau mit in meinen Stab übernehmen. Sie würden eng mit ihr zusammenarbeiten. Wäre das nichts?“, bot Worsley an. „Sie müsste nur unsere Uniform anziehen.“

„Ich rede mit ihr“, sagte Steve.

„Gut. Dann wäre da noch was: Ich möchte nicht auf Ihr Wissen in Sachen industrielle Standorte verzichten. Wenn Sie mir da weitere Informationen liefern können, können wir uns wieder darauf konzentrieren und müssen uns nicht an die Tommies hängen. Mir widerstrebt eine solche Aktion wie gegen Hamburg ebenso wie Ihnen, Captain Donovan.“

„Dann dazu eine Anmerkung, Sir: Die deutsche Industrie konzentriert sich zwar in einem gewissen Rahmen im Ruhrgebiet, aber das ist, bei Gott, nicht alles. Große Industriegebiete gibt es auch um Bitterfeld, bei Leipzig und Gera, im nördlichen und westlichen Bayern, nicht zu vergessen der Raum Breslau und Oppeln, die schlesischen Metropolen. Schon bis in das noch relativ nahegelegene Ruhrgebiet können wir den Bombern nicht genügend Jagdschutz geben, weil die Jäger nicht genügend Reichweite haben. Wenn wir die deutsche Industrie wirklich nachhaltig stören oder gar zerstören wollen, müssen wir die Bomber bis über das Ziel und zurück begleiten.“

„Die Thunderbolts sind das Beste, was wir zurzeit haben“, gab Worsley zu bedenken.

„Ja, hier in Europa. Aber die Entwicklung geht weiter, Sir. North American hat die Mustang herausgebracht.“

„Nicht geeignet, Captain. Zu kurzatmig“, erwiderte der Brigadier kopfschüttelnd.

„Das war sie“, grinste Steve. „Die Tommies haben die Mustang mit dem Merlin-Motor der Spitfire kombiniert – eine Superkombination, denn der Merlin-Motor hat bessere Eigenschaften in größeren Höhen. Die Mustang hat aber noch bessere Flugeigenschaften als die Spitfire. Die Kombination hat – wenn die Berichte nicht völlig daneben sind – einen schnellen Fernjäger ergeben.“

„Ernsthaft?“

„Ja, Sir.“

„Captain Donovan, ich sehe Ihnen die Luftsucht mal wieder aus den Augen gucken!“, mahnte Worsley.

„Sehen Sie, Sir, deshalb ist es ja so gefährlich, mich auf Urlaub ausgerechnet in die Staaten zu schicken. Sie wissen doch, dass ich meinem Trieb sofort nachgeben werde und einfach mal in die Luft gehe. Ich kann einfach nicht an einem Flugzeug vorbeigehen – vor allem, wenn ich seit Monaten danach lechze, wieder einen Steuerknüppel in den Händen zu halten. Aber das wissen Sie, Sir“, erwiderte Steve. Worsley lächelte.

„Ja, mein Junge. Und ich weiß, dass Sie erst richtig krank werden, wenn Sie an den Boden genagelt sind. Ich weiß, dass Sie das Fliegen als solches nicht als Arbeit empfinden. Wenn Sie also mal wieder ohne Stress fliegen wollen, ohne Gefahr von Angriffen, sollten Sie in die Staaten fahren.“

„Der Aspekt hat etwas für sich, Sir.“

Harriet lag dicht an Steve gekuschelt in seinen Armen, ihre Hand ging auf eine liebevolle Wanderschaft. Die warme Sommernacht tat ihr Übriges, um das junge Paar in eine Stimmung zu versetzen, die nur noch mit ihrem ersten Kaminabend in jener Strandhöhle zwischen Saint Eval und Trevose Head zu vergleichen war. Sie liebten sich voller Zärtlichkeit und Leidenschaft. Es waren Momente, in denen Steve nichts von den immer noch bestehenden Folgen seiner schweren Verwundung spürte. Wohlig erschöpft kamen die Liebenden zur Ruhe. Steves Atem ging noch schwer, weil seine noch immer geschwächte Lunge nicht ihr ursprüngliches Volumen erreicht hatte.

„Sag’ mal“, sagte er nach einer Weile, als sich sein keuchender Atem beruhigt hatte und er nicht mehr ständigen Hustenreiz spürte, „hast du dir schon mal Gedanken um unsere Zukunft gemacht, Schatz?“

„Wie meinst du das?“

„Ich meine: Würdest du mir in die Staaten folgen oder würdest du erwarten, dass ich die britische Staatsbürgerschaft annehme und hierbleibe?“

„Wäre es denn für dich zwingend, dass ich Amerikanerin werde?“, konterte Harriet mit einer geschickten Gegenfrage und schmiegte sich dicht an Steves warmen Körper.

„Nein. Ich hätte aber – falls du dich dafür entscheiden würdest – ein Angebot für dich.“

„Was für ein Angebot?“

„General Worsley, mein Chef, würde dich, falls du in unser Women’s Auxiliary Corps, das WAC, eintreten würdest, in meiner unmittelbaren Nähe in seinem Stab einsetzen. Wir würden eng zusammenarbeiten, könnten einige Dinge vielleicht gemeinsam erledigen, wären nicht mehr getrennt.“

„Und was stellt er sich vor? Soll ich bei euch als Jägerleiterin arbeiten?“, fragt Harriet skeptisch.

„Er sprach von naher Zusammenarbeit. Ich bin sein Adjutant und Staffelkapitän der Blue Eagles.“

„Aha. Und welche Arbeiten würdest du mir aufhalsen?“, erkundigte sie sich. Steve befreite sich sanft aus ihren Armen und streichelte zärtlich ihr Gesicht.

„Du könntest mir bei den Büroarbeiten helfen. Ich kann aber auch deinen technischen Sachverstand bei Funk- und Radargeräten gebrauchen. Es wird wohl auch zu meinen Aufgaben gehören, neue Flugzeuge auszusuchen. Da kennst du dich auch aus.“

„Ich wäre also deinem Befehl unterstellt“, konstatierte Harriet.

„Wäre dir das so zuwider?“, fragte Steve.

„Na ja, bis jetzt war ich der Chef. Wie du dich erinnerst, bin ich in Saint Eval Schichtleiterin“, erinnerte Harriet sanft.

„Vertraust du mir nicht?“

„Was meinst du?“

„Fürchtest du, dass ich dich zwiebeln würde?“, präzisierte Steve.

„Ich habe dich erlebt, wenn du Befehlston anschlägst. Du kannst sehr unangenehm sein, Steve“, erwiderte sie.

„Oha!“, entfuhr es ihm. „Liebling, wenn ich derartige Töne angeschlagen habe, hat sich jemand daneben benommen. Du bist so professionell eingestellt, dass ich nie annehmen würde, du würdest dir solche Entgleisungen leisten. Du hast noch nie jemanden per Funk beschimpft oder beleidigt, Häschen. Und nur solche habe ich bisher so zur Ordnung rufen müssen.“

„Das habe ich zwar gemerkt, ich habe mich aber gefragt, wie du reagierst, wenn du mit einem Untergebenen nicht zufrieden bist“, entgegnete Harriet. Sie schmiegte sich dicht an Steve und genoss sein zärtliches Kraulen im Nacken.

„Zugegeben, das kann ich nur schlecht selbst darstellen. Vielleicht solltest du dich deshalb mal mit Daniel oder Jerry unterhalten oder Onkel Sam befragen“, schlug er vor und küsste sanft ihr Haar. Harriet nickte schnurrend.

„Hmm, apropos Onkel Sam: Ist er wirklich dein Onkel, der Bruder deiner Mutter, wie ich wegen des Familiennamens mal annehmen würde?“

Steve lächelte.

„Warum fragst du?“

„Oh, vielleicht hätte ich auch gern so einen Onkel“, erwiderte sie spitzbübisch.

„Also, verwandt sind wir nicht. Er ist ein Freund meines Vaters. Die Freundschaft war vergleichbar wie zwischen Daniel und mir. Er ist Sids Taufpate gewesen. Meine Brüder und ich haben ihn schon immer Onkel genannt, und er ist mein Lieblingsonkel. Mit dem Bruder meines Vaters, der wirklich mein Onkel ist, komme ich lange nicht so gut zurecht“, erklärte Steve.

„Also, er ist nicht mal dein Pate?“, hakte Harriet nach.

„Nein, aber ein mir sehr lieber Freund; ein väterlicher Freund, wenn du so willst.“

„Ist er verheiratet?“

„Er war verheiratet. Seine Frau ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das hat ihn schwer getroffen.“

„Ist das lange her?“

„Ja, ziemlich. Das muss jetzt bald zwanzig Jahre her sein, wenn nicht noch länger.“

„Und er hat nicht wieder geheiratet?“

„Ich hab’ Tante Mary nicht oft gesehen, aber sie war eine wunderbare Frau. Sam hat sie sehr geliebt. Ich glaube, er tut’s noch heute. Wenn du plötzlich nicht mehr da wärst, würde es mir jedenfalls als Verrat an dir erscheinen, mit einer anderen anzubandeln. Sam ist es ähnlich gegangen, sagt er.“

„In zwanzig Jahren nicht mal eine Freundin? Steve, ist er bestimmt richtig ‘rum gestrickt?“

„Ja, natürlich“, lachte Steve leise. „Er hat nämlich noch ein rein technisches Problem, das ihn auch an einer schwulen Beziehung hindern würde.“

„Was?“

„Er ist durch eben diesen Unfall impotent geworden. Die Lenksäule hat ihn mitten in die Zwölf getroffen. Er hat Monate im Krankenhaus gelegen. Sie konnten alles reparieren, aber das nicht.“

„Oh, woher weißt du das?“, erkundigte sich Harriet.

„Sam und ich haben praktisch keine Geheimnisse voreinander. Insofern erzählt er mir vielleicht sogar mehr als einem Sohn.“

„Ich glaube, ich sollte mal mit Sam reden“, lächelte Harriet und zog Steve ganz nah zu sich.

Harriet schlief zwar unruhig, aber ihre Träume waren nicht unangenehm, im Gegenteil. Von der gemeinsamen Arbeit mit Steve zu träumen, fand sie spannend. Sie sah sich selbst in amerikanischer Uniform, sah sich Steve gegenüber sitzend, fragte ihn etwas und bekam eine Antwort mit einem liebevollen Lächeln. Im Traum sprach sie mit seinen Leuten, die über ihren Vorgesetzten nur Gutes zu berichten wussten. Sie wachte immer wieder dann auf, wenn es in ihren Träumen intim wurde, wenn Steve sie küssen wollte. Mehrfach schreckte sie hoch, aber Steve lag ruhig schlafend neben ihr. Harriet seufzte leise, als sie sich eingestand, dass es schön gewesen wäre, von der Liebe mit ihm zu träumen. Aber andererseits konnte kein noch so schöner Traum das ersetzen, was sie erlebte, wenn sie sich wirklich liebten. Steve war zärtlicher als der schönste Traum es je sein konnte.

Einige Tage später fand sie Gelegenheit, mit Sam Bennett zu sprechen, der einer Einladung nach Collins’ Manor gefolgt war.

„Steve hat mir den Vorschlag gemacht, die Nationalität zu wechseln und in das amerikanische WAC einzutreten, um mit ihm zusammenarbeiten zu können. Er wäre dann mein Vorgesetzter“, sagte sie. Bennett nippte an dem heißen Tee, den Harriet von Butler Marcus servieren ließ.

„Und? Schon zugegriffen?“, fragte der Colonel.

„Ich kenne Steve bisher nicht als meinen Chef. In Saint Eval war er mir unterstellt. Ich bin dort die Schichtleiterin.“

„Es gab aber keinen Rangunterschied, oder?“

„Er ist Captain, ich bin Flight Officer. Das ist der gleiche Rang.“

„Dann gäbe es doch in Zukunft auch keinen Rangunterschied, oder sehe ich das falsch?“

„Nein, aber er hätte wohl das letzte Wort, wenn eine Entscheidung getroffen werden müsste.“

„Und das wäre Ihnen nicht recht, wenn ich Ihre Antwort richtig interpretiere“, stellte Sam fest.

„Nun, bisher hatte ich das letzte Wort“, erwiderte Harriet.

„Sie müssen wissen, was Sie wollen, Mrs. Donovan. Steve ist – wie ich aus Kreisen seiner Untergebenen weiß – ein Vorgesetzter, der mit gutem Beispiel vorangeht. Er würde von seinen Leuten nie etwas verlangen, was er nicht selbst tun würde. Er ist pflichtbewusst, räumt aber jedem auch seine Rechte ein. Er käme nie auf die Idee, irgendwelche idiotischen Gehorsamsproben zu verlangen. Er verlangt eher, dass seine Leute mitdenken, damit sie bei einem Ausfall von Führungsoffizieren weitermachen können. Bei seiner Staffel hat das hervorragend funktioniert, bis ihm Major Hopkins vor die Nase gesetzt wurde. Zum Glück hat Captain Cox so lange mit Steve zusammengearbeitet, dass ihm nicht mal Major Hopkins die Fähigkeit zur Führung des Haufens austreiben konnte. Steve wird jetzt eine Doppelfunktion haben: Chef der Blue Eagles sein und General Worsleys Adjutant sein. In beiden Funktionen braucht er jemanden, der ihn vertritt, wenn er gerade das Andere tut. In der Staffel wird das Jerry Cox sein. Im Adjutantenbüro könnten Sie es sein, die seinen Job macht, wenn er fliegt“, erklärte Sam.

„Ob ich das könnte? Bisher habe ich am Radar oder an der Funkanlage gearbeitet. Als Sekretärin … ob ich das könnte?“, erklärte Harriet ihre Befürchtungen.

„Oh, das ist es! Angst, etwas nicht zu können! Mrs. Donovan, ich sollte Ihnen sagen, dass Steve Ausbilder ist. Er wird Ihnen beibringen, was Sie wissen müssen, keine Sorge.“

„Schon, aber das ist für ihn auch Neuland, Colonel“, gab Harriet zu bedenken.

„Kann sein, aber Neuland reizt ihn auch. Auch deshalb ist er mal hierhergekommen, als euch Briten das Wasser bis zum Hals stand, in der Luftschlacht um England“, erwiderte Sam lächelnd. „Äh, da wäre noch was, junge Dame.“

„Und was?“

„Steve ist für mich wie ein Sohn. Er nennt mich seit eh und je Onkel, weil ich ein Freund seines Vaters war und Taufpate seines ältesten Bruders Sid war. Sag’ einfach Sam. Oder auch Onkel Sam“, bot Bennett an.

„Danke, Sam. Harriet“, erwiderte die junge Frau lächelnd.

„Harriet, ich kann dir nur empfehlen, das zu tun, was Steve dir vorschlägt. Ich weiß, wie sehr er dich liebt.“

„Sam, ich habe Angst, dass unsere Liebe am täglichen Einerlei zerbrechen könnte.“

„Nun, die Sorge könnte eine Hausfrau haben, die mit dem Abendessen auf ihren Mann wartet, der einem täglich gleichen Büro- oder Fabrikjob nachgeht. Ich garantiere dir, dass es dir mit Steve zusammen nie langweilig werden wird.“

„Nein – aber Angst könnte ich bekommen“, seufzte Harriet.

„Hast du Angst um ihn gehabt, als er geflogen ist, und du am Radarschirm oder am Funkgerät warst?“, fragte Sam. Harriet wurde rot.

„Sam, ich …“, stotterte sie. Sam nahm ihre Hand.

„Danke, das genügt. Harriet, so lange Krieg ist, wirst du um Steve ebenso Angst haben, wie er um dich. Denn du bist als Soldatin auch gefährdet. Aber in diesen Zeiten sind auch Zivilisten in Gefahr“, erklärte Sam.

„Danke, Sam. Ich weiß jetzt, was ich tue“, sagte Harriet und umarmte Sam einfach.

Am selben Abend erklärte sie Steve, dass sie seinem Vorschlag auf Probe folgen wollte.

„Und wie stellen wir das technisch an, mein Schatz?“, fragte Steve sanft.

„Du hast doch schon mal Daniel als Briten in deine Staffel geholt. Geht das nicht auch bei mir?“, schlug sie vor.

„Ich kann’s ja mal versuchen“, versprach er.

Am folgenden Tag unterbreitete er Worsley Harriets Vorschlag.

„Und wie eisen wir sie bei den Tommies los?“, fragte der General.

„Verbindungsoffizierin?“, regte Steve an. Worsley schnippte mit den Fingern.

„Das ist es! Wissen Sie, dass Sie ein Genie sind?“

„Ist in dem Fall meine Frau, Sir“, bremste Steve ehrlich.

General Worsley setzte die diplomatischen Hebel in Bewegung, und eine knappe Woche nach ihrer Anregung trat Harriet in britischer Uniform ihren Dienst bei den amerikanischen Verbündeten an. Steve führte sie durch die Einrichtungen und stellte sie vor. Im Radarzentrum der Amerikaner konnte Harriet nicht anders, als sich die Geräte näher anzuschauen. Auf dem Fernradar war eine einzelne Maschine gut erkennbar, die in Richtung Kontinent flog.

„Was ist das?“, fragte Harriet an den Radarbeobachter gewandt.

„Eine Mosquito der RAF mit Aufklärungsauftrag, Ma’am“, antwortete der junge Corporal.

„Aus dem Radarbild haben Sie das nicht gesehen, Corporal“, stellte Harriet fest.

„Nein, Ma’am, die RAF hat uns informiert.“

„Gibt es Schwierigkeiten beim Informationsfluss, Corporal?“

„Bisher nicht. Und da Sie jetzt bei uns sind, wie der Captain sagt, wird das wohl auch nicht mehr passieren, Ma’am“, lächelte der junge Mann herzlich.

„Wie war doch noch Ihr Name, Corporal?“

„Stettner, Ma’am, Jesse Stettner“, stellte der Corporal sich vor.

„Das klingt … deutsch …“, bemerkte Harriet zögernd.

„Richtig, Ma’am. Ich stamme aus München. Aber meine Eltern sind mit mir ausgewandert, als ich zwei Jahre alt war. Seitdem leben wir in Ohio“, antwortete Stettner.

„Sie kämpfen jetzt gegen Ihre ehemaligen Landsleute. Haben Sie damit ein Problem, Mr. Stettner“, hakte Harriet nach. Stettner lächelte breit.

„Ma’am, es ist etwa achtzig Jahre her, da haben sich Amerikaner untereinander mit lautem Hallo bekriegt, weil sie sich nicht darüber einig waren, ob es Sklaven geben sollte oder nicht. Das, was jetzt in meiner früheren Heimat herrscht, kann ich nicht leiden. Darum habe ich auch kein Problem damit, die Nazis zu bekämpfen, Ma’am“, erklärte er.

„Dann wünsche ich Ihnen noch viel Erfolg, Corporal Stettner“, erwiderte Harriet und nickte Steve zu.

Er legte ihr sanft die Hand auf den Rücken, und sie verließen die Radarstation.

„Weißt du übrigens, wer da gerade abgeflogen ist?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.

„Dein kleiner Bruder Daniel, mein Schatz.“

„Wie bitte?“, fragte Harriet erschrocken.

„Daniel. Er hat mich gestern angerufen, mir davon erzählt und gesagt, dass er zu einer Aufklärungseinheit gewechselt ist. Samt seinem Bombenschützen Toller übrigens, der nicht nur ein exzellenter Bombenschütze ist, sondern auch ein grandioser Fotograf“, erklärte Steve.

„Du … hattest nicht zufällig … deine Hände im Spiel?“, fragte Harriet ein wenig spitz. Steve schüttelte ernsthaft den Kopf.

„Nein, nicht ich habe Auslöser gespielt, sondern die Operation Gomorrha, mein Schatz. Beiden hat es einen schweren Schock versetzt, als sie fast selbst in den Feuersturm geraten sind, den ihre und unsere Bomber ausgelöst haben. Toller hat die Fotos, die sie beim letzten Überflug gemacht haben, gesehen, vergrößert und ist direkt auf die Toilette gegangen und hat sich übergeben, wie er mir gesagt hat.“

„Kennst du Toller näher?“

„Ich habe Daniels Maschine geflogen, Schatz. Damals, als man mich einfach in einen Bomber gesetzt hat. Daher kenne ich Toller und den Rest der Mannschaft. Tolle Jungs übrigens.“

„Du sprichst mit großer Achtung von Leuten, die Bomber fliegen, Steve. Das wundert mich.“

„Besatzungen von Bombern sind für mich keine Monster, falls du das glauben solltest, Harriet. Das Monster ist für mich eher Generale Giulio Douhet, der diese völlig unmögliche Theorie in die Welt gesetzt hat. Und Air Chief Marshal Arthur Harris ist für mich ein Monster, weil er diese Theorie übernimmt und seinen Leuten befiehlt, das zu tun“, entgegnete Steve.

„Was denkst du über die Aktion gegen die Talsperren im Mai?“

„Die Talsperren der Eder, der Sorpe und der Möhne dienen zum einen der Wasserstandsregulierung von Weser und Ruhr, aber auch der Stromgewinnung – auch für die Industrie. Insofern waren die Talsperren industrielle und damit auch militärische Ziele. Das ist in Ordnung. Zivile Opfer sind nicht in Ordnung. Aber auch ich habe feststellen müssen, dass ein moderner Krieg ebenso zivile Opfer fordert, wie es frühere Kriege getan haben. Ich sage aber ganz deutlich, dass jeder Zivilist, der bei Kampfhandlungen bewaffneter Kräfte ums Leben kommt, einer zu viel ist – egal welcher Nationalität er oder sie ist. Ich halte nichts davon, Menschen um ihrer Nationalität, Hautfarbe oder Religion willen für minderwertig oder hassenswert zu halten.“

„Genau das tun die Deutschen aber“, bemerkte Harriet nicht ohne Bissigkeit.

„Das bestreite ich nicht. Sündenbocktheorie“, erwiderte Steve lächelnd. „Wenn wir den Krieg gewinnen, muss dieser Blödsinn aus den Köpfen der Deutschen heraus. Wenn uns das gelingt, wird niemand mehr die Deutschen fürchten müssen, und man wird merken, wie sehr Europa die Deutschen braucht.“

„Schöne Zukunftsfantasien!“, seufzte Harriet.

„Nun, ich bete, dass ich Gelegenheit bekomme, sie Wirklichkeit werden zu lassen.“

„Na, vorläufig überziehen sie uns mit Krieg, Zerstörung und Angst.“

„Stimmt. Und dagegen müssen wir was unternehmen.“

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Kapitel 2

Fatales Jubiläum

 

Steve und Harriet hatten ihren Rundgang beendet, als General Worsley Steve beauftragte, eine Planung für die Jägerbegleitung eines Bomberverbandes auszuarbeiten, der Schweinfurt angreifen sollte. Schweinfurt war das Zentrum für Kugellagerfertigung in Deutschland – ohne Kugellager drehte sich kein Rad, lief keine Maschine rund. Eine massive Störung der Kugellagerfabrikation würde unabsehbare Folgen für die Kriegsproduktion haben. Steve sah auf die Karte.

„Sir, eine Jagdbegleitung bis zum Ziel und zurück oder bis zum Verlassen des deutsch kontrollierten Gebietes scheidet praktisch aus“, erklärte er sofort. Worsley sah ihn an.

„Und warum?“, fragte er.

„Entschuldigung, Sir: Wissen Sie, wo Schweinfurt ist?“, fragte Steve vorsichtig.

„Da, wo sich die deutsche Industrie konzentriert: im Ruhrgebiet“, erklärte Worsley.

„Äh, nicht ganz, Sir“, erwiderte Donovan mit verhaltenem Grinsen. Es zeigte sich wieder einmal, dass Amerikaner über Europa nicht besonders gut Bescheid wussten. Für den Hausgebrauch wäre das nicht tragisch gewesen, aber wenn man sich für ein bestimmtes Gebiet interessierte oder interessieren sollte … nun ja …

„Schweinfurt ist hier, Sir“, sagte er dann und wies auf die Karte, die Schweinfurt im nordwestlichen Bayern zeigte – weit entfernt vom Ruhrgebiet.

„Na ja, nicht ganz, wie ich zugebe“, brummelte Worsley.

„Für amerikanische Verhältnisse sind die paar hundert Meilen auch nur ein Katzensprung, Sir, aber es liegt – deutlich – außerhalb der Reichweite unserer Jäger, Sir. Wenn sie von der britischen Hauptinsel starten, können wir sie allenfalls bis an die eigentliche Grenze Deutschlands begleiten. Danach sind die armen Schweine auf sich allein gestellt. Die Fliegenden Festungen, die B-17, sind gut bewaffnet – aber noch haben wir nicht die Lufthoheit über dem Kontinent, Sir.“

„Was tun?“, seufzte Worsley.

„Im Moment können wir nur bis an die Grenze begleiten, Sir. Wir brauchen dringend Langstreckenjäger. Am besten die neue Mustang, Sir. Mit der könnten wir die Bomber quer über das gesamte Reichsgebiet begleiten“, erklärte Steve. Worsley sah Harriet an.

„Haben die britischen Jagdverbände weiter reichende Maschinen, Flight Officer?“, fragte er.

„Sir, wir Briten sind wegen der mangelnden Reichweite unserer Jäger einmal auf die Idee gekommen, lieber nachts anzugreifen. Daran hat sich leider noch nichts geändert. Auch unsere Jäger haben keine Reichweiten, die die der Thunderbolts übertreffen“, erwiderte Harriet ernst.

„Was meinen Sie, Captain Donovan? Wird der Angriff klappen?“

„Das kann ich Ihnen nicht mit letzter Sicherheit sagen, Sir. Aber ich würde auf jeden Fall mit hohen Verlusten rechnen“, erwiderte Steve mit deutlichem Seufzen. Hohe Verluste hieß viele Tote unter den eigenen Besatzungen. War es nötig?

„Ich informiere General Spaatz“, erklärte General Worsley.

Das Bomberkommando der 8th USAAF blieb auch nach Worsleys wenig aussichtsreicher Information bezüglich des Jagdschutzes bei der Planung, die Kugellagerwerke in Schweinfurt anzugreifen und zu zerstören. Bei kompletter Vernichtung dieser Industrieanlagen würden etwa fünfzig Prozent der gesamten deutschen Kugellagerproduktion ausfallen. Im Briefing an diesem Morgen wurde in nahezu allen Basen etwa diese Ansprache an die Flugzeugbesatzungen gehalten:

„Okay, Leute; wir werden die Kugellagerfabriken in einer Stadt namens Schweinfurt in Bayern angreifen. Dabei werden wir gezwungen sein, mitten durch Deutschland zu fliegen, sowohl beim Reinkommen als auch beim Rausfliegen. In den Fabriken dort wird die Hälfte der deutschen Kugellager hergestellt, und wenn wir sie vernichten, wird unser Angriff ein Erfolg sein. Wir werden in einer Höhe von 23.000 Fuß fliegen und versuchen, die Kräfte des Geg­ners aufzusplittern. Die 3rd Division wird zuerst starten, Regensburg angreifen und dann nach Nordafrika weiterfliegen. Die beiden anderen Divisionen werden Schweinfurt angreifen und dann nach England zurückkehren. Hoffen wir, dass die Sache klappt, denn wenn wir sie nicht ‘reinlegen können, werden wir wahrscheinlich so um dreihundert oder vierhundert Flugzeuge verlieren …“

Die Aussichten, den Einsatz zu überleben, waren also nicht besonders groß, wenn der Plan nicht so funktionierte, wie die Strategen ihn sich ausgedacht hatten. Doch die Planer hatten die Rechnung ohne das berühmt-berüchtigte englische Wetter gemacht. Dichter Nebel verhinderte, dass die Operation am 17. August 1943 pünktlich morgens um halb neun anlaufen konnte. Ein Ablenkungsverband aus Typhoon- und Mitchell-Maschinen war erst gegen halb zehn komplett in der Luft und kreiste über der Nordsee. Der Nebel ließ den verantwortlichen General, Frederick Anderson, zögern, die Starterlaubnis für die Bomberverbände zu geben. Er zögerte bis kurz vor zehn Uhr. Dann machte ihm jemand klar, dass der Regensburger Verband schleunigst in die Luft musste, wenn die Maschinen in Nordafrika noch Licht zum Landen haben sollten.

Anderson schwankte noch einen Moment, erwog, die ganze Aktion abzublasen. Doch zwei Dinge hinderten ihn letztlich daran: Erstens das unberechenbare europäische Wetter. Für diesen Tag war klarer Himmel über den Zielen Regensburg und Schweinfurt vorhergesagt. In den nächsten Tagen drohte schon wieder ein haltbares Tief, das wohl zwei Wochen lang keine ausreichende Sicht auf das geplante Ziel erlauben würde. Zweitens der Umstand, dass die USAAF nun exakt ein volles Jahr in Europa im Kampf gegen Hitlerdeutschland stand. Mit diesem „Jubiläumsangriff“ wollte man dieser Tatsache Rechnung tragen. Anderson gab sich einen Ruck und erteilte den Startbefehl.

Bei den Bombern kam er rechtzeitig an, aber die einzigen vorhandenen Langstreckenjäger vom Typ Thunderbolt bekamen die Weisung erst zehn Minuten später als die Bomber – mit der Folge, dass der Jagdschutz gleich von Anfang an ausfiel. Als wäre das nicht schon schlimm genug gewesen, verhinderte eine dichte Wolkendecke zwischen 17.000 und 27.000 Fuß den Formationsflug in der geplanten Höhe von 23.000 Fuß. Die Maschinen hätten über der Wolkendecke fliegen können, wo sie auch vor den deutschen Jägern sicher gewesen wären. Der Verbandsführer sah jedoch die Gefahr, das Ziel am Boden dann vielleicht zu verfehlen und entschied sich für den Flug unter der Wolkendecke. Eine tödliche Fehlentscheidung, die beide Bomberdivisionen direkt vor die Läufe der über dem Kontinent bereits wimmelnden deutschen Jäger manövrierte. Deren optimale Flughöhe entsprach genau der der Wolkenunter­grenze von 17.000 Fuß.

Ohne eigenen Jagdschutz konnten sich die Bomberbesatzungen nur gegenseitig Deckung geben und beten, dass die Munition ausreichte, um sich – wie es schien – sämtliche Jäger der Luftwaffe vom Leib zu halten. Vom Erreichen der holländischen Küste bis nach Schweinfurt tobte eine Schlacht am Himmel, die mit dem unaufhaltsamen Bomberstrom zog. Trotz der wütenden Attacken der Luftwaffe strebten die amerikanischen Bomber unbeirrbar ihrem Ziel entgegen, bombardierten die Kugellagerfabriken und kehrten wieder um, immer noch attackiert von den Jägern der Luftwaffe.

Heimzufinden war an diesem Tag sogar ohne Navigatoren möglich – die Piloten brauchten nur der Spur der abgeschossenen, am Boden zerschellten, brennenden Flugzeuge zu folgen, die ihren Weg von der Küste nach Schweinfurt als makabere Wegweiser markierten. Was später als bitterer Witz betrachtet wurde, war ebenso grausame Realität.

Von 376 eingesetzten B-17 waren 59 abgeschossen worden, 27 erreichten als gerade noch fliegender Schrott die Stützpunkte in England, 60 von den nach Nordafrika weitergeflogenen B-17 der Regensburg-Division mussten ebenfalls als noch knapp flugfähige Totalschäden abgeschrieben werden – und fünfhundert junge Amerikaner waren tot. Dazu kamen Verwundete in fast jeder Maschine. Es war ein Desaster ersten Ranges, wenn man davon absah, dass die Bordschützen den deutschen Jägern ebenfalls erhebliche Verluste beigebracht hatten.

Nicht nur Steve krampfte sich das Herz zusammen, als die schwer getroffenen Bomberverbände wieder auf den englischen Basen landeten. Er kannte einige der Piloten und Besatzungsmit­glieder, die nicht zurückgekehrt waren. General Worsley und den übrigen Generalen der 8th USAAF ging es nicht besser. Das Abschlussbriefing brachte es dann überdeutlich an den Tag: Ohne eigenen Jagdschutz mit ausreichender Reichweite hatten die Amerikaner mit ihren Tagesangriffen nur wenig Chancen, industrielle und militärische Ziele im weiteren Reichsgebiet oder in den besetzten Gebieten im europäischen Osten wirkungsvoll zu attackieren. Nicht wenige Piloten, die nur knapp davongekommen waren, machten ihrem Zorn lautstark Luft.

General Worsley, den in Maidenfield Airfield die Kritik als einen der Verantwortlichen für den Jägereinsatz traf, hörte sich die bitteren Vorwürfe der Bomberpiloten mit kreidebleichem Gesicht an.

„Sie haben Recht, Colonel“, räumte er ein, als ihm einer der Verbandsführer, Colonel Jones, vorwarf, dass durch den rechtzeitigen Einsatz der Thunderbolts wenigstens über Holland und Belgien die Abschüsse seiner Maschinen hätten verhindert werden können. „Ja, den Schuh muss ich mir anziehen. Die Jäger sind nicht recht­zeitig gestartet und haben Sie nicht mehr eingeholt. Korrekt. Wenn ich die Berichte recht verstanden habe, haben Ihre Verbände bis zur Geleitgrenze fünf Maschinen verloren. Die hätten wir mit dem zeitlich korrekten Jägereinsatz retten können, da gebe ich Ihnen Recht.“

„Und wo, zum Teufel, seid ihr verdammten Hundesöhne gewesen, als wir zurückkamen? Die Langstreckenjäger haben uns auch bei der Rückkehr nicht gerade vorbildlich geholfen! Die Route war ja wohl bekannt, Sir! Erst über der Kanalküste habe ich den ersten von euch Playboy-Piloten gesehen!“, wetterte der Colonel weiter.

„Colonel, ich verstehe Ihre Wut, aber das ist kein Grund, die Piloten selbst anzugreifen!“, versetzte Worsley eisig. „Sie wissen um die mangelnde Reichweite selbst der Thunderbolts. Die Jagdmaschinen sind nicht in der Lage, über einen längeren Zeitraum über dem europäischen Festland zu patrouillieren, sich mit sämtlichen Tagjägern der deutschen Luftwaffe herumzuschlagen und Ihnen dann noch den Rücken freizuhalten. Natürlich war die Route bekannt! Und ich bin ziemlich sicher, Colonel Jones, dass außer Ihren bedauernswerten Männern noch einige Dutzend meiner Männer zusätzlich Ihnen mit ihren brennenden Maschinen den Rückweg gezeigt hätten, hätten sie Sie und Ihre Leute über dem europäischen Festland an der Grenze ihrer Reichweite erwartet!“

„Bei allem Respekt, Sir: Eine B-17 hat zehn Männer an Bord, eine Thunderbolt einen! Wenn die Wahl zwischen einem oder zehn Toten besteht, dann tut’s mir zwar um das arme Schwein im Jäger Leid, aber zehn andere, die auch gern nach Hause wollen, leben dann noch!“, fuhr Jones fort in seiner harschen Kritik.

„Colonel, Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe von zusätzlichen Toten geredet! Ihre Kritik ist angekommen, nehmen Sie das bitte zur Kenntnis!“

Jones wollte nicht aufgeben, aber General Spaatz, zwischenzeitlich Chef der alliierten Bomberflotten, bremste ihn.

„Es reicht jetzt, Colonel Jones! Wir sind alle nicht glücklich mit dem Ausgang der Operation Doublestrike, schon gar nicht mit den vielen unnötigen Verlusten. Ich untersuche an dieser Stelle lieber nicht, weshalb die Bomber nicht in der geplanten Höhe von 23.000 Fuß …“

„Weil da, verdammt noch mal, eine Wolkendecke war!“, fluchte Jones. „Wir mussten unter den Wolken bleiben!“

„Colonel Jones, ich warne Sie jetzt nur einmal: Sie hatten einen präzisen Befehl, den Sie nicht befolgt haben. Dafür mag es Gründe geben. Aber bei einer Wolkenuntergrenze von 17.000 Fuß, einer Höhe, in der die deutschen Jäger bekanntermaßen ihre beste Einsatzhöhe haben und einer Wolkenobergrenze von 27.000 Fuß, wo diese Jäger nicht mehr hinkönnen, ist es eine gravierende Fehlentscheidung, den Deutschen direkt vor die Nase zu fliegen! Die Ausrede, man hätte dann vielleicht das Ziel verfehlt, ist ziemlich fadenscheinig, Colonel Jones. Es ist nicht nur die Aufgabe des Fighter Commands, Ihre Hintern heil nach Hause zu bringen, die haben Sie in erster Linie selbst! Wenn Sie den Deutschen geradewegs vor die Flinte fliegen, ist das Ihr Fehler, nicht der der Jäger!“, donnerte Spaatz.

„Ja, Sir“, murmelte Jones grollend, aber er setzte sich und schwieg.

„Okay, Gentlemen“, sagte Spaatz seufzend. „Es war ein mehr als nur unerfreulicher Einsatz für Sie alle. Es sind Fehler gemacht worden. Wir werden uns etwas einfallen lassen, um so etwas in Zukunft zu vermeiden. Vorläufig werden Sie nur noch Ziele angreifen, die innerhalb der Reichweite der hier vorhandenen Jäger sind. Das wär’s. Wegtreten!“, schloss Spaatz das Abschlussbriefing. Die Männer salutierten, dann leerte sich der Saal schnell.

Steve sah das bleiche Gesicht seines Vorgesetzten und war sich nicht sicher, ob er nicht gleich den ganzen Frust abbekommen würde, der sich bei Worsley angesichts der herben Kritik aufgestaut haben musste. Worsley sah seinen Adjutanten an.

„Warum nur haben wir die Maschinen nicht rechtzeitig in der Luft gehabt?“, fragte er. Es war eher eine Selbstanklage als Kritik an seinem an der Planung beteiligten Adjutanten, das hörte Steve heraus.

„Wir haben den Befehl zu spät bekommen, Sir“, erwiderte Steve. „Ich hatte ihn kaum erhalten, da habe ich ihn weitergegeben.“

„Ich weiß, mein Junge“, erwiderte Worsley. „Ich weiß. Es hilft nichts: Wir brauchen die Mustang! Captain Donovan: Sie reisen umgehend in die Staaten und sehen nach der Mustang. Probieren Sie sie aus!“

„Ja, Sir“, bestätigte Steve.

„Und ansonsten wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub!“

„Danke, Sir.“

„Genießen Sie es, mal ohne Feindstress fliegen zu können. Ich weiß, wie viel Spaß Ihnen das macht. Und grüßen Sie Colonel Clinton von mir. Er ist der neue Schulkommandant von Groom Lake“, lächelte Worsley.

„Gern Sir“, erwiderte Steve und salutierte.

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Kapitel 3

Urlaubsfreuden


Drei Tage nach dem Schweinfurt-Desaster reisten Harriet und Steve in die Vereinigten Staaten. Die Überfahrt mit dem Personendampfer
Capshaw in einem Richtung Westen fahrenden Konvoi verlief trotz der noch immer vorhandenen U-Boot-Gefahr ruhig. Wegen der im Konvoi mitfahrenden langsameren Schiffe konnte die Capshaw ihre Geschwindigkeit nicht voll ausnutzen und erreichte zehn Tage nach dem Auslaufen in Liverpool den Hafen von New York. An Bord waren – abgesehen von Harriet – ausschließlich Urlauber der amerikanischen Streitkräfte in Europa. Da der Dampfer am späten Nachmittag in New York einlief, verbrachten die Donovans die Nacht in einem Hotel in Brooklyn am East River, gegenüber der Downtown Manhattan. Die Sonne, die hinter den Wolkenkratzern unterging, durchleuchtete die Fenster, ließ Manhattan wie einen Christbaum strahlen.

„Solche Gebäude habe ich noch nie gesehen“, bekannte Harriet staunend. „Warum baut ihr so?“

„Zwei Gründe“, erwiderte Steve. „Erstens ist Baugrund im Zentrum von New York sehr teuer. Also muss der Platz möglichst gut genutzt werden. Das geht am besten, indem man in die Höhe baut, an der Grundfläche spart. Und zweitens – nun, das ist eher eine Prestigesache. Es sind die höchsten Gebäude der Welt. Wir sind sehr stolz darauf“, hörte sie seine sanfte Stimme dicht neben ihrem Ohr. Er stand hinter ihr und umarmte sie zärtlich „Ich liebe dich“, setzte er flüsternd hinzu und küsste sie sanft auf die Wange. Harriet schloss die Augen und lehnte sich an ihn.

„Steve?“

„Hmm?“

„Weißt du eigentlich, welche Wirkung deine Stimme auf mich hat?“

„Ja“, erwiderte er warm. Harriet spürte einen Kuss auf dem Haar. Die Schmetterlinge im Bauch begannen wieder vor Wonne zu flattern.

„Wann hast du gemerkt, wie sie auf mich wirkt?“

„Als Bossom mich bei dir abgegeben hat. Eigentlich wollte ich dich nur beruhigen, weil du so giftig reagiert hast. Dann ich habe etwas in deinen Augen gesehen“, flüsterte er. Seine Lippen liebkosten sachte ihren Nacken.

„Und was?“, erkundigte sich Harriet, die ein sanfter Schauer nach dem anderen durchrieselte.

„Einen heftigen Widerspruch. Du hattest große Augen, mein Schatz, ganz große Augen; offene Tore, die mich einluden, dir ganz nahe zu sein. In den Toren winkten zwei Hände mich heran. Aber hinter diesem offenen Tor stand immer noch der Engel mit dem Flammenschwert. Ich habe bemerkt, dass du mit dir selbst gekämpft hast, und zwar sehr hart. Du hättest mir die Tür glatt zugeschlagen, wenn ich meinem Wunsch, dich zu küssen, nachgegeben hätte. Der Zerberus in dir musste erst einmal ruhiggestellt werden und merken, dass ich dir nichts Böses wollte. Darum habe ich lieber leise gesprochen. Und siehe da: Der Engel mit dem Flammenschwert zog sich langsam zurück. Je länger ich mit dir in diesem Ton gesprochen habe, desto mehr ging er rückwärts, immer weiter weg. Und dann hat er sein Flammenschwert gesenkt und es ausgemacht. Das war in dieser Regennacht auf dem Flugplatz, als ich Danny aus dem Kanal gefischt habe.“

Harriet drehte sich um und sah Steve erschrocken an. Er hatte ihre Sehnsucht also sehr wohl gesehen!

„Harriet“, sagte er leise und küsste sie zart auf die Stirn. „Ich wollte dich nicht verführen. Ich wollte dich überzeugen, dass ich es ehrlich meine. Die Tatsache, dass diese bestimmte Stimmlage auf dich sehr entspannend wirkt, hat mir dabei sehr geholfen.“

Harriets rechte Hand stahl sich sachte in sein Hemd und liebkoste sanft die Narbe an seiner linken Brustseite.

„Wenn du mich an dem Tag nur berührt hättest, dann wär’s um mich geschehen gewesen. Der Erzengel mit dem Flammenschwert sah wohl Furcht erregender aus, als er wirklich war. Und erst an dem Tag, als wir uns auf die Nennung beim Vornamen geeinigt haben! Ich wär’ fast geschmolzen. Ich wollte dich“, flüsterte sie.

„Ja, ein Teil von dir. Aber der andere Teil, der war noch nicht soweit“, grinste Steve. Harriet knöpfte sein Hemd weiter auf.

„Oh, doch“, seufzte sie. „Auch der war soweit. Ich hätte sonst was drum gegeben, die Nacht mit dir zu verbringen. Aber ich war zu feige, dir das zu sagen.“

„Mir scheint, du möchtest etwas nachholen“, flüsterte Steve. Harriet nickte. Ihre Lippen kamen einander näher, das Paar versank in einem Kuss voller Zärtlichkeit.

Wenig später lag Harriet wohlig erschöpft in Steves Armen, dessen Atem nach der glühenden Leidenschaft noch recht heftig ging.

„Warum habe ich mich nach außen hin nur so gewehrt und dich so zappeln lassen?“, fragte sie seufzend.

„Du solltest dir deshalb keine Vorwürfe machen, Darling“, erwiderte er leise und kraulte sie sanft im Nacken.

„Mache ich aber! Ich habe dich so strampeln lassen, habe dir sehr wehgetan. Warum nur?“

„Komm, das ist vorbei“, entgegnete er. „Und außerdem hast du es längst wettgemacht.“

„Wann denn ?“

„Da war eine Nacht, in der ich ohne dich gestorben wäre. Du warst bei mir und hast mein Leben gerettet.“

„Bist du sicher?“

„Ja, bin ich. Harriet, ich konnte nicht mehr. Ich hatte schreckliche Schmerzen, bekam kaum Luft und hatte das Gefühl zu fallen. Aber da war deine Hand, die mich so lieb gestreichelt hat, dass ich den Schmerz irgendwie doch noch ertragen konnte. Du hast mich gehalten, als sich unter mir der Abgrund auftat. Deine Küsse haben mir das Leben zurückgegeben, deine Liebe hat mich gerettet.“

Harriet schloss die Augen und ließ sich von seiner Stimme liebkosen. Sie überließ sich völlig dem samtenen Ton, schmiegte sich dicht an den geliebten Mann und genoss seine Wärme.

„Ich liebe dich“, flüsterte er sanft in ihr Ohr. Harriet sah hoch, ihre Blicke trafen sich und bestätigten das schweigende Einverständnis zu einem neuen Akt der Liebe und der Leidenschaft.

Als Steve am Morgen erwachte, wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal seit langer Zeit schmerzfrei durchgeschlafen hatte. Ihm kamen Zweifel, dass seine Rückenschmerzen, die ihn in England quälten, allein auf den beschädigten Wirbel zurückzuführen waren. War er kriegsmüde? Lange genug dauerte der Krieg jetzt, und die Umstände, unter denen er nach seinem mehr oder weniger freiwilligen Einsatz für Großbritannien aus dem Frieden in Amerika wieder in diesen Strudel aus Gewalt und Lebensgefahr gerissen worden war, hatten ihm keine Zeit zur Vorbereitung gelassen. Die Vereinigten Staaten befanden sich jetzt fast zwei volle Jahre direkt im Krieg. Steve hatte – abgesehen von den beiden Verwundungen – kaum Zeit für sich selbst und nur wenig Zeit für die Frau seines Herzens gehabt. Harriets Liebe so wie in dieser Nacht in vollen Zügen genießen zu können und ihr die Zärtlichkeit zu schenken, vor der er fast platzte, wenn er sie nur sah, war reine Erholung von all den Strapazen gewesen, die er seit Pearl Harbor mitgemacht hatte.

Die erste Woche ihres Aufenthaltes in den Staaten gehörte noch dem Testprogramm für den neuen Jäger. Als sie am Tag nach ihrer Ankunft mit der Frühmaschine morgens um acht Uhr nach Phoenix/Arizona flogen, wurde Harriet sehr still.

„Was hast du?“, fragte Steve sanft. Sie sah seinen warmen Blick und zuckte mit den Schultern.

„Ich kann’s dir nicht mal genau sagen“, seufzte sie. „Vielleicht ist mir dein Land einfach nur fremd, obwohl ihr auch englisch sprecht“, mutmaßte sie dann. Er sah sie eine Weile an, forschte in ihren Augen.

„Du hast Angst“, sagte er schließlich. „Was fürchtest du?“

Sie erschrak über seine Erkenntnis, obwohl sie inzwischen eigentlich wissen musste, dass er aus den Augen eines Menschen sehr viel herauslesen konnte.

„Ich habe Angst um dich“, räumte sie ein. „Du wirst einen neuen Jäger testen. Ich weiß, dass so etwas gefährlich ist.“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, Darling, das ist es nicht. Die Mustang ist ein Baumuster, das schon ein oder zwei Jahre gebaut wird. Ich selber habe sie auch schon geflogen, aber da hatte sie noch den alten Motor, der in großen Höhen keine Leistung zeigte. Die Zusammenarbeit mit euch Briten war in der Hinsicht sehr positiv. Euer Merlin-Motor, den ihr in der Spitfire habt, ist eine Sahne-Maschine. Eure Maschine kombiniert mit der Hülle der Mustang, die einen wesentlich verbesserten Luftwiderstand hat, macht zusammen einen Langstreckenjäger erster Güte. Das ist aber alles schon getestet und in den Grenzbereichen ausgelotet. Das muss ich nicht mehr ausprobieren. Ich darf sozusagen einfach in die Luft gehen, meine Lust am Fliegen genießen – und sie meinem Hintern anpassen. Das ist ganz sicher nicht gefährlich. Ich beweise dir das auch gerne. Wenn du willst, gebe ich dir Flugunterricht.“

„Du willst was?“, fragte sie verblüfft.

„Dir Flugunterricht geben – wenn du es willst. Fliegen ist sehr schön. Es ist wundervoll, die Welt von oben zu sehen, mit den Vögeln zu fliegen, die Luft in der Hand zu halten, wenn du den Widerstand am Steuerhorn spürst“, schwärmte Steve. Harriet fand, dass seine Augen eine Schattierung transparenter wurden. Sie lächelte ihn an und strich ihm sanft über die glattrasierte Wange.

„Vorsicht, sonst werde ich genauso luftsüchtig wie du“, warnte sie.

„Hoffentlich“, grinste er. „Zu zweit macht Fliegen nämlich noch mehr Spaß.“

Am Flughafen von Phoenix wartete bereits ein Wagen auf die Donovans. Der Flug hatte knapp zehn Stunden gedauert, aber durch die Zeitverschiebung – in Arizona galt die Mountain Standard Time, die gegenüber der Eastern Standard Time von New York City zwei Stunden zurück war – war es statt sechs Uhr abends erst vier Uhr nachmittags. Der Chauffeur sah Harriets britische Air-Force-Uniform verblüfft an, konnte den Blick nicht abwenden.

„He, Sergeant!“, rief Steve. „Ich glaube, Sie sitzen vorn!“

„‘Tschuldigung, Sir!“, hustete der erschrockene Sergeant. „Äh, Ma’am sind Sie auch Offizier? Ich kenn’ mich mit den Tommy-Uniformen nicht so recht aus, Ma’am.“

Sie lächelte verbindlich.

„Ich bin Offizier, Sergeant. Vergleichbar mit einem Captain. Aber immerhin wissen Sie schon mal, woher ich komme“, versetzte sie. Der Sergeant salutierte zackig und hielt ihr den Fond des Packard auf. Sie stieg ein, Steve setzte sich daneben. Der Sergeant setzte sich ans Steuer und fuhr in Richtung Glendale/Wickenburg auf den U.S. Highway 60, den er bei Beardsley verließ und die nordwestlich der Luke Air Base gelegene Groom Lake Air Base ansteuerte.

Groom Lake AB war eine der vielen Militärbasen, die in Kalifornien, Nevada und Arizona verstreut sind und gehörte zu den kleineren Objekten dieser Art. Dafür hatte Groom Lake AB eine Außenstelle der Militärakademie West Point, an der ein Teil des Pilotennachwuchses ausgebildet wurde. Steve hatte hier den großen Teil der vergangenen zwölf Jahre seines Lebens verbracht. Im Stammhaus der Militärakademie im Staat New York war er nur während der Grundausbildung im ersten Jahr gewesen. Dann war er als Flugschüler nach Groom Lake gekommen, hatte drei Jahre seiner Kadettenzeit hier verbracht, hatte bald nach seinem Offizierspatent selbst hier ausgebildet. Hier fühlte er sich zu Hause, meinte, jeden Kiesel mit Namen zu kennen.

Der Sergeant steuerte den Packard vor das Hauptgebäude, in dem auch die Unterrichtsräume der Militärakademie untergebracht waren. Colonel Jeffrey Clinton, Worsleys Nachfolger als Kommandant der Schulaußenstelle, empfing Steve mit einer Freude, die Harriet schon seltsam erschien. Immerhin stand Clinton deutlich höher im Rang als ihr Mann. Dann aber fiel ihr Blick auf Clintons linke Brustseite. Außer den Schwingen eines Seniorpiloten, die durch Flugstunden erworben wurden, trug er keinerlei Auszeichnungen. Verglichen damit durfte sie Steve getrost einen Helden nennen: Distinguished Service Medal, Silver Star, Distinguished Flying Cross, Purple Heart mit bronzenem Eichenlaub, Bronze Star, das britische DFC und die britische Rettungsmedaille drängelten sich unter den sterngeschmückten Schwingen des Seniorpiloten. Keine dieser Auszeichnungen wurde für Schreibtischtätigkeit verliehen.

„Captain Donovan, General Worsley hat mir telegrafiert, dass Sie kommen, um sich den neuen Jäger anzusehen. Er hat mir auch von Ihren Lehrerfolgen geschrieben. Er muss wohl vergessen haben, dass Sie schon in der Lehrergalerie hängen“, begrüßte Clinton Steve.

„Danke, Sir, das wusste ich noch gar nicht“, erwiderte der. „Was macht die Viererklasse?“, fragte er dann in Anspielung auf die Tatsache, dass er stets die vierte Klasse eines Jahrgangs unterrichtet hatte.

„Oh, alle Viererklassen, die wir zu Zeit haben, sind gut. Wollen Sie nicht wieder bei uns unterrichten, Captain? Captain D’Amato erzählt geradezu wundersame Dinge von Ihnen.“

„Also, wenn ich nicht bald wieder flugtauglich bin, komme ich gern auf das Angebot zurück, Sir.“

„Äh, Sie sind nicht flugtauglich?“, bemerkte Clinton verblüfft.

„Nun, nicht direkt nicht flugtauglich, aber derzeit nicht kampftauglich, sagen wir es so. Einfach vor mich hinfliegen darf ich schon wieder. Unser Truppenarzt hat mir für diese Probeflüge eine Sondergenehmigung gegeben, wenn ich keine Kapriolen schlage – sprich Kunstflug veranstalte, Sir. Fliegen Sie die Mustang hier schon?“

„Ja. D’Amato hat sie gerade in der Klasse 41/4“, erwiderte der Colonel und sah auf die Uhr.

„Für heute fünfzehnhundert* ist Flugtraining angesetzt. Sergeant Onofri wird Sie hinbringen, Captain.“

„Danke, Sir.“

Clinton ließ den Sergeant kommen, der Harriet und Steve schon von Phoenix nach Groom Lake gefahren hatte.

„Sergeant Onofri, bringen Sie Captain Donovan und Flight Officer Donovan zur Flugschule!“, wies er den Sergeant an. Onofri salutierte zackig.

„Ja, Sir!“

Onofri fuhr das Paar zum Flugfeld, wo Captain Angelo D’Amato hektisch mit den Armen ruderte, um seine gestartete Staffel zu dirigieren.

„Oh, Mann! Der lernt’s nie!“, seufzte Onofri halblaut.

„Haben Sie Einwände gegen Captain D’Amatos Ausbildungsmethode, Sergeant?“, fragte Steve. Onofri zuckte sichtlich zusammen.

„Nein, Sir!“, widersprach er, bleich werdend. Steve sah ihn offen an.

„Sie haben Einwände“, bemerkte er dann. „Spucken Sie’s aus! Angelo spielt immer noch den Konzertmeister, wie ich sehe. Was ist Ihnen noch aufgefallen, Sergeant Onofri?“

Onofri kämpfte mit sich, das war für Harriet ebenso deutlich zu erkennen, wie für ihren Mann.

„D’Amato hält sich für den größten Fluglehrer aller Zeiten, Sir. Aber die Leute, die er ausbildet, haben immer die größte Durchfallerquote. Das kann nicht nur an den Leuten liegen, Sir. Ich sehe sie ja in der Grundausbildung. Jeder Kurs hat seine Nieten und seine Goldstücke. Sie sind eigentlich immer etwa gleichmäßig verteilt – aber wenn Captain D’Amato einen Kurs übernimmt, verdoppelt sich die Anzahl der Versager. Das ist nicht normal, Sir“, erklärte der Sergeant. Er sah Steve einen Moment an. „Täusche ich mich, Sir, oder hängt Ihr Bild in unserer Lehrergalerie?“, fragte er dann.

„Zu meiner Zeit gab es so etwas noch nicht. Aber ich war hier mal Fluglehrer“, bestätigte Steve.

„Sir, haben Sie Ihren Flugschülern die Probleme auch am Blick angesehen so wie mir die Kritik an Captain D’Amato?“

Steve grinste.

„Zwar nicht welche Probleme, aber dass Probleme da waren“, erwiderte er.

„Unterrichten Sie wieder, Sir?“

„Nein, ich bin nur auf Urlaub hier. Sofern ich wieder kampftauglich bin, werde ich in Europa wieder Jäger fliegen. Hauptsächlich bin ich hier, weil ich die Mustang ausprobieren will.“

„Kennen Sie die Maschine?“

„Im Prinzip ja, nur noch nicht mit dem Merlin-Motor.“

„Ich glaube, Sie werden Ihre Freude an dem Hüpfer haben, Sir“, lächelte der Sergeant.

„Fliegen Sie selbst?“

„Ja, Sir.“

„Ich bräuchte für den Probeflug einen Flügelmann. Wären Sie dazu bereit, Sergeant?“

„Ja, Sir! Natürlich, Sir!“

„Gut.“

Steve, Harriet und Sergeant Onofri stiegen aus dem Packard aus und gingen zu Captain D’Amato, der mit Signalflaggen am Rand der Startbahn stand.

„Tag, Captain D’Amato“, begrüßte Steve ihn. D’Amato drehte sich unwillig um, erkannte dann den Gleichgestellten.

„Hallo, Donovan. Lange nicht gesehen“, erwiderte D’Amato. „Sie kommen etwas unpassend. Ich bin mitten im Flugunterricht.“

„Den geben Sie immer noch vom Boden aus, wie ich sehe“, bemerkte Steve mit spöttischem Grinsen. Nach seinem Schlaganfall bei dem Trainingsflug mit Steve vermied D’Amato es, für Trainingsflüge ins Cockpit zu steigen.

„Jeder hat seine Methode. Ihre passt mir auch nicht“, knurrte D’Amato. „Sie stören, Donovan!“

Captain Donovan! So viel Zeit muss sein, Captain D’Amato!“, wies Steve seinen früheren Schüler zurecht. „Ich bin hier, weil ich die Mustang für die Blue Eagles, 8th USAAF, probefliegen soll und will. Können Sie mir und Sergeant Onofri zwei von Ihren Maschinen ausleihen?“

„Ah, ja. Clinton erwähnte so etwas“, brummte D’Amato. „Von Onofri hat er allerdings nichts gesagt.“

„Kann er auch nicht, weil ich Sergeant Onofri erst auf dem Weg hierher gebeten habe, als mein Flügelmann mitzufliegen“, erwiderte Steve. D’Amato schaute auf die Uhr.

„In zwei Minuten landet ein Schwarm. Sie können die Alpha- und die Bravo-Maschine haben, wenn sie betankt sind“, sagte er.

„Okay, Captain, dann lassen Sie sich bei Ihrem Unterricht nicht weiter stören“, lächelte Steve und ging zum Wagen zurück.

„Er mag dich nicht“, bemerkte Harriet. „Warum?“

„D’Amato war mein Flugschüler und ist der Meinung, dass ich den Flugschülern zu wenig Raum für die eigene Entfaltung gebe. Er wollte mir beweisen, dass man Flugschüler auch aus der Ferne dirigieren kann. Ich halte das für Blödsinn, weil die Kadetten dann ständig auf den Flugplatz peilen müssen, um die Signale des Fluglehrers zu sehen. Damit sind sie auch noch zu Platzrunden verdonnert, statt die Weite dieser Gegend ausnutzen zu können.“

Pünktlich erschien ein Schwarm Mustangs, deren Landung Steve schaudern ließ. Er fasste sich an die Stirn und schüttelte heftig den Kopf.

„Gott im Himmel! Ich gebe wieder Unterricht! Das ist ja nicht zum Aushalten!“, stöhnte er. Die Mustangs entgingen nur knapp einer Kollision.

„Nein, das kann ich nicht mit ansehen!“, entfuhr es Steve. Er stürmte auf das Rollfeld, auf dem die Maschinen zum Stillstand kamen. „D’Amato! Sie sind so wenig Fluglehrer, wie ich Stachelschwein bin!“, fauchte er.

„Dass Ihnen meine Methode nicht passt, weiß ich, Donovan!“, versetzte D’Amato kalt.

„D’Amato! Die sind nur knapp einer Katastrophe entgangen! Seit wann landen zwei Flugzeuge nebeneinander auf der Landebahn, die nur für ein Flugzeug zugelassen ist?“, fauchte Steve.

„Meine Manöverkritik geht Sie nichts an, Donovan! Das regle ich mit meinen Kadetten! Sie wollen die Mustang probefliegen. Bitte, da kommen sie. Und jetzt verschwinden Sie hier!“, donnerte D’Amato zurück. Steve atmete einmal tief durch. Er hatte kein Recht D’Amato zu maßregeln, das war ihm wohl klar, aber er konnte nicht unwidersprochen hinnehmen, dass ein unfähiger Lehrer den dringend benötigten Nachwuchs verdarb.

„D’Amato – ich habe Sie einmal geschont, als ich hier noch selbst Lehrer war. Ich habe in den letzten Jahren mehrfach Gelegenheit gehabt, das zu bereuen. Und jetzt langt’s! Egal, was man mir sagt: Ich melde das bei der Schulkommandantur!“, knurrte Steve und zog sich wieder zum Wagen zurück. D’Amato stürmte schäumend davon und ließ seine Kadetten ungeschoren.

Die vier Kadetten, die aus den eben gelandeten Flugzeugen stiegen, sahen nicht begeistert aus, fand Harriet. Die Ausbildung an einer Militärakademie war kein Honigschlecken, weder in Großbritannien noch in den Vereinigten Staaten oder sonst wo auf der Welt. Diese Jungs allerdings sahen besonders geknickt aus. Sie wussten, dass sie eine gehörige verbale Abreibung erwartete, vermutlich auch Liegestützen oder Kniebeugen extra oder ein Strafexerzieren im Matsch nach dem nächsten schlammproduzierenden Regenguss.

Sie sehen genauso aus wie Daniel, bevor er bei Steve sein Handwerk gelernt hat’, dachte sie. Im selben Moment hielt Sergeant Onofri die unglücklichen Kadetten auf.

„Ihre Haltung ist saumäßig!“, brüllte er sie an. Erschrocken nahmen die jungen Männer Haltung an, sahen aber nicht glücklicher aus.

„Sergeant, ich denke, die Herren haben schon erkannt, dass sie was falsch gemacht haben“, bremste Steve Onofris groben Sergeanten-Ton aus, bevor er weitermachen konnte. Er winkte die vier zu sich. Sie eilten zu dem Offizier und nahmen wieder Haltung an.

„Kadett Andrew Miller zur Stelle, Sir!“

„Kadett Tamasz Kossuth zur Stelle, Sir!“

„Kadett Stewart McReady zur Stelle, Sir!“

„Kadett Mike Wanninger zur Stelle, Sir!“

„Danke, stehen Sie bequem, meine Herren“, erwiderte Steve mit einem freundlichen Lächeln, das die Kadetten nur selten bei Vorgesetzten zu sehen bekamen. „Ich bin Captain Steve Donovan, 8th USAAF. Ich soll demnächst die Mustang fliegen. Können Sie mir Auskunft zu der Maschine geben?“

„Äh, Sir – sind Sie neu hier?“, fragte Kadett Kossuth vorsichtig.

„Nein, Kadett, im Gegenteil. Ich habe hier mal unterrichtet. Aber die Mustang ist mir – mit dem neuen Merlin-Motor jedenfalls – noch neu. Also, wer erklärt mir den Vogel?“

„Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Veränderungen gegen­über dem alten Motor gern an meiner Maschine demonstrieren, Sir“, bot Wanninger salutierend an. Die anderen drei boten dem freundlichen Offizier gleichfalls ihre Dienste an.

„Schön, dann zeigt mir eure Mustangs mal“, erwiderte Steve jovial und folgte den Kadetten zu den abgestellten Maschinen. Wanninger ließ ihn in sein Flugzeug einsteigen und erklärte Steve mit Präzision und Begeisterung die Neuerungen gegenüber der alten Mustang mit der amerikanischen Eigenkonstruktion des Motors von der Firma Allison. Steve hörte aufmerksam zu, vollzog die Handgriffe nach, die der Kadett ihm zeigte. Nicht, dass er darum nicht gewusst hätte, sonst hätte man ihn nie auf die Mustang losgelassen; aber Steve hatte die Erfahrung gemacht, dass es nichts Besseres gab, um Kadetten sowohl in ihrem Wissen als auch in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, als sie das Erlernte in ihren eigenen Worten erklären zu lassen. Zwar wusste Steve, dass Erklären und Begreifen zwei höchst unterschiedliche Paar Schuhe waren, aber wer erklären konnte, hatte auf jeden Fall begriffen. Und zu letzterer Kategorie gehörte Mike Wanninger.

„Schön“, sagte Steve schließlich. „Wunderbar erklärt, Mr. Wanninger. Sergeant Onofri hat sich bereit erklärt, mein Flügelmann bei einem Probeflug zu sein. Würden zwei von Ihnen noch mal aufsteigen, um einen Formationsflug zu testen?“

„Äh, was ist das, Sir?“, fragte Wanninger.

„Wie lange fliegen Sie, Kadett?“

„Eineinhalb Jahre, Sir.“

„Bei Captain D’Amato?“

„Ja, Sir.“

„Und Sie haben in eineinhalb Jahren noch keinen Unterricht in Formationsflug bekommen?“, erkundigte Steve sich erschrocken.

„Nein, Sir“, seufzte Wanninger.

„Papier, Bleistift, Unterlage!“, kommandierte Steve. McReady gab ihm seine Checkliste, seine Landkarte aus der rechten Beintasche als Unterlage und seinen Bleistift. Steve drehte das Blatt einfach um und zeichnete schematisch eine Viererformation.

„Das nennt man eine Vierfinger-Formation“, sagte er, „Man nennt das so, weil die vier Maschinen so nebeneinander fliegen wie die vier Finger der rechten Hand nebeneinander liegen, wenn sie ausgestreckt ist. Nummer 1, das ist der Zeigefinger, fliegt etwas versetzt hinter Nummer 2, der Mittelfinger, der am weitesten vorn ist. Nummer 2 ist gleichzeitig die Führungsmaschine. Nummer 3, der Ringfinger, ist wieder ein Stück zurückversetzt, noch hinter Nummer 1. Nummer 4, der kleine Finger schließt die Formation nach hinten ab. Nummer 4 ist in dieser Formation die gefährdetste Maschine, sollte also von einem erfahrenen Piloten geflogen werden. Onofri, ich würde Sie dafür vorsehen. Das zur horizontalen Verteilung. Vertikal bleiben nicht alle auf einer Ebene. Beim Fliegen hat man auch immer die Höhe mit zu berücksichtigen. Nummer 1 fliegt am niedrigsten, Nummer 4 am höchsten. Diese Orgelpfeifenanordnung nennt man Stacking. Abstand nach oben je hundert Fuß, seitlich je zweihundert Fuß. Also: Wanninger, Sie sind Nummer 1, ich Nummer 2, McReady die Nummer 3 und Onofri die Nummer 4. Wir starten einzeln in der Nummernreihenfolge und nehmen die Formation am Vulture Pike auf. Alles klar?“

Kadetten und Sergeant nickten.

„Ja, Sir!“, bestätigten sie wie aus einem Munde.

„Dann los! Kennwort Emerald!“

Während die Kadetten und Sergeant Onofri die Maschinen bestiegen und checkten, holte Steve die Starterlaubnis ein. Nachdem die Maschinen neu betankt waren, die Motoren die erforderliche Drehzahl erreicht hatten, rollten die Maschinen an. Wanninger startete zuerst, Steve folgte, dann McReady und dann Onofri.

„Emeralds, herhören: Kurs 285 Grad* bis zum Vulture Pike. Dort nehmen wir die Formation auf und fliegen dann Kurs 270 Grad, umrunden den Vulture Pike gegen den Uhrzeigersinn und nehmen dann Kurs 180 Grad. Wanninger im unteren Stacking, Onofri im oberen. Over.“

Die anderen Piloten bestätigten und folgten Steves Führungsmaschine bis zum Vulture Pike. Dort schlossen sie die Formation, umkreisten den Berg, flogen nach Süden weiter. Eine ganze Stunde lang flogen die vier Mustangs als Schwarm, dann aufgelöst in Zweier-Rotten, nutzten die große Reichweite der Maschinen voll aus. Mike Wanninger und Stewart McReady waren gute Piloten, die schnell begriffen, die mit den Mustangs umgehen konnten. Onofri hätte für Steve ebenfalls in die engere Wahl gehört, wäre er nicht in Groom Lake AB mit der Ausbildung beschäftigt gewesen. Die Mustang selbst war eine geradezu lustvolle Erfahrung für Steve. Seit Monaten war er nicht mehr geflogen – und nun durfte er sich einmal nach Lust und Laune austoben. Er wusste, es würde nicht bei diesem einen Probeflug bleiben. Diese Maschine machte süchtig.

Harriet beobachtete den Flug am Radar und bat den Fluglotsen nach einer Weile, ihr den Rückkehrkorridor der Emerald-Formation zu erklären.

„Wenn Sie’s verstehen, Ma’am …“, schränkte der Lieutenant ein. Harriet lächelte ihn gewinnend an.

„Ich bin Fluglotse, Lieutenant. Ich mache den gleichen Job wie Sie – nur in England“, bemerkte sie. Der Lieutenant nickte.

„Okay, Ma’am“, erwiderte er und gab Harriet die erbetenen Informationen.

„Emerald Flight, hier Tower Groom Lake Air Base. Ihren Flug übernimmt jetzt Flight Officer Donovan“, meldete er sich dann bei den Piloten ab.

„Emerald One hat verstanden“, nahm Steve den Wechsel zur Kenntnis. „Hallo, Flight Officer Donovan, auf gute Zusammenarbeit.“

Nach langer Zeit dirigierte Harriet wieder Steve und eine von ihm geführte Einheit wieder zum Flugplatz zurück. Sie hatte schon nicht mehr gewusst, wie sich seine Stimme im Funkverkehr anhörte. Trotz des absolut korrekten Funkverkehrs bemerkte Harriet wieder die Wärme in Steves Stimme, die sie so sehr liebte.

Die ganze Woche über flog Steve mindestens eine Stunde täglich die Mustang Probe, gab nebenbei den vier Kadetten aus D’Amatos Kurs Unterricht im Formationsflug und setzte sich dann noch eine Stunde mit Harriet in den Trainer und gab ihr Flugunterricht. Harriet lernte ihren Mann von einer völlig neuen Seite kennen: Als zwar gestrengen, aber sehr kompetenten und guten Lehrer, der die Geduld nicht verlor. Er zeigte Harriet die Freude am Fliegen, den Umgang mit den Instrumenten, die Lust am Luftreiten. Am Ende der Woche brachte Harriet die Maschine sogar allein auf die Landepiste herunter.

„Tadellose Landung, Mädchen!“, lobte Steve. „Harriet, aus dir kann noch eine Superpilotin werden!“

„Das meinst du nicht ernst, Steve“, wehrte Harriet ab und parkte den Trainer. Steve schwieg zunächst, bis sie ausstiegen, half Harriet ritterlich aus der Maschine.

„Oh, doch, das meine ich ernst, Flight Officer. Ich habe so vielen das Fliegen beigebracht, dass ich mir eine Prognose erlauben kann, ob aus einem Flugschüler etwas wird oder nicht. Und aus dir würde etwas werden, wenn du ernsthaft Flugunterricht nehmen würdest“, sagte er dann und lächelte sie an. Harriet kannte diesen Blick, dem in der Regel ein Kuss folgte.

„Nein, bitte jetzt nicht küssen, Captain, sonst ist es um mich geschehen. Heb’ dir das bitte für heute Abend auf“, wehrte sie vorsichtig ab. Steve nickte, sehnsüchtig schweigend.

Schulkommandant Clinton bedauerte, dass die Probeflugwoche schon zu Ende war und gab Steve den dringenden Wunsch mit auf den Weg, ihn bald wieder als Lehrer an der Akademie begrüßen zu dürfen.

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Kapitel 4

Freudige Überraschung


Von Groom Lake reisten die Donovans in die Rocky Mountains nach Denver/Colorado weiter. Von dort fuhren sie zu einer gut erreichbaren Berghütte weiter, an der sich Waschbären und Erdhörnchen ‚
Gute Nacht’ sagten, so einsam war es dort. Die Nächte glichen in ihrer völligen Dunkelheit den Kriegsnächten in Großbritannien. Aber während man dort das Licht löschen musste, um den Deutschen nicht zu zeigen, wo man wohnte, ließen sie hier das Licht ganz freiwillig aus, um zu sehen, wie die samtene Schwärze des Nachthimmels von Abertausenden von Sternen verschönt wurde. Hier oben in den Rocky Mountains war der grausame Krieg in Europa weiter fort als der Mond, der sich täglich mehr rundete, den Wölfe in den Bergwäldern anheulten, den Harriet und Steve jeden Abend von der Bank vor ihrer Hütte aufgehen sahen. Sie genossen den Aufenthalt als verspätete Hochzeitsreise. Das offene Feuer in dem gemauerten Kamin erinnerte beide sehr an ihr heimliches Liebesnest in Cornwall. Heimlichkeiten waren jetzt nicht mehr erforderlich, aber Steve sorgte einfach aus Gewohnheit dennoch für ein nahezu rauchloses Feuer. Die Urlaubstage endeten abends mit intensiven Zärtlichkeiten und begannen morgens auch so. Dazwischen lagen liebesselige Träume, ruhiger Schlaf und sanftes Aneinanderschmiegen liebender Menschen.

Nach einer diese wundervollen Nächte saßen die jungen Leute beim Frühstück, als Harriet ihren Teller nur halb geleert beiseiteschob. Sie hatte einfach keinen Appetit mehr.

„Was ist los?“, fragte Steve leise und nahm ihre Hand.

„Ich mache mir langsam Sorgen, Steve.“

„Worüber, mein Schatz?“, erkundigte er sich besorgt.

„Ausnahmsweise mal nicht um dich, sondern um mich“, seufzte sie. „Wir sind seit fast fünf Monaten verheiratet, wir mühen uns nach Kräften, was Kinder betrifft – aber ich werde nicht schwanger.“

Er zog seinen Stuhl um den Tisch herum und umarmte seine Frau.

„Und warum nimmst du an, es könnte an dir liegen? Könnte es nicht auch an meine Schuld sein?“

„Ach, was heißt Schuld? Ich weiß nicht … Als ich im Februar solche Angst hatte, habe ich mich von Dr. Small untersuchen lassen, weil meine Periode zweimal ausgeblieben war. Ich war nicht schwanger, und das Ausbleiben der Periode begründete er mit stressbedingter Hormonschwankung.“

„Hast du sie denn jetzt wieder regelmäßig?“

„Im Prinzip ja. Nur jetzt ist sie wieder ausgefallen.“

„Wenn wir zurück sind, lassen wir uns beide von Dr. Small auf den Kopf stellen, was meinst du?“, schlug Steve vor.

„Steve, wenn wir wieder in Europa sind, glaube ich nicht, dass wir dafür wirklich Zeit haben werden“, bemerkte Harriet. „Dann hat uns der Krieg wieder.“

Er nickte.

„Ja, stimmt. Würdest du es für besser halten, wenn wir uns hier in den Staaten untersuchen lassen?“

„Na ja, jetzt haben wir die Gelegenheit dazu“, gab sie zu bedenken.

„Okay, wir machen hier klar Schiff, dann fahren wir nach Denver. Da werden sich entsprechende Ärzte finden“, erwiderte er und küsste seine Frau.

Zwei Tage später klingelte im Hotelzimmer der Donovans in Denver das Telefon. Steve nahm ab.

„Hallo.“

„Mr. Donovan, hier ist die Rezeption, Mary Sweet. Ich habe Dr. Christensen in der Leitung. Darf ich verbinden, Sir?“

„Ja, stellen Sie durch.“

„Hier Harvey Christensen.“

„Hallo, Dr. Christensen, Steve Donovan hier.“

„Ist Ihre Frau da, Mr. Donovan?“

„Ja. Harriet, für dich“, sagte Steve und gab Harriet den Hörer.

„Donovan“, meldete sich Harriet.

„Hallo, Mrs. Donovan. Harvey Christensen hier. Ich habe das Untersuchungsergebnis.“

„Und?“, fragte Harriet auffordernd.

„Also, Sie sollten ein bisschen vorsichtiger mit sich umgehen, keine körperliche Anstrengung betreiben und von Sport die Finger lassen – außer von Gymnastik, die die untere Rumpfmuskulatur stärkt“, erklärte der Arzt.

„Meinen Sie, dann könnte ich schwanger werden?“, erkundigte die junge Frau sich hoffnungsvoll.

„Wieso werden? Sie sind schwanger, Mrs. Donovan! Es ist zwar noch recht früh, aber Sie sind schwanger.“

„Danke, Doktor! Danke! Sie wissen, nicht, wie sehr Sie mir eben gerade geholfen haben!“, jubelte Harriet.

„Kommen Sie doch am besten noch mal mit Ihrem Mann zu mir in die Praxis.“

„Ja, Doktor. Wann?“

„Wenn Sie mögen, gleich. Noch ist das Wartezimmer leer.“

„Danke, Doktor“, erwiderte sie, legte auf und sprang vor Freude durch das Hotelzimmer, bis Steve sie einfing.

„Was hat er gesagt?“, fragte er und umarmte sie.

„Steve, mein Schatz: Du wirst Vater!“, jauchzte sie. Er drückte sie an sich und wirbelte sie im Kreis herum.

„Und Dr. Christensen hat uns gebeten, zu ihm in die Praxis zu kommen – am besten gleich“, setzte sie atemlos hinzu, als er sie wieder absetzte.

Wenig später saß das Ehepaar Donovan in Dr. Christensens Praxis.

„So, wie wir es bestimmen konnten, sind Sie jetzt in der vierten Woche schwanger, Mrs. Donovan. Das Ei hat sich nur an einer etwas riskanten Stelle in der Nähe des Gebärmuttermundes eingenistet. Ich muss Sie bitten, jetzt mit sich sehr vorsichtig zu sein, sonst besteht die Gefahr, dass Sie den Fötus verlieren. Aufregung, größere körperliche Anstrengung, das ist – mindestens für die nächsten vier Wochen – nichts für Sie“, erklärte der Arzt.

„Doktor, es gibt da ein Problem“, sagte Harriet langsam.

„Und das wäre?“

„Sehen Sie, ich bin zwar mit einem Amerikaner verheiratet, aber ich bin britische Staatsbürgerin. In Großbritannien ist Krieg, und ich bin Militärangehörige. Ich bin mit meinem Mann nur auf Urlaub hier in den Vereinigten Staaten – und der ist nächste Woche vorbei. Bedeutet: Wir müssen nach Großbritannien zurück in das Stabsbüro von General Worsley, dessen Adjutant mein Mann ist. Ich bin als britische Verbindungsoffizierin ebenfalls im Büro von General Worsley.“

„Nun, wenn Sie im Stabsbüro eines Generals eingesetzt sind und nicht direkt im Kampfeinsatz stehen, wird es wohl gehen – oder ist der Job mit Stress verbunden?“

„Nun, Sir, ein General, der in strategische Planungen einbezogen ist, hat eine Menge zu tun. Für seinen Adjutanten fällt dabei einiges ab. Das eigentliche Problem besteht darin, dass ich eine Doppelfunktion habe: Ich bin Staffelkapitän einer Jagdstaffel und eben der Adjutant meines Generals. Meine Frau vertritt mich im Büro, in der Staffel ein Freund von mir. Wenn ich fliege, hat meine Frau den Büro­kram am Hals – und Angst um mich, wie ich weiß“, erklärte Steve.

„Dann sollten Sie in den nächsten Wochen um Ruhe in Ihrem Bereich beten. Informieren Sie bitte unbedingt den zuständigen Truppenarzt, damit der Sie notfalls dienstunfähig schreibt, wenn es zu Komplikationen kommt. Mrs. Donovan. Wo wohnen Sie in Großbritannien?

„In Kent“, antwortete sie.

„Wo in etwa ist das in Großbritannien?“

„Einige Meilen südlich von London.“

„Kampfgebiet?“

„Falls die deutsche Luftwaffe uns besuchen sollte, ja“, erwiderte die junge Frau.

„Dann beten Sie wirklich um Ruhe in Ihrer Gegend und darum, dass Ihr Mann sich in den nächsten vier Wochen nicht in ernsthafte Gefahr begeben muss, Mrs. Donovan“, warnte der Arzt.

Auf dem Rückweg in die Berge waren beide zunächst schweigsam. Jeder dachte über das nach, was die Zukunft bringen konnte – auch und gerade für ihr erstes gemeinsames Kind.

„Harriet“, setzte Steve schließlich an, „du bist Britin und als Britin bist du in eure WAAF eingetreten. Du kannst zwar nicht so einfach aussteigen, aber wenn du die amerikanische Staatsbürgerschaft annimmst, könntest du hierbleiben und in Ruhe unser Kind zur Welt bringen“, schlug er dann vor. Harriet sah ihn an, als seien ihm Hörner gewachsen.

„Steve! Das ist nicht dein Ernst!“, mahnte sie. „So etwas denkt man nicht einmal!“, wies sie ihn zurecht. Sie hatten den Parkplatz vor der Hütte erreicht. Er parkte, stellte den Motor ab und sah sie eine Weile an.

„Harriet – du weißt, dass ich ganz speziell deinen Einsatzwillen für dein Land und deine Professionalität in deinem Beruf schätze. Du weißt, dass ich zu denen gehöre, die die Leistungen von euch Frauen für diesen Krieg hoch schätzen. Aber die Warnung des Arztes war deutlich: Keine Aufregung, keine körperliche Anstrengung, sonst könntest du das Kind verlieren. Biologisch betrachtet ist deine Grundaufgabe, Leben zu geben. Du bist eben dabei, einem Kind das Leben zu schenken – unserem Kind. Einem Kind, das wir beide wollen und das anzunehmen wir beide geschworen haben. So ungern ich auf deine Nähe verzichte, glaube ich doch, dass es für dich und das Kind das Beste wäre, wenn du hierbleiben könntest“, erklärte er sanft. Harriet schüttelte unwillig den Kopf.

„Steve: Du musst auf jeden Fall zurück nach England. Was glaubst du, welche Ängste ich ausstehe, wenn ich dich in einem vom Krieg überzogenen Land weiß? Wenn ich weiß, dass du als Soldat in einem sehr gefährdeten Bereich deinen Job tust? Außerdem kenne ich deine Luftsucht. Vielleicht wäre meine Anwesenheit in England ein Grund für dich, keine unnötigen Risiken einzugehen“, erinnerte Harriet.

„Sicher“, bestätigte Steve. „Sicher bin ich vorsichtiger, wenn du in meiner Nähe bist – genauer: Ihr beide, du und unser Kind. In den nächsten vier Wochen habe ich auch noch meinen Rücken als Ausrede, um nicht unter Kampfbedingungen fliegen zu müssen, aber dann nicht mehr. Worsley braucht mich dann auch wieder als Kampfpiloten. Das bin ich freiwillig und seit lange vor dem Krieg. Und das hast du gewusst“, gab er zu bedenken.

„Ich bin das, was ich bin, ebenso freiwillig wie du. Ich habe mir das genauso selbst ausgesucht wie du. Vermutlich habe ich eine Ehe und eine Schwangerschaft während des Krieges aber ebenso wenig geplant wie du. Das hat sich halt so ergeben, weil ich dich liebe, weil es wunderschön ist, dich zu lieben und von dir geliebt zu werden. Ich bereue keine Sekunde – nicht unseren ersten Kuss im strömenden Regen von Saint Eval, nicht ein einziges Mal, das wir uns geliebt haben. Aber ich habe eine Aufgabe übernommen – und die führe ich zu Ende“, versetzte Harriet.

„Okay, sehe ich ein. Ich habe nur das blöde Gefühl, dass die Krauts nicht aufgeben werden, bis du unser Kind zur Welt bringst. In acht Monaten haben wir sie nicht kurz, da bin ich mir sicher. Was dann? Wie willst du das Kind versorgen und gleichzeitig deinem Job bei Worsley nachkommen?“, fragte Steve.

„Ich weiß es noch nicht, Steve“, seufzte Harriet. „Ich werde mit meiner Mutter reden. Vielleicht kann sie mir einen Rat dazu geben.“

„Du willst also unbedingt weitermachen?“

„Ich halte es für meine Pflicht, Steve.“

„Schön. Ich glaube, dass deine Pflicht an diesem Punkt endet, mein Liebling.“

Harriet wollte aufbegehren, aber Steve legte ihr sanft die Hand auf den Arm.

„Nein, reg’ dich nicht auf. Wenn es dein Wille ist, König, Volk und Vaterland trotz deiner Schwangerschaft weiter zu dienen, werde ich dich nicht daran hindern. Für klug halte ich es aber nicht“, sagte er. „Ich liebe dich. Und dazu gehört, dass ich dir deinen Willen lasse, auch wenn ich nicht überzeugt bin, dass das, was du vorhast, gut ist.“

Harriet sah ihren Mann einen Moment an. Er hatte versucht sie von seinem Standpunkt zu überzeugen, und es war ihm nicht gelungen. Eine Niederlage. Würde er sie wegstecken oder konnte sie einen Riss in ihrer Liebe bedeuten? Harriet wusste es nicht. Sie liebte Steve über alles und wollte nichts weniger, als ihm wehtun. Andererseits wollte sie sich nicht bevormunden lassen. Aber war es klug, so einen kleinen Machtkampf – nichts anderes war diese Diskussion, wie sie sich eingestand – ausgerechnet auf dem Rücken ihres ersten gemeinsamen Kindes auszutragen? Harriet wurde unsicher. Jetzt den Sieg zu verschenken, konnte Folgen für später haben, wenn es vielleicht wichtiger war, sich durchzusetzen. Ohne es wirklich zu wollen, begann sie, nach einer Rückzugsmöglichkeit zu suchen, ohne das Gesicht zu verlieren.

Ihr Schweigen deutete Steve als Eingeschnapptsein. Er ließ ihr Zeit, sich wieder zu fangen und hoffte, dass sie irgendwann auch die Dinge aus seiner Sicht betrachten konnte. Dass er die Diskussion praktisch verloren hatte, bedeutete ihm weniger, als Harriet befürchtete. Letztlich war Harriet diejenige, die das Kind austrug und zur Welt bringen würde.

Was verstehe ich davon?‘, fragte er sich. Er hatte keine praktische Erfahrung mit diesem Zustand und würde ihn schon rein biologisch nie haben. Aber er hoffte, dass Harriet vernünftig genug war, die Doppelbelastung aufzugeben, bevor ihrem gemeinsamen Kind dadurch Nachteile entstanden.

Zweieinhalb Wochen später waren sie zurück in Großbritannien. Harriet wurde die Entscheidung weitermachen oder aufhören durch Dr. Small abgenommen. Offiziell gehörte Harriet immer noch zur Luftsicherung Saint Eval, und Dr. Small war nach wie vor der für sie zuständige Truppenarzt.

„Sie sind ab sofort nicht mehr dienstfähig, Flight Officer“, erklärte der Arzt unnachgiebig. „Sie haben eine Risikoschwangerschaft. Der kleinste Auslöser kann dazu führen, dass der Embryo abgestoßen wird. Ich kann nicht verantworten, dass Sie unter den bisherigen Bedingungen weiterarbeiten.“

Sie wollte im ersten Impuls aufbegehren; andererseits bot Dr. Small ihr die willkommene Rückzugsmöglichkeit. Sie nickte.

„Gut. Und wie bringe ich das General Worsley bei? Bei dem bin ich als Verbindungsoffizier eingesetzt.“

„Brauchen Sie nicht“, erwiderte Small. „Das mache ich“, erklärte er dann lächelnd.

Als sie Steve davon berichtete, hatte sie eigentlich ein hämisches Grinsen erwartet – aber er nahm sie nur sanft in die Arme und zuckte mit den Schultern. Einerseits war das ein ‚Ich-hab’s-doch-gleich-gesagt’, andererseits war es mehr Trost, Einfühlungsvermögen und Liebesbeweis, als sie jemals von ihm erwartet, ja erhofft hatte. Sie schämte sich, dass sie ihm – wieder einmal – grundlos misstraut hatte. Sie spürte seinen Kuss auf der Stirn und hörte ein leises:

„Ich liebe euch.“

Als sie verblüfft aufsah, verzogen sich seine Mundwinkel zu dem von ihr so geliebten Lächeln mit den dekorativen Grübchen.

„Na, ja: dich und unser Kind, mein Liebling“, setzte er leise hinzu. Harriet erwiderte seine Umarmung, unfähig, noch ein Wort zu sagen und weinte vor lauter Glück.

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Kapitel 5

Neue Aufgaben

 

Als Steve Donovan nach Maidenfield Airfield zurückkehrte, fehlte ihm in seinem Dienstalltag etwas sehr Wichtiges: seine Frau. Bisher hatte er – sah man von seiner Strafversetzung nach Afrika ab und seinem Ausbildungsintermezzo nach seinem Einsatz bei der britischen Eagle Squadron – seit 1940 stets in Harriets Nähe gearbeitet. In der letzten Zeit vor der Reise in die Staaten hatten sie sich sogar ein Büro geteilt. Jetzt, nachdem sie wegen ihrer riskanten Schwangerschaft nicht mehr dienstfähig war, fand er, dass sein Büro in Worsleys Stabsquartier leer und einsam war. Mehrfach an diesem Tag musste er sich disziplinieren und sagte sich häufiger, dass die meisten seiner Männer ihre Frauen oder Freundinnen schon seit Monaten, wenn nicht gar seit mehr als einem Jahr nicht gesehen hatten. So gesehen war er in einer glücklichen Lage, denn Harriet wohnte nur wenige Meilen von Maidenfield Airfield entfernt bei ihren Eltern in Collins’ Manor in Maidenfield Village. Wenn er seine Arbeit im Stabsbüro beendet hatte und keine Befehle für Eskortenflüge vorlagen, fuhr er für gewöhnlich nach Collins’ Manor. Jeder, der ihn nötigenfalls erreichen musste, hatte die Telefonnummer der Collins. Von dort gerufen, war er in zehn Minuten wieder in Maidenfield. General Worsley, der Steves Zuverlässigkeit sehr schätzte, ließ seinem Adjutanten und Staffelkapitän gern die lange Leine der abendlichen Heimfahrt. Er wusste: Wenn er Captain Donovan brauchte, war der in wenigen Minuten zur Stelle.

Zu General Worsleys Aufgaben gehörte unter anderem die Planung für die Vorbereitung der Invasion. Bei der Planung der Invasion im westlichen Europa spielte die Luftherrschaft eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Invasion konnte nur gelingen, wenn es den Alliierten rechtzeitig gelang, die Luftüberlegenheit im Invasionsraum zu erlangen. Für die Luftherrschaft waren zwar keine weitreichenden Jäger wie die Mustang erforderlich – aber das Vorhandensein der Mustang würde andere Jagdflugzeuge mit geringerer Reichweite für den unmittelbaren Luftkampf über Nordfrankreich freimachen. Steves Erfahrungsbericht mit der neuen Mustang überzeugte nicht nur General Worsley, sondern auch General Spaatz, der zwischenzeitlich Chef der US-Luftstreitkräfte in Europa geworden war. Spaatz zögerte nicht mehr und orderte die Mustang als Begleitjäger für die Bomber der inzwischen von General James H. Doolittle kommandierten 8th USAAF.

Nur wenige Wochen, nachdem Steve aus den Staaten zurückgekehrt war, seinen Erfahrungsbericht gegeben hatte und die Maschinen bestellt waren, trafen die ersten Schiffsladungen mit zerlegten North American P-51 Mustang in den Häfen ein. Noch demontiert wurden sie per Bahn zu den Stützpunkten gebracht. Neben den nördlich von London in East Anglia gelegenen Stützpunkten in den Grafschaften Cambridgeshire, Essex und Suffolk – Debden, Fowlmere, Leiston und Steeple Morden – erhielt auch Maidenfield südlich von London den neuen Jäger. Die Blue Eagles, zur 410th Fighter Group der 8th USAAF gehörig und als 633rd Fighter Squadron bezeichnet, tauschten die P-47 Thunderbolt gegen die Mustang, ebenso die anderen vier Fighter Squadrons, die nach Worsleys Beförderung zum Brigadier General von Colonel Donald Vanderbuilt kommandiert wurden. Steve Donovan war als gelernter Ausbilder der für die Schulung der Piloten hauptverantwortliche Offizier in Maidenfield.

Etwa drei Wochen nach dem Eintreffen der Mustangs in Maidenfield, es war der 16. November 1943, ließ sich General Worsley von Vanderbuilts Truppe Flugvorführungen zeigen und war von den Fähigkeiten des neuen Jägers beeindruckt.

„Captain Donovan“, wandte sich der General schließlich an Steve, „ich habe gehört, dass Sie mit der Mustang alles können. Stimmt das eigentlich?“

Steve grinste.

„Den Außenlooping bringt nach wie vor nur General Doolittle persönlich zustande. Aber sonst kann ich eigentlich mit jeder Maschine alles, was sie so hergibt, wenn ich sie eine Weile geflogen habe“, bestätigte er.

„Dann bitte ich Sie um eine kleine Demonstration, was man mit der Mustang so alles anstellen kann“, forderte Worsley ihn auf. Steve nickte. Er war gesund, hatte keine Probleme mehr mit dem Rücken und kannte die Mustang inzwischen bestens. Er winkte Jerry Cox, mit dem er die ersten Vorführungen für die Truppe einstudiert hatte. Die beiden Piloten bestiegen ihre Maschinen, starteten und begannen eine Vorführung, die Vanderbuilts Truppe und die sonstigen Nutzer sowie die Anwohner des Flugplatzes Maidenfield bereits kannten, die sie aber immer wieder in Erstaunen versetzte.

Auch Harriet, die an diesem eher zufällig sonnigen Novembertag auf der Terrasse von Collins’ Manor saß und durch die Motorengeräusche aufmerksam wurde, kannte die Figuren bereits, die ihr Mann und sein Staffelkamerad flogen. Anfangs hatte sie ernsthafte Angst gehabt, als sie die wilden Manöver am Himmel gesehen hatte und an den Kennzeichen der Maschinen gesehen hatte, dass es Steve und Jerry waren, die den Himmel über Maidenfield unsicher machten. Doch sie kannte die beiden Piloten gut und wusste, dass sie nichts taten, was wirklich gefährlich gewesen wäre – speziell bei Steve war sie sich völlig sicher. Worsley, der die meiste Zeit in seinem Büro verbrachte oder beim Planungsstab war, hatte jedoch schon lange keine Flugvorführung dieser beiden Männer gesehen, die seiner Ansicht nach neben Colonel Vanderbuilt die besten Piloten seiner drei Fighter Groups waren.

Der General sah der kühnen Vorführung von Loopings, Schrauben, Sturzflügen und fast haarsträubenden Begegnungsmanövern mit offenem Mund zu. Als er an diesem Tag zum Flugfeld gekommen war, hatte er ohnehin die Beförderung zum Major für beide Piloten in der Tasche gehabt. Aber nach dieser Vorführung war er mehr denn je überzeugt, dass Steve Donovan und Jerry Cox den Dienstgrad des Majors mehr als verdient hatten. Zwangsläufig musste Worsley damit aber ein eingespieltes Team sprengen, denn der Majorsrang bedeutete, dass Jerry nun eine eigene Einheit übernehmen musste. Die Blue Eagles, die 633rd Squadron, waren Steves Staffel. Jerry Cox würde künftig die seit dem Tod von Major Travers drei Wochen zuvor verwaisten White Eagles, die 632nd Squadron, kommandieren. So bestand immer noch die Möglichkeit, dass einer den anderen vertreten konnte und dass Colonel Vanderbuilt seine beiden besten Piloten behalten konnte.

Als Steve und Jerry landeten, klatschte nicht nur Charles Worsley Applaus. Dann wurde ihm bewusst, dass er nun seinen Adjutanten verlieren würde, denn ein Major war nicht mehr der Adjutant eines Brigadiers. Dieser Job war etwas für Subalternoffiziere bis zum Rang eines Captains.

„Ich weiß, dass Sie beide mehr Flugbenzin und Schmieröl als Blut in den Adern haben – aber das hätte ich auch von Piloten wie Ihnen beiden nicht erwartet!“, lobte der General die gelungene Vorstellung. „Ich habe eine kleine Belohnung für diese Extra-Vorstellung: Mr. Donovan, Mr. Cox: Kraft der mir verliehenen Vollmachten befördere ich Sie hiermit beide zum Major!“

Steve und Jerry salutierten.

„Danke, Sir“, antworteten beide wie aus einem Munde.

„Ich weiß, dass ich Ihnen damit nicht nur Freude mache, sondern zwei gute Freunde auch ein Stück trenne. Aber es wird nur ein kleines Stück sein. Major Donovan, Sie bleiben Chef der 633rd Squadron Blue Eagles. Major Cox, Sie sind von heute an der Staffelkapitän der 632nd Squadron White Eagles, die Sie ja schon in den letzten drei Wochen kommissarisch geführt haben“, erklärte Worsley dann.

Zu General Worsleys völliger Überraschung wollte Steve Donovan trotz des Majorsrangs weiterhin sein Adjutant bleiben.

„Major Donovan, sind Sie sicher, dass Sie das wirklich wollen?“, fragte Worsley, als Steve am Nachmittag bei ihm im Büro erschien und ihm die Mitteilung machte. „Major Cox steht nicht mehr als Ihr Stellvertreter zur Verfügung“, warnte er dann.

„Nein, aber Captain Carringson, Sir. Jeff Carringson war bisher immer der zweite Stellvertreter. Ich kenne meinen Haufen, Sir. Carringson schafft meine Stellvertretung ebenso wie Cox“, erwiderte Steve.

„Sie nehmen mir ein gewisses Problem ab, gebe ich zu“, erklärte Worsley erleichtert. „Ich hätte nicht gewusst, wo ich so schnell einen neuen Adjutanten herholen sollen – ist schon schlimm genug, dass Sie Ihre Frau dienstunfähig gemacht haben“, grinste der General dann. „Wie geht es ihr?“

„Sie sitzt zu Hause in Collins’ Manor und ist sauer, dass sie nicht arbeiten darf. Aber Dr. Small war das Risiko für Mutter und Kind doch zu groß. Mir fehlt sie hier genauso wie Ihnen, Sir. Wenn ich dann frei habe und nach Hause komme, kann ich mit dem Erzählen gar nicht aufhören, so viel will sie wissen.“

Es klopfte. Worsley ließ den Besucher eintreten.

„Hallo, Charlie, hallo, Steve!“, grüßte ein angestrengt aussehender Colonel Bennett den General und seinen Adjutanten. „Glückwunsch, mein Junge, zur Beförderung. Charlie, hast du dir endlich die Eichenblätter für deinen besten Mann aus dem Herzen gerissen?“, setzte er dann hinzu.

„Hallo, Sam. Ich habe nur so lange gezögert, weil ich so einen Adjutanten unter der Sonne nicht mehr finde. Aber nachdem er mir auf den Knien geschworen hat, mein Adjutant zu bleiben, konnte ich ihn befördern. Jetzt muss ich nur noch aufpassen, dass Jimmy Doolittle ihn mir nicht wegschnappt.“

Steve grinste.

„Schätze, der ist mit Lieutenant Bellamy gut bedient.“

Captain Bellamy, junger Freund“, korrigierte Worsley. „Zugegeben, Doolittle hat den Vorteil, dass sein Adjutant nicht so luftsüchtig ist wie meiner“, ergänzte er schmunzelnd.

„Apropos Luftsucht: Charlie, ich muss nach Frankreich – und ich brauche einen zuverlässigen Piloten.“

„Einen, der außer Bombern alles fliegt was Flügel hat, der ‘ne Menge Sprachen spricht, das Orientierungsvermögen einer Fledermaus hat und wie ein Falke kämpft?“, erkundigte Worsley sich schelmisch.

„Ja, so was in der Art wär’ nicht schlecht.“

„Major – Sie sind begehrt. Da will Sie einer als Taxiflieger haben.“

„Wo musst du hin?“

Bennett sah Donovan verblüfft an.

„Wie? Du willst wirklich …?“

„Ich schulde dir noch was. Außerdem würde Dad es mir nie verzeihen, wenn ich dich zu jemand anderem in die Maschine lassen würde“, erwiderte Steve.

„Wie gut kennst du Frankreich?“

„Zugegeben, bisher nur wenig. Aber ich kann ja mal Flint Anderson fragen. Der setzt seit einiger Zeit Agenten in Frankreich ab oder gabelt sie auf.“

„Ich muss in die Normandie. Die Calvados-Küste ist unser geplantes Angriffsziel. Scheußlich hoch, mit einem Tidenhub der schlicht atemberaubend ist. Dahinter ein verwirrendes Dickicht von Bocages genannten Feldern, die von einem Labyrinth hoher Hecken als Windbrecher umgeben sind. Was sagt dir Cherbourg?“

„Hafenstadt in der Normandie, von den Krauts schwer befestigt, Tidenhub um sechsunddreißig Fuß“, antwortete Steve. Worsley sah ihn erschrocken an.

„Langsam werden Sie mir unheimlich, Major Donovan“, schnaufte er. Steve lächelte seinen Chef freundlich an.

„Wir wollen Europa von Frankreich her von den Nazis befreien. Da habe ich mich genötigt gesehen, ein bisschen zu lesen, Sir.“

„Sag’ ich doch: Sie werden mir unheimlich, Junge. Dass Sie Deutschland wie Ihre Westentasche kennen, habe ich nach Ihrem diplomatischen Zwischenspiel ja noch verstanden, aber dass Sie sich auch in Frankreich auskennen, das Sie meines Wissens noch nie betreten haben … Oha!“

„Ich kenne mich nicht aus, falls Sie das beruhigt, Sir. Aber ich hatte mal einen Lehrer, der mir gesagt hat, dass es nicht so wichtig ist, alles zu wissen, sofern man nur weiß, wo man es nachlesen muss. Und angesichts unserer Invasionsplanung habe ich gelesen, Sir“, erklärte Steve.

„Schön“, sagte Sam. „Ich muss nach Cherbourg. Dort ist eine Widerstandsgruppe, die ich mit Informationen versorge und von denen ich Informationen bekomme. Fliegst du mich hin?“

„An sich kein Problem, aber erlaube mir die Frage, seit wann der Chef der Military Intelligence unseres Haufens so was selber macht?“

„Seit mir sieben Agenten von den Krauts abgegriffen wurden“, versetzte Sam.

„An deiner Stelle würde ich mir die Frage stellen, ob da Verrat im Spiel ist“, bemerkte Steve.

„Was glaubst du, was ich tue?“, versetzte der. „Deshalb will ich da auch heimlich hin – ohne die Franzosen vorher zu informieren.“

„Also ‘ne Nachttour! Du kennst die normalen Voraussetzungen dafür? Und dass sie nicht gegeben sind, wenn du die Résistance nicht benachrichtigst?“, erkundigte sich Steve erschrocken. Im verdunkelten Europa brauchte ein Pilot mindestens eine Orientierungshilfe aus einem kleinen Fackelkreuz, wenn er den Agenten richtig absetzen sollte und der nicht mitten in einem deutschen Feldlager landen wollte.

„Ich weiß es. Schließlich fliege ich selbst“, erwiderte Sam. „Aber ich weiß, dass du ein exzellenter Nachtpilot bist.

„Oh, Mann, Sam! Diese Kiste von Lysander bei Dunkelheit und ohne Landebefeuerung heil ‘runterbringen ist unmöglich! Tut mir Leid!“, entgegnete Steve kopfschüttelnd.

„Du musst nicht landen. Ich springe ab.“

„Wie bitte? Du willst in undurchsichtiges Dunkel abspringen? Ohne Ahnung, wo du landest? Sam, spinnst du?“

Worsleys Entsetzen war echt. Es war ihm viele Jahre zuvor selbst einmal passiert, dass er auf einem nächtlichen Übungsflug in der lichtlosen Wüste Arizonas hatte abspringen müssen. Er hatte die bizarre Felsformation nicht sehen können, in der er schließlich hängen geblieben war – mit zweifach gebrochenem linken Bein, mehreren gebrochenen Rippen und diversen blutenden Schürf- und Risswunden am ganzen Körper. Dann war die Gegend auch sehr schlecht zugänglich gewesen, so dass der damalige Captain Worsley volle sechsunddreißig Stunden hilflos an seinem Fallschirm baumelnd auf Rettung hatte warten müssen. Er hatte es nur überlebt, weil er auf der Nordseite des Massivs im Schatten gewesen war und es noch nicht Sommer gewesen war. Seither hatte er vor Nachtabsprüngen eine regelrechte Allergie. Er hätte nie von einem seiner Männer verlangt, in eine solche Ungewissheit zu springen.

„Charlie, unsere Jungs müssen das bei der Landung in der Normandie auch tun!“, erinnerte Bennett ihn.

„Sam, du bist Colonel, du bist fünfzig Jahre alt! Die Jungs, die die Invasion einleiten sollen, sind knapp zwanzig! Außerdem springen die Fallschirmjäger nicht in völlige Dunkelheit, sondern haben hoffentlich rechtzeitig Landelichter von den Franzosen“, wehrte Worsley ab.

„Ja, grüner als ‘ne Lärche im Frühling sind die Burschen!“, versetzte Sam. „Ich weiß wenigstens, worauf ich mich einlasse. Charlie, ich mache das doch nicht zum ersten Mal.“

„Nein“, seufzte Worsley, „aber zum ersten Mal seit wenigstens fünfzehn Jahren“, erwiderte er.

„Ich tue es auf eigenes Risiko. Ich gefährde deinen Piloten nicht. Steve muss nicht landen.“

Worsley wusste nicht mehr, was er ob dieser Sturheit noch sagen sollte. Er hatte gegenüber Sam keine Befehlsgewalt, da dieser direkt General Doolittle als dem Chef der 8th USAAF unterstand.

„Es ist verrückt, aber ich kann dich nicht daran hindern. Du bist nicht mein Untergebener. Aber für gut halte ich es nicht“, sagte er schließlich mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Major Donovan, sind Sie bereit, diesen Irren zu fliegen?“, wandte er sich dann an Steve. Der junge Major nickte.

„Ja, Sir. Ich muss dann nur noch ‘nen zweiten Mann an Bord haben, der die Tür hinter Colonel Bennett zumacht. Alleine kann ich das nicht. Vom Pilotensitz reicht man nicht an eine geöffnete Tür der Kiste.“

„Wenn Sie unter Ihren Leuten noch einen Freiwilligen finden, tun Sie’s, Major. Gott schütze dich, Sam.“

Der Freiwillige war schnell gefunden. Warrant Officer Jack Becker, Steves Chefmechaniker, war bereit, als Türportier mitzukommen. Er, Major Donovan und Colonel Bennett trafen sich in der Flugplanung des Geschwaders.

„Wo willst du genau hin, Sam?“, fragte Steve und nahm die Karte zur Hand, die Südengland, den Kanal und die Calvados-Küste zeigte. „Cherbourg ist besetzt und mehr als nur gut befestigt. Da laufen mehr Krauts als Franzosen ‘rum. Wenn du über der Stadt abspringst, kannst du es auch haben, am Kirchturm hängen zu bleiben.“

Sam schüttelte den Kopf.

„Nein, ich will den Krauts nicht direkt in den Bierkrug plumpsen. Hier, nordwestlich von Cherbourg, ist ein kleines Fischerdorf, Saint-Joseph-sur-Mer. Natürlich sind da auch mehr als genug Deutsche, aber erheblich weniger als in Cherbourg selbst.“

„Hmm, ist zu finden, wenn wir mindestens Halbmond haben. Der Mond ist derzeit fast rund. Was sagt der Wetterbericht, Jack?“

„Sternenklar, gute Sicht und saukalt heute Nacht, Sir“, antwortete Becker.

„Noch fast Vollmond heißt, der alte Knabe ist fast die ganze Nacht da. Wir starten am besten gegen zweiundzwanzigdreißig, dann steht er am höchsten und zieht nach Westen weiter. Wenn ich den richtigen Winkel erwische, leuchtet er uns das Wasser so gut aus, dass sich die Halbinsel völlig klar vom Wasser abhebt. Wie kommst du zurück, Sam?“

„Wenn die Leute von der Résistance nicht die Banditen sind, wird einer meiner Verbindungsleute einen Code funken und eine Lysander wird mich abholen – schön mit Lichtsignal und allem Tamtam“, erwiderte Sam.

„Und wenn der abholende Pilot der Verräter ist?“, warnte Steve.

„Nein, den kann ich ausschließen.“

„Und warum, Sir?“, fragte Jack.

„Weil bei den letzten sieben Agenten kein Rufsignal von den Franzosen gekommen ist. Wir haben ja nicht mal mehr einen Abholversuch starten können.“

„Willkommen in der Höhle des Löwen! Worsley hat Recht: Das ist verrückt!“

„Hör’ mir mal gut zu, mein Junge:“, sagte Sam und sah Steve geradeheraus an. „Es ist mein Job, euch Informationen zu besorgen und den Franzosen Informationen von uns zu geben. Die Zeit drängt allmählich. Wir kennen unser Landegebiet noch längst nicht genau genug, wir müssen unbedingt noch was an Informationen einsaugen. Deshalb muss innerhalb dieser Woche eine Mission zu den Franzosen klappen, sonst können wir uns die ganze Invasion sonst wohin stecken, klar?“, erklärte er verhalten zornig.

„Okay, Sam. Ich bringe dich hin. Du wirst wissen, was du tust“, erwiderte Steve mit einem unüberhörbaren Seufzen.

„Steve“, sagte Sam versöhnlich und legte dem jungen Mann eine Hand auf den Arm, „ich bin nicht so bescheuert und springe da in Uniform ab. Ich werde mich jetzt in einen fast waschechten Franzosen verwandeln und als solcher dort landen.“

Steve nickte.

„Der Mond ist vor einer Stunde aufgegangen. Höchststand ist in fünf Stunden. Uhrenvergleich!“, sagte er. Die Männer sahen auf ihre Armbanduhren.

„Es ist jetzt siebzehndreißig. Wir starten um zweiundzwanzigdreißig. Treffen zweiundzwanzighundert an der Maschine. Wenn alles glatt geht, schwebst du um dreiundzwanzigfünfzehn zu Boden, Sam“, stellte Steve den Zeitplan auf. „Bis dahin sollten wir eine Mütze voll Schlaf nehmen. Zieht euch warm an, denn es wird verdammt kalt werden“, setzte er dann hinzu.

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Kapitel 6

Taxiflüge

 

Pünktlich um zehn Uhr abends trafen sich die Männer an der Lysander, einem kleinen Verbindungsflugzeug, mit dem die Spezialpiloten die Agenten nach Frankreich hinbrachten und auch wieder abholten. Wie das deutsche Pendant, die Fi 156, genannt Fieseler Storch, konnte die Westland Lysander auf den unmöglichsten Plätzen landen und starten, nahm eigentlich nur richtige Schlammbäder übel. Was der Storch durch geringes Gewicht erreichte, machte die fast doppelt so schwere Lysander durch ein Fahrwerk wett, das durch breite „Radgamaschen“ an den Rädern ein Versinken in einem weichen Untergrund verhinderte. Dank der Zusatztanks hatte diese Version, die Lysander III, eine deutlich größere Reichweite als die ursprünglich geplanten zweitausendvierhundert nautischen Meilen.

Als Sam und Jack das kleine Flugzeug erreichten, hatte Steve den Außencheck bereits erledigt und war beim Innencheck. Eben zog er ein Netz hoch, mit dem zu verhindern war, dass Gepäckstücke beim Abheben nach hinten in die Schwanzpartie rutschten. Man hatte die Erfahrung gemacht, dass sie dort normalerweise auf Nimmerwiedersehen verschwanden, weil dieser Raum hinter den Sitzen nahezu unzugänglich war – außer, man demontierte die Außenverkleidung des Hecks.

Sam quetschte sich mit seinem unförmigen Fallschirmrucksack auf den Rücksitz, wo er sich seitwärts hinsetzen konnte. Seine Zivilsachen – er trug einen normalen dunklen Wintermantel, darunter einen dunklen Straßenanzug, in denen Fabrikationsschilder auf französische Provenienz hinwiesen, mit hellem Rollkragenpullover und dazu die typischste aller französischen Kopfbedeckungen, die Baskenmütze, sowie normale Straßenschuhe – waren für einen Fallschirmabsprung nicht gedacht. Sam ging besonders mit den Schuhen ein hohes Risiko ein, weil sie den Aufprall in keiner Weise mildern würden. Steve sah diesen Umstand mit einigem Unbehagen. Er selbst und Jack Becker trugen heizbare Pilotenkombis mit pelzgefütterten Lederjacken, darüber leuchtendgelbe Schwimmwesten und warme, gefütterte Stiefel. Jack trug als Kopfbedeckung eine gefütterte Fliegerkappe; Steve blieb bei seiner normalen Uniformmütze, über die er die Kopfhörer stülpte.

„Keine Stiefel?“, fragte er, als er Sams Fußbekleidung sah.

„Nein. Wenn die Krauts mich abgreifen, kann ich denen Springerstiefel wohl schlecht erklären“, entgegnete Sam schnaufend, der sich in den doch unbequemen Sachen nur mühsam zurechtsetzen konnte.

„Okay. Jack, alles klar?“

Jack Becker nahm auf dem Boden Platz, weil kein Sitzplatz mehr frei war.

„Alles klar, Sir“, meldete er.

Steve meldete sich beim Tower ab, bekam die Starterlaubnis und rollte Schlag halb elf Uhr abends zur Startbahn. Er gab Schub, die kleine Verbindungsmaschine rollte immer schneller über den Runway und hob dann ab. Die klare Mondnacht umfing die Lysander und verschluckte sie dann, als Steve noch im Steigflug auf einen Kurs von 215 Grad ging, also in südsüdwestlicher Richtung steuerte. In knapp fünf Minuten war die Reiseflughöhe von gut siebentausend Fuß erreicht. Sam war in seinem Leben schon viel geflogen, sowohl als Pilot wie auch als Passagier, aber selten so ruhig wie in dieser mondhellen Nacht. Die Lysander, windempfindlich wie alle kleinen und leichten Maschinen, lag wie ein Brett in der Luft. Sam sah nur an den Bewegungen des Steuerhorns, dass Steve Scherwinde ausgleichen musste, spüren konnte er es nicht. Der Pilot schien mit der Maschine wie verwachsen, war voll konzentriert.

„Da unten ist es“, hörte Sam nach einiger Zeit Steves Stimme in seinem Kopfhörer. Er richtete sich auf und sah hinaus. Im Mondlicht zeichnete sich die Halbinsel Cotentin ab, an deren Spitze Cherbourg lag. Die kleinen Wellen auf dem Wasser ließen die See wie flüssiges Silber erscheinen. Darin lag das Land wie eine schwarze, undurchdringlich finstere Masse, deren Konturen sich klar und scharf vom mondbeschienenen Meerwasser abhoben.

„Noch eine Minute, Sam“, sagte Steve und gab Jack ein Zeichen, der die Türverriegelung löste. Sam robbte auf dem Sitz nach vorn, steckte die Baskenmütze sicher weg und war dann absprungbereit.

„Los, ‘raus mit dir. Bonne chance, Monsieur“, verabschiedete Steve seinen ‚Onkel’ französisch.

Merci beaucoup. Au revoir, mon Commandant“, erwiderte Sam ebenso französisch.

Jack öffnete die Tür, Sam sprang hinaus und wurde schnell von der Dunkelheit verschluckt. Erst als er den Fallschirm öffnete, zeichnete sich der im Mondlicht ab. Steve drehte ab und flog fast direkt nach Norden, Richtung Isle of Wight. Für die rund sechzig nautischen Meilen benötigte die kleine Maschine knappe zwanzig Minuten. Fünf Minuten, bevor sie die Insel erreichten, meldete Steve sich auf dem dortigen Flugplatz.

„Lysander Nullsieben vom Stützpunkt Maidenfield und unter Major Steve Donovan auf dem Weg von Frankreich nach Maidenfield. Erbitte Überflugerlaubnis für Isle of Wight. Over!“

„Lysander Nullsieben, hier Tower Newport. Haben Sie noch genug Treibstoff für einen Weiterflug nach Saint Eval? Over!“, meldete sich der Tower bei Steve.

„Lysander Nullsieben. Was, zum Teufel, soll ich in Saint Eval?“, fragte Steve verblüfft nach.

„Tower Newport an Lysander Nullsieben: In Saint Eval ist ein Pilot notgelandet, der zum Stützpunkt Maidenfield gehört. Sie sollen ihn gleich mitnehmen. Over!“

„Lysander Null sieben, verstanden. Fliege nach Saint Eval weiter! Over!“, bestätigte Steve und drehte nach Westen ab. Um unschöne Begegnungen mit Flakgeschossen übernervöser britischer Flakschützen entlang der Küste zu vermeiden, stieg Steve weiter hoch, bis auf knapp neuntausend Fuß.

Fünf Minuten vor halb eins in der Nacht meldete Steve sich im Tower von Saint Eval an.

„Tower Saint Eval, Lysander Nullsieben von Maidenfield, Major Donovan. Erbitte Landeerlaubnis und Landeinstruktionen.“

„Tower Saint Eval an Lysander Nullsieben von Maidenfield: Sie haben Landeerlaubnis auf Landebahn zwei. Over!“, antwortete der Tower korrekt. Es war unverkennbar die Stimme von Maggie McFarlane. „Willkommen daheim, Steve. Kommst du noch auf einen Tee ‘rauf?“, setzte sie dann weniger förmlich hinzu.

„Hi, Maggie. Kommt drauf an, wie lange die Jungs brauchen, um meinen Vogel zu betanken und wie schnell mein Fluggast da ist“, gab Steve zurück.

Wenig später stand die Lysander an der AVGAS-Anlage* und wurde betankt. Steve und Jack saßen oben im Tower bei den diensthabenden Fluglotsen Maggie McFarlane und Betty Glover und schlürften nach dem doch recht kalten Flug dankbar von Bettys heißem, starkem Earl-Grey-Tee. Der notgelandete Pilot befand sich noch zur Untersuchung im Lazarett bei Dr. Small, und so hatten die früheren Kollegen für eine Unterhaltung Zeit. Steve leitete aus alter Gewohnheit die eine oder andere Maschine zum Flugplatz.

„Was macht Harriet?“, fragte Maggie schließlich.

„Sie ist zu Hause in Collins’ Manor und ist einfach nur sauer, dass Doc Small ihr das Arbeiten verboten hat“, grinste Steve.

„Warum das?“, erkundigte sich Betty.

„Risikoschwangerschaft. Jede Aufregung könnte das Kind gefährden“, erklärte Steve lächelnd.

„Harriet ist schwanger?“, fragte Betty verblüfft nach. Steve nickte.

„Und … und wer ist der Vater?“, stotterte sie.

„Ich“, erwiderte Steve.

„Du? Aber … aber … ooh!!!“, japste Betty, verdrehte die Augen und kippte um. Steve seufzte.

„Ich habe ganz vergessen, dass Betty ja nicht bei der Hochzeit war. Vielleicht hätte ich es ihr schonender beibringen sollen.“

„Mach dir nichts draus, sie hätte es ohne hin nie begriffen.“

„Was hätte sie nie begriffen?“, fragte Jack, der sich um die Ohnmächtige bemühte, weil sein Vorgesetzter es einfach nicht tat.

„Wie ein Mann wie Major Donovan – gut aussehend, charmant, gebildet – sich ausgerechnet die blaustrümpfigste Kratzbürste angeln konnte, die in ganz Saint Eval zu finden war“, antwortete Maggie, ebenfalls seufzend. Jack sah Steve an, der nur grinste.

„Sir, das ist aber ‘ne ernsthafte Beleidigung für Ihre Frau“, warf der Warrant Officer ein. Steves Grinsen wurde noch breiter.

„Wenn Sie meine Frau hier im Tower erlebt hätten, Mr. Becker, wären Sie auch der Meinung gewesen, sie sei ein kratzbürstiger Blaustrumpf. Aber meine Frau ist eine erstklassige Schauspielerin, die für diese Paraderolle ohne weiteres den Oscar verdient hätte. Vivien Leigh hätte das nicht besser hinlegen können. Aber die Rolle der liebevollen Ehefrau steht ihr genauso gut, Maggie.“

„Ich glaube, ich bin die Einzige, der sie jemals geoffenbart hat, dass du ihr etwas bedeutest. Wir haben es zwar alle gesehen, dass sie sich dir gegenüber anders verhalten hat, als bei allen anderen, aber so richtig wahrhaben wollte es doch keiner. Besonders Betty nicht. Sie ist immer noch in dich verliebt.“

„Ist Sergeant Lime noch hier?“, fragte Steve mit einem nieder­trächtigen Lächeln.

„Klar“, erwiderte Maggie mit einem gleichartigen Gesichtsausdruck.

„Jack, komm weg von der jungen Dame, wenn du nicht gleich geküsst werden willst. Betty Glover kennt da keine Hemmungen, wenn sie aufwacht. Esther würde das kaum verstehen“, wies Steve seinen Untergebenen dann vorsichtig auf Bettys notorische Manns­tollheit hin.

„Aber …“

„Wenn Sie sie wecken, Mr. Becker, haben Sie Betty am Hals, das schwöre ich Ihnen. Als verheirateter Mann sollten Sie sich das nicht antun“, warnte Donovan. „Maggie, ist unser Passagier schon da?“

„Ich frag’ mal drüben im Lazarett nach. Dann kann ich auch gleich Lime holen“, erwiderte Maggie und rief im Lazarett an. „Alles klar“, sagte sie dann. „Er ist eben auf dem Weg hierher. Nehmt ihr ihn gleich von unten mit?“

„Machen wir, Maggie. Bring’ Betty bitte schonend bei, dass Harriet und ich geheiratet haben.“

„Tue ich gerne. Ich fürchte nur, sie wird es einfach nicht glauben. Grüß bitte Harriet.“

„Ja, natürlich.“

„Oh, Steve, könntest du noch etwas für mich mitnehmen?“

„Und was?“

„Das hier – einen Brief an Ian.“

„Klar, gib her.“

Maggie gab Steve den Brief an ihren Mann mit, verabschiedete sich mit einem freundschaftlichen Kuss auf die Wange von Steve und einem herzhaften Händedruck von Warrant Officer Becker. Die beiden Männer gingen die Treppe vom Tower hinunter zu den Hangars. Die Uhr zeigte zehn Minuten vor Drei am Morgen.

„Woher kennen Sie die Tommies hier, Sir?“, erkundigte sich Becker.

„Ich habe mal hier im Tower als Fluglotse eine Verwundung auskuriert. Da habe ich mit Mrs. McFarlane zusammengearbeitet und unter anderem meine Frau kennengelernt“, erklärte Steve.

Als er wieder nach vorn sah, wäre er fast die letzte Treppenstufe herunter gestolpert, so erschrak er. Ihr Fluggast war Air Commodore Henderson! Der war nicht weniger erschrocken, dem ungeliebten Yankee wieder zu begegnen. Dennoch fassten sich beide schnell genug, um sich vor dem anderen keine Blöße zu geben. Steve und Jack salutierten vor dem Ranghöheren.

„Guten Morgen, Sir. Major Steve Donovan und Warrant Officer Jack Becker, 8th USAAF. Wir sollen Sie nach Maidenfield zurückbringen!“

„Morgen! Wo steht Ihre Maschine, Donovan?“

„Draußen auf dem Rollfeld, Sir. Kommen Sie, dann fliegen wir gleich ab“, erwiderte Steve säuerlich, der es auch von Vorgesetzten nicht gewohnt war, dass man ihn nur mit Nachnamen ansprach.

Wenig später war die kleine Verbindungsmaschine wieder in der Luft. Jack hockte wieder auf dem Boden, während Henderson es sich auf dem Rücksitz bequem machte.

„Ich hatte gehofft, Ihnen nie wieder zu begegnen, Donovan“, knurrte Henderson nach einer Weile ins Mikrofon.

Major Donovan, so viel Zeit muss sein, Sir“, korrigierte Steve eisig. „Ich habe übrigens dasselbe gehofft, Sir“, versetzte er dann. Jack sah ihn erschrocken an. Wie konnte er einem General so etwas mehr oder weniger ins Gesicht sagen?

„Die drei Monate Strafversetzung, die ich Ihnen zu verdanken habe, waren mehr als nur unangenehm – obwohl ich wieder Jäger fliegen konnte. Ich habe sehr deutlich zu spüren bekommen, dass ich ein strafversetzter Nichtsnutz war, Sir. Beinahe hätte man mir noch verdiente Auszeichnungen vorenthalten. Gott sei Dank gibt es aber auch bei der Militärjustiz vernünftige Menschen, die wirklich für Gerechtigkeit sorgen. Ich habe also für meine Abschüsse den verdienten Lohn erhalten“, fuhr Steve fort.

„Und? Sind Sie inzwischen vernünftiger, was Bomber betrifft?“, fragte Henderson.

„Die Frage sollte ich Ihnen stellen, Sir“, erwiderte Steve kalt. „Ich habe die Trümmer von Hamburg gesehen und ich weiß, dass gerade aus Ihrem Haufen diverse Leute um Versetzung zu anderen Einheiten nachgesucht haben und sie auch bekommen haben.“

„Sie sind Amerikaner, Donovan. Sie wissen nicht, was es heißt, Familie durch die Krauts zu verlieren!“, versetzte Henderson.

„Ich weiß, was es heißt, Familie durch einen heimtückischen Überfall im Morgengrauen eines Sonntags im Dezember zu verlieren, Sir. Mein Bruder fiel an Deck der Arizona, als die Japaner Pearl Harbor ohne Vorwarnung heimsuchten“, erwiderte Steve. „Und ich bete, dass ich Ihre Erfahrung in Großbritannien nie machen muss. Die Deutschen haben den Krieg angefangen, Sir; ich bestreite das nicht und versuche nicht, das schönzureden. Dafür werde ich ihnen als Soldat meines Landes gehörig Feuer unter dem Hintern machen – aber den Soldaten und nicht den wehrlosen Zivilisten. Ich hätte ja nichts dagegen, wenn das Bomber Command versuchen wollte, Mr. Hitler persönlich von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Ich garantiere Ihnen, dass der Krieg in wenigen Tagen beendet ist, wenn Adolf tot ist. Wenn Sie mir eine Zielkarte von Berlin in die Hand drücken, die Reichskanzlei markieren und sagen: ‚Machen Sie das Ding platt!’, werden Sie davon nicht mehr vorfinden, als deponiereife Steinkrümel. Die würde ich nach Strich und Faden bombardieren, bis davon nichts mehr übrig ist. Aber wenn es gegen Arbeiterviertel in Hamburg-Barmbek geht oder in Charlottenburg, dann beißen Sie auf Granit, Sir. Mein Bombenschütze hat bei meinem Einsatz über Hamburg einen Gasometer und eine kriegswichtige Gummifabrik sauber zerlegt. Dafür haben Sie uns richtig langgemacht – und das habe ich nicht vergessen, Sir. Übrigens: Der Bombenschütze ist jetzt einer der besten Fotografen der Royal Air Force.“

„Wirklich: Sie sollten beten, dass Sie nie Familie durch die Krauts verlieren. Falls das doch eintreten sollte, sprechen wir uns noch mal“, grunzte Henderson. „Es könnte nämlich sein, dass dann auch solche romantischen Wirrköpfe wie Sie ihre Meinung ändern.“

Steve zuckte mit den Schultern, verzichtete auf eine bissige Antwort und schaltete das Funkgerät auf den Kanal von Maidenfield um.

„Lysander Nullsieben von Maidenfield unter Major Donovan. Höhe siebentausend Fuß, Kurs 75 Grad. Erreiche Maidenfield voraussichtlich nullvierhundert. Erbitte Landeerlaubnis. Over!“, meldete er die Maschine an.

„Hier Tower Maidenfield, Flight Officer Donovan. Sie haben Landeerlaubnis für nullvierhundert auf Landebahn 1, Major Donovan. Over!“

Steve zuckte erschrocken zusammen, als er die Stimme als Harriets identifizierte. Was hatte Harriet im Tower zu suchen? Becker entging das heftige Zusammenzucken seines Vorgesetzten nicht.

„Was ist, Sir?“

„Meine Frau sitzt schon wieder im Tower – obwohl der Arzt es ihr ausdrücklich verboten hat!“, keuchte er.

„Sie sind mit einem Offizier der Women’s Auxiliary Air Force verheiratet, Major?“, wunderte sich Henderson.

„Ja, wir kennen uns schon ziemlich lange. Ihr Bruder war mal in Ihrem Geschwader, Sir. Sie haben mir seine Maschine gegeben, als er verwundet war.“

„Wie bitte? Harriet Collins ist Ihre Frau? Der Blaustrumpf?“, platzte Henderson lachend heraus.

„Sie ist eine sehr professionell eingestellte Jägerleiterin und Fluglotsin, Sir. Leider gibt es nicht viele Männer, die ein solches Engagement zu würdigen wissen. Die meisten sehen in den Frauen der Hilfskorps nur militärisch verpackte Pin-up-Girls. Meine Frau betrachtet ihre Aufgabe als zu wichtig, um sich von Leuten ablenken zu lassen, die das Gehirn in der Hose tragen. Und das ist bedauerlicherweise der größte Teil unserer Kameraden, Sir.“

„War sie verwundet, dass der Arzt sie dienstunfähig geschrieben hat, Major?“, fragte Henderson

„Nein, sie ist im dritten Monat schwanger. Risikoschwangerschaft, Sir“, erwiderte Steve kühl.

„Nun, Sie scheinen nicht zu wollen, dass Ihre Frau weiter engagiert ist, Major. Sonst hätten Sie besser aufgepasst, oder?“, kicherte Henderson anzüglich.

„Es war zwar nicht unbedingt Absicht, dass unser erstes Kind noch während des Krieges zur Welt kommen sollte, aber es hat sich halt so ergeben. Ich liebe meine Frau, Sir – und wir wünschen uns beide Kinder.“

„Oh, es sind noch sechs Monate bis zum Termin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Donovan. Bis dahin kann noch viel passieren“, entgegnete Henderson.

„Sir, glauben Sie ernsthaft, dass die Krauts oder auch die Japaner bis zum Mai nächsten Jahres kapitulieren? Mit Verlaub, Sir, das würde ich nicht annehmen.“

„Wenn wir den verdammten Deutschen weiter mit Bomben Feuer unter dem Hintern machen, werden sie es sich überlegen, ob sie weiter mit uns Streit suchen!“, versetzte der Air Commodore.

„Einem Bomber am Himmel, Sir, dem kann man sich nicht ergeben. Wir werden wohl zu Fuß und mit Panzern nach Berlin hingehen müssen, um sie davon zu überzeugen, dass sie sich mit den Falschen angelegt haben. Aber dafür müssen wir erst einmal in Festlandeuropa Fuß fassen. Wenn ich es recht übersehe, findet die Invasion nicht gerade morgen statt, Sir“, erwiderte Steve kühl.

„Sie meinen, mit strategischen Bombardements ist das nicht zu erreichen, Major?“

„Nein, Sir. Ich halte Mr. Douhet für einen ausgesprochenen Idioten.“

„Ziemlich deutlich“, grunzte Henderson. „Aber ich möchte Ihre Reaktion sehen, wenn Ihrer Frau oder Ihrem Kind etwas passiert, Donovan.“

„Was können deutsche Zivilisten für das, was deutsche Militärs tun, Sir? Was können Frauen und Kinder dafür? Nichts! Überhaupt nichts! Weshalb sollte ich mich an denen vergreifen, wenn die deutsche Luftwaffe oder die Armee meiner Frau oder meinem Kind etwas tun sollte?“

„Donovan! Sind Sie Soldat oder ein Waschlappen?“

„Ein Waschlappen, Sir, kann nicht fliegen, außer man wirft ihn weit genug“, versetzte Steve eisig, aber ironisch. „Ich bin Soldat, ich bin Militärpilot – und zwar freiwillig und schon seit lange vor diesem Krieg. Aber ich bin Jagdpilot, Sir, und kein Babykiller.“

„Sie nennen mich einen Babykiller?“, brauste Henderson auf.

„Ich habe gesagt, dass ich keiner bin, Sir. Wenn Sie das Wort auf sich beziehen, tun nur Sie es!“, antwortete Steve. Im selben Moment piepte es in seinem Kopfhörer. Steve schaltete um.

„Lysander Nullsieben, Major Donovan?“

„Hier Tower Maidenfield, Flight Officer Donovan. Beginnen Sie den Sinkflug, Major Donovan.“

„Danke, Flight Officer. Leite Sinkflug ein. Lysander Nullsieben over.“

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Kapitel 7

Harriets Rückkehr


Es war viertel nach vier am Morgen des 17. November 1943, als die Lysander nullsieben von Steve Donovan auf ihrer Parkposition auf dem Flugplatz Maidenfield in Kent stand und die drei Männer sich beim diensthabenden Wachoffizier, Squadron Leader Leslie, von der Luftüberwachung meldeten. Leslie saß in dem Büroraum, an den der Fluglotsenraum angrenzte. Steve sah hinein. Harriet saß vor ihrem Radarschirm. Selten war sie ihm schöner erschienen als jetzt, wo sie konzentriert auf die grünen Punkte ihrer Anzeige schaute.

„Guten Morgen, Flight Officer Donovan“, sagte er sanft. Harriet sah auf.

„Guten Morgen, Major Donovan. Alles Gute zur Beförderung“, erwiderte sie. „Tut mir Leid, aber ich hab’ gerade Kundschaft. Moment.“

Sie wandte sich wieder dem Radar zu und gab einem Piloten Landeanweisungen. Als sie ihn abgefertigt hatte, stand sie auf und umarmte Steve.

„Hallo, Schatz“, sagte sie nach einem liebevollen Begrüßungskuss.

„Was machst du hier? Ich denke, du liegst zu Hause im Bett und schläfst?“, fragte er verwundert.

„Würde ich vielleicht, wenn ich mir nicht Sorgen gemacht hätte. Nachdem du gestern Abend nicht angerufen hast, habe ich das getan – und Worsley hat mir gesagt, dass du Sam heute Nacht nach Cherbourg bringen wolltest. Nebenbei hat er mir auch gesagt, dass er dich befördert hat. Ich habe mich drei Stunden von einer Seite auf die andere gedreht und konnte nicht schlafen. Da bin ich hergefahren und habe mich lieber ans Radar gesetzt. Und nachher, mein Schatz, lasse ich mich von Dr. Levinson hier auf dem Stützpunkt noch mal untersuchen. Ich glaube nämlich nicht, dass ich immer noch dienstunfähig bin.“

Steve schnaufte verzweifelt. Er sah sich um. Außer ihm und Harriet war niemand da.

„Sturer als ein mexikanischer Maulesel! Harriet, du musst mir nichts beweisen. Ich weiß, was für eine Radarspezialistin du bist.“

„Eben!“, versetzte Harriet. „Genau deshalb bin ich der Meinung, dass König, Volk und Vaterland meine Dienste brauchen.“

„Na schön, wenn Dr. Levinson dich für dienstfähig hält, in Ordnung. Wenn nicht, bringe ich dich nach Hause und gebe deinem Vater den Schlüssel mit der Auflage, ihn wegzuschließen, damit du nicht wieder auf solche Ideen kommst“, seufzte Steve.

„Aber du hast meine Arbeit immer sehr geschätzt …“

„Ja, natürlich. Harriet, ich kenne keine bessere Fluglotsin oder Jägerleiterin als dich, aber du hast im Moment eine andere Aufgabe, die dich mehr als nur fordert.“

„Ob ich hier sitze oder zu Hause – das Kind entwickelt sich schon“, widersprach Harriet.

„Aber es besteht das Risiko, dass du es verlierst“, warnte Steve.

„Das wird Dr. Levinson dann feststellen“, erwiderte Harriet. „Steve, ich langweile mich einfach in Collins’ Manor. Ich brauche eine Aufgabe. Sonst hätte ich …“

„Okay, ich hab’ verstanden. Ist schon gut“, bremste Steve. „Aber wenn du merken solltest, dass es nicht geht, dass du Probleme bekommst, dann – bitte – spiel’ nicht den Helden, sondern bleib’ lieber zu Hause.“

Harriet nickte. Sie begriff, dass es Steve nicht darum ging, sie an den Herd zu verbannen, sondern dass er ernsthafte Sorge um Mutter und Kind hatte und ihm ihrer beider Wohlergehen wichtig war. Sie drückte ihn fest an sich.

„Übrigens, Major: Ich liebe dich“, flüsterte sie vertraulich.

„Ich dich auch, Flight Officer“, erwiderte er und küsste sie erneut.

„Ähem!“, ließ sich Squadron Leader Leslie von der Tür vernehmen. „Solche Vertraulichkeiten im Dienst kann ich nicht dulden!“

Harriet und Steve sahen zur Tür. Leslie zwirbelte seinen Schnurrbart und zwinkerte den jungen Leuten vertraulich zu. Es war deutlich, dass er die traute Zweisamkeit des Ehepaars selbst sehr wohl dulden wollte.

„Sie sollten sich lieber schlafen legen, Major Donovan. Nutzen Sie den ruhigen Moment noch aus, damit Sie wieder frisch werden.“

„Ja, danke, Sir“, erwiderte Steve. „Sehen wir uns nachher zum Frühstück?“, wandte er sich dann an Harriet.

„Ja. Geh bloß schlafen, Schatz. Ich werde inzwischen meinem Hobby frönen.“

Steve verließ den Tower und legte sich in der Bereitschaftsbaracke der Jagdpiloten auf eines der freien Feldbetten. Keine fünf Minuten später war er fest eingeschlafen.

Als Harriet gegen halb acht zu Dr. Levinson ging, um sich untersuchen zu lassen, sah sie kurz in die Bereitschaftsbaracke. Steve schlief so fest, dass er nicht einmal ihren Kuss bemerkte. Harriet ließ ihn schlafen und verließ leise die Baracke, um auch die beiden anderen Piloten, die dort schliefen, nicht zu wecken. Als sie eine Stunde später vom Arzt zurückkam, hatte sie ein Attest, das ihr die Wieder­aufnahme ihrer Arbeit ermöglichte. Steve schlief noch immer. Harriet hatte ihn zwar zum Frühstück wecken wollen, andererseits erschien es ihr nicht fair, ihn aus dem wohlverdienten Schlaf zu reißen. So schlich sie wieder hinaus und ging allein in die Kantine. Sie blieb nicht lange allein, weil Jerry Cox sich zu ihr gesellte.

„Guten Morgen, Flight Officer Donovan. Sie wieder hier?“, fragte er mit einem spitzbübischen Lächeln.

„Guten Morgen, Major Cox. Meinen Glückwunsch zur Beförderung.“

„Darf ich …?“, erkundigte sich Jerry und wies auf den freien Stuhl. Harriet nickte, Jerry setzte sich mit seinem Frühstückstablett, auf dem er einen großen Teller Cornflakes mit Milch, schwarzen Kaffee und eine Portion Eier und Speck stehen hatte.

„Wo ist Steve?“

„Der ist heute Nacht unterwegs gewesen und schläft im Moment. Ich mochte ihn einfach nicht wecken.“

„Und wie geht es Ihnen? Sind Sie wieder okay?“

„Ja, ich bin wieder dienstfähig. Ab heute bin ich wieder im Tower als Fluglotsin“, erwiderte Harriet knapp.

„Arbeiten Sie wieder für uns?“

„Natürlich. Ich habe einfach keine Ruhe, wenn ich die Eagles jemand anderem überlassen muss.“

„Ich hoffe, das gilt auch für die White Eagles, die 632nd Squadron, die seit gestern mein Haufen sind.“

„Sie gehören doch zu General Worsley, oder?“

„Ja.“

„Dann dürfen Sie weiterhin nach meinen Landeanweisungen einsegeln, Major.“

„Gott sei Dank! Steve hat schon Recht: Es gibt keine Fluglotsin wie Sie noch mal.“

„Danke. Wissen Sie eigentlich, dass Sie nach Steve der zweite und außer ihm der Einzige sind, der das sagt?“

„Wie bitte?“, stotterte Jerry. „Gott, eure Männer wissen wirklich nicht, was sie an euch Girls haben! Ich beneide meinen Freund Steve, der das große Glück hat, seine Frau bei sich haben zu können. Meine ist in den Staaten und wäre nicht für alle Perlen Indiens und alles Gold Kaliforniens bereit, ins WAC einzutreten.“

„Würden Sie das denn wollen? Die meisten Männer sehen es als persönliche Schande an, wenn ihre Frauen arbeiten.“

„Wissen Sie, ich bin nicht reich. Nicht so wie Steve, der ein großes Vermögen geerbt hat. Mein Vater war ein armer Schlucker, ein Bergarbeiter in Pennsylvania. Er hatte zwar genügend Kohle zum verheizen, weil er von seiner Firma zum Teil in Naturalien, sprich der von ihm geförderten Kohle, bezahlt wurde, aber diese Kohle“, Jerry rieb Zeigefinger und Daumen aneinander, als ob er Geld zählte, „die hatte er nur selten. Meine Mutter hat aus den unmöglichsten Dingen für sechs Kinder gekocht. Manchmal habe ich mich gewundert, dass sie nicht noch die wirklich nicht mehr zu gebrauchenden Schuhe ausgekocht hat. Nur mein jüngerer Bruder und ich konnten überhaupt eine anständige Schule besuchen. Für unsere vier Schwestern hat’s nur zur Elementarschule gereicht. Mein Vater hatte einfach nicht das Geld für die Schulgebühren und die Bücher. Ich wollte gern Flugzeugbau studieren, aber weil mein Vater das Studium nicht bezahlen konnte und ich auch keinen Job fand, um mir das Studium selber zu finanzieren, bin ich zum Army Air Corps gegangen. Da wurde ich für mein Studium sogar noch bezahlt, hatte eine Unterkunft und bekam vernünftig zu essen. Ich habe nie vergessen, dass ich aus einem so armen Haus kam, dass wir nur selten mal ein Stück Fleisch auf dem Teller hatten. Und das nur, weil mein Vater der Ansicht war, meine Mutter hätte es nicht nötig, zu arbeiten. Sie sollte sich lieber um uns Bälger kümmern, statt andere Leute zu bedienen. Unser Drugstore-Händler hatte ihr nämlich einen Halbtags-Job angeboten. Hätte prima gepasst: Wir Kinder waren ja vormittags in der Schule, da hätte sie Zeit gehabt, sich was dazu zu verdienen. Aber nein, Dad wollte das nicht. Den Fehler wollte ich nicht wiederholen. Als ich geheiratet habe, habe ich meiner Frau gesagt, dass sie weiter arbeiten kann, wenn sie möchte. Sie ist Lehrerin an der High School bei uns.

Apropos Lehrer: Wäre ich nicht Steve über den Weg gelaufen, hätte ich wahrscheinlich nie ein Flugzeugcockpit von innen gesehen. Steve war schon als Kadett ein prima Lehrer. Aber während andere für solche Hilfe Geld haben wollten, machte Steve das für umsonst. Ich bin ein Genie, was den Flugzeugbau betrifft – aber ich war ein hundsmiserabler Pilot. Die ganze Staffel hat Steve ausgelacht, als der mich als Flügelmann haben wollte. Als wir in der Luft waren, sagte er mir, er würde mir jetzt fliegen beibringen. Der ist mit mir in der Luft ‘rumkutschiert, bis wir keinen Sprit mehr hatten; aber als wir landeten, konnte ich mit dem Flugzeug umgehen. Und das, obwohl wir in getrennten Maschinen saßen. Steve ist ein toller Lehrer. Bei dem gibt es keine Versager. Der bringt alle durch.“

Harriet lächelte.

„Ich weiß. Mir hat er auch schon Flugunterricht gegeben.“

„Im Trainer? Wo?“

„Wir waren in den Staaten auf Urlaub. Steve hat die Mustang ausprobiert, als wir in Groom Lake waren. Und dann hat er um den Waco-Trainer gebeten und ist einfach mit mir mal losgeflogen. Ehe ich mich versah, hatte er die Steuerung auf mich umgeschaltet und hat mir Flugunterricht gegeben. Ja, es macht Spaß mit ihm“, erwiderte Harriet.

„Als wir die Mustang hier hatten, haben wir beide eine Flugvorführung einstudiert … Oh, da kommt er ja!“

Jerry winkte seinem Freund, der mit seinem Frühstückstablett zu ihnen kam.

„Guten Morgen miteinander. Wollte mich nicht jemand zum Frühstück wecken?“, fragte er sanft. Harriet schmunzelte schelmisch.

„Du hast nur gefragt, ob wir uns zum Frühstück sehen. Von Wecken war nicht die Rede, Sir.“

„Schön. Danke, dass du mich hast schlafen lassen. So bin ich jetzt wenigstens wirklich wach.“

Lachend und scherzend frühstückten die jungen Leute.

„Und? Was sagt Dr. Levinson?“, fragte Steve schließlich.

„Ich bin wieder dienstfähig“, erwiderte Harriet knapp. „Er sieht kein Problem, wenn ich bis vier Wochen vor dem berechneten Geburtstermin arbeite.“

„Wenn du das durchhältst, bist du reif für euer Distinguished Service Cross, mein Schatz.“

Harriet wollte gerade eingeschnappt reagieren, als Steve ihr die Hand auf den Arm legte.

„Nein, es ist mir lieber, du tust das, was du als Pflicht empfindest, die dir aber Spaß macht, als wenn du stocksauer zu Hause sitzt“, setzte er hinzu.

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Kapitel 8

Kontaktaufnahme I

Landung

Sam Bennett landete eher unsanft in der Nähe eines Gebüschs. Der rechte Knöchel knackste vernehmlich und hinterließ zunächst einen höllischen Schmerz, den der Colonel nur schwer unter Kontrolle bekommen konnte. So schnell er konnte, kroch er auf allen vieren in das Gebüsch. Er sog heftig die Luft ein, als er dort ein halbwegs sicheres Plätzchen vorfand und empfand im nächsten Moment abgrundtiefe Scham darüber, dass er sich wegen eines verstauchten Knöchels so wehleidig gebärdete, wenn sein Lieblings“neffe“ Steve mit diversen Kugeln verteilt über den ganzen Körper seinen Flieger noch halbwegs gerade zu Wasser gebracht hatte.

„Sein“ Steve, was für ein Prachtjunge! Sam packte immer wieder unbändiger Stolz auf den Jungen, aber im Moment waren Gedanken an diesen jungen Mann, auf den jeder Vater nur hätte stolz sein können, eher hinderlich. Er ermahnte sich, seine fünf Sinne beisammen zu halten. Vorsichtig lugte er aus dem windzerzausten Gebüsch. Der Mond beschien die niedrigen Büsche und die Felder geradezu gespenstisch – aber nichts war so gespenstisch wie die Betonbunker, die gleich hinter der Strandgrenze in die Küste eingegraben waren. Der hellgraue Baustoff ließ die Kuppeln gegen das undurchdringliche Dunkel auf dem Meer wie geisterhafte Pilzhüte wirken. Die Gespenster, die sie besetzten, waren jedoch aus Fleisch und Blut, trugen deutsche Wehrmachtsuniformen und waren allzu wachsam. Der Postenweg – hell von der Umgebung abgesetzt, weil die dunkle Grasnarbe dort komplett niedergetreten war – war leer, aber der durchdringende Heulton der Sirene bewies, dass das Flugzeug bemerkt worden war. Es dauerte auch nur Sekunden, bis aus den drei Bunkern, die Bennett sehen konnte, Suchtrupps ausschwärmten.

Eilig zog er den auffälligen hellen Fallschirm ebenfalls in das Gebüsch, hob mit bloßen Händen eine flache Grube aus, die gerade tief genug war, um den Fallschirm nebst Geschirr vergraben zu können. Er legte die Sprungausrüstung in die Grube, schob sie wieder zu und trat das Erdreich so fest, wie es irgendwie möglich war. Spätere Generationen würden sich wundern mögen, was man alles aus dem Boden der Bretagne buddeln konnte, aber im Augenblick war es das beste Versteck für verräterische Ausrüstung.

Der amerikanische Colonel sah nach einer Möglichkeit, um an den etwas außerhalb von Saint-Joseph-sur-Mer gelegenen Hof heranzukommen, auf dem sein Kontaktmann Alfonse Delacroix sein Versteck hatte. Seine Beobachtung ergab, dass das Gebüsch, in dem er sich den Blicken der Posten entzogen hatte, einen guten Sichtschutz bot – allerdings nicht lange genug, um den mit Lampen und Maschinenpistolen bewaffneten Suchmannschaften zu entgehen. Zwischen dem Hof und der letzten Ecke des Sichtschutzes lagen mindestens fünfzig Yard freies Feld. Bei dem Licht würde er ein Ziel wie auf der Hasenjagd abgeben … Im Gebüsch bleiben konnte er definitiv auch nicht. Dort würden die Deutschen garantiert zuerst suchen.

Während er noch nach einem Ausweg suchte, bewegte sich unter ihm der Fels, auf den er sich gesetzt hatte. Erschrocken machte er einen Satz zur Seite und warf sich flach auf den Boden, um nicht sofort gesehen zu werden. An der Stelle, an der er vor zweieinhalb Sekunden noch gewesen war, erschien ein Kopf, der die Lage peilte. Sam rutschte an das Loch heran und schnappte sich den Kopf des Neugierigen.

„Haben Sie Cidre Marke Anjou aus der Normandie, Monsieur?“, fragte er flüsternd, als er den Hals des Mannes in den Schwitzkasten nahm.

„Nein, ich kann Ihnen aber Calvados Marke Anjou anbieten“, erwiderte der Mann aus dem Loch, ebenfalls flüsternd. Sam ließ ihn los.

„Merci“, grinste er. Der Mann im Loch winkte.

„Schnell, bevor die Boches*[1] uns sehen!“, wisperte er. Sam rutschte in das Loch, das der Franzose wieder schloss. Im schwachen Licht einer Grubenlampe konnte Bennett erkennen, dass die Falltür mit dem Felsen getarnt war, auf dem er gesessen hatte.

„Folgen Sie mir!“, forderte der Franzose den Colonel auf. Auf allen vieren krochen sie durch einen mit eher brüchigen Balken gestützten Tunnel, der zu dem einsamen Hof außerhalb des Fischerdorfes führte.

Plötzlich bebte die Erde, als ob eine Bisonherde über den Tunnel trampelte.

„Ah, die Herren von der Wehrmacht sind schon da“, hörte Sam den voraus kriechenden Franzosen flüstern. Er blieb wie angewurzelt stehen. Sam lief beinahe auf ihn auf.

„Warten Sie! Sie werden jetzt das Haus vom Dach bis zum Keller durchsuchen. Wir müssen warten“, bremste der Franzose.

Tatsächlich stießen im selben Moment ungefähr acht oder neun deutsche Soldaten die Türen des Hofes auf.

„Hausdurchsuchung!“, bellte der führende Offizier. „Alles raus aus den Betten und in der Stube an die Wand stellen!“

Seine Männer trieben die Bewohner des Hauses zusammen. Zitternd vor Angst und Nachtkälte standen fünf Menschen im Wohnzimmer ihres Hauses, drei Mädchen zwischen zwölf und siebzehn Jahren, eine Frau von etwa vierzig Jahren und ein junger Bursche, der vielleicht fünfzehn Jahre alt war.

„Ihre Papiere!“, forderte der deutsche Leutnant. Die Frau nahm die Hände vorsichtig herunter und nahm aus einer Schublade des Geschirrschranks ein Bündel Ausweispapiere, die sie dem Offizier gab. Er sah die Ausweise mit undurchdringlicher Miene durch, verglich die Fotos mit den Menschen, die vor ihm standen.

„Marie Delacroix, Minette Delacroix, Mireille Delacroix, Annabelle Delacroix, Julien Lombarde. Gut, gut. Du bist hier als Landarbeiter, Julien?“

Schüchtern nickte der Junge und reichte dem Offizier noch eine schriftliche Genehmigung des Bezirkskommandanten, nach der er der Familie Delacroix als Hilfe bei der Landarbeit zugeteilt war.

Oui, mongeneral …“

Der deutsche Leutnant bewies, dass er auch lächeln konnte.

„Nein, nur lieutenant“, erwiderte er. „Sind dies alle Bewohner, Madame?“

Oui

„Bestimmt? Kein Herr des Hauses?“

Non, mon lieutenant. Meine Mann ist äh … wie sagt man …? … prisonnier du guerre … Er ist … äh … in Mecklenbourg, Monsieur.“

„Kriechsgefangener in Mecklenburch, Herr Leutnant!“, übersetzte ein neben dem Leutnant stehender Obergefreiter.

„Danke, Maschke, wär‘ ich nich‘ drauf gekomm’n“, versetzte der Leutnant spöttisch. „Durchsuchen Sie den Schuppen nochmal. Irgendwo muss der verdammte Spion doch abgeblieben sein!“

„Nur‘n Schuppen, Herr Leutnant? Oder det janze Anwesen?“

„Allet, Maschke, allet!“

„Jawoll, Herr Leutnant!“, bestätigte Obergefreiter Maschke und winkte einer Hälfte seiner Männer, die polternd erneut durch das Haus stürmten und jeden Winkel nach Verstecken durchsuchten.

Im Keller stießen sie auf einen Schrank voller Wintersachen, die zehn Meilen gegen den Wind nach Mottenpulver stanken.

„Schieb ma‘ beiseite, Jens!“, forderte der forschende Soldat seinen kräftigeren Kameraden auf.

„Unnötig, Hein. Guck mal“, erwiderte Jens und wies auf zwei recht große Winkelbleche, mit denen der Schrank an beiden Seiten an der Wand befestigt war. Die Blicke der beiden Soldaten gingen nach unten, wo sie den Grund für diese Befestigung an der Wand fanden: die vorderen Füße des Schranks fehlten …

Ansonsten war der Raum leer.

„Nee, hier is‘ nix. Komm!“, entschied Hein. Die beiden Deutschen verließen den Keller.

Hinter dem Schrank atmeten zwei mit Sand bedeckte Männer auf: Samuel Bennett und sein französischer Führer. Bennett verzog angewidert die Nase. Der Raum stank derartig nach Mottenpulver, dass ihm fast die Luft wegblieb. Der Franzose lauschte angestrengt an der Rückwand des Schranks. Die Rückseite deckte ein sorgfältig ausgestemmtes Loch in der Wand ab, war so weit in das Loch geschoben, dass die Rückwand in einer ebenfalls sorgsam ausgearbeiteten und gewachsten Holzschiene zur Seite geschoben werden konnte. Die Rückwand war mit eng sitzenden Haken an beiden Seiten so in der Kellerrückwand eingehakt, dass sie den Schrank vollständig abschloss.

„Sie verlassen den Keller“, sagte er. „Sie werden melden, dass sie nichts gefunden haben und sich verziehen. Warten wir noch einen Moment.“

Er drehte sich zu Sam um.

„Ich bin Alfonse Delacroix. Mit wem habe ich das Vergnügen, Monsieur?“

„Nennen Sie mich Shepherd“, erwiderte Sam. Solange er nicht genau wusste, ob er Delacroix wirklich trauen konnte, wollte er lieber nicht seinen wirklichen Namen nennen. „Wie konnten Sie mich eigentlich da abholen, wenn ich Ihnen keine Nachricht gegeben habe?“

„Ein Kontakt war überfällig, Monsieur. Ich habe gute Ohren und lausche schon seit ein paar Nächten, ob ein einzelnes Kleinflugzeug kommt. Ich habe Ihre Maschine gehört und bin zu dem Ende des Tunnels, um zu sehen, ob heute jemand auftaucht. Wie ich sehe, ist jemand aufgetaucht.“

Delacroix lauschte noch einmal.

„Ja, sie steigen in ihre Fahrzeuge. Die Luft dürfte rein sein.“

Ganz leise hob er die Haken aus der Wandhalterung und schob die Rückwand weit genug beiseite dass er den Schrank betreten konnte. Ebenso vorsichtig öffnete er den Schrank einen Spalt. Im selben Moment wurde die Kellertür geöffnet und Marie, die jüngste Tochter des Hauses, kam herein.

„Sie sind weg, Onkel Alfonse“, meldete sie.

„Danke, ma chère. Marie, das ist unser Gast, Monsieur Shepherd. Holst du noch einen Cidre?“

„Ja, Onkel“, erwiderte das Mädchen und verschwand durch eine Tür in einem angrenzenden Kellerraum, die hinter einer als Mauer getarnten Bretterwand versteckt war.

„Kommen Sie!“, winkte Delcroix Sam und lotste ihn ebenfalls durch die Bretterwandtür in einen weiteren Kellerraum, in dem ein Radio, eine Funkanlage, ein Tisch und ein kleiner Schubladenschrank standen.

„Unsere konspirative Ecke des Hauses. Die Boches haben dies Haus zigmal durchsucht, aber das haben sie noch immer nicht gefunden. Willkommen in Frankreich, Monsieur Shepherd. Was kann die Résistance für Sie tun?“

„Mir zunächst einmal erklären, wieso sieben meiner Agenten einfach weg sind“, versetzte Sam.

„Sie sind selbst mit dem Fallschirm abgesprungen, Monsieur. Ehrlich gesagt, haben Sie mehr Glück als Verstand gehabt, so nah an dem Gebüsch gelandet zu sein, das mein Bruder und ich schon 1939 angelegt haben. So lange besteht auch schon der Tunnel. Die Boches, die jetzt hier sind, sind aufgeweckte Kerlchen. Hauptmann Krämer, der hier der Chef ist, ist kein Dummkopf und Leutnant Hartmann, der die Suchtrupps führt, auch nicht. Ich sage ja ungern etwas Gutes über die Boches, aber was wahr ist, muss wahr bleiben. Das sind Leute mit Gehirn und Kultur, diese beiden. Sie lieben unseren Wein – und sie bezahlen ihn auf Franc und Centime. Die Banditen davor haben ihn beschlagnahmt … Wann immer ein einzelnes Kleinflugzeug kommt, gehen hier die Sirenen los. Ihre Leute sind von den Deutschen gefangen genommen worden, bevor wir sie wegschleusen konnten. Und wer hier als Spion in Gefangenschaft gerät, der hat nicht mehr lange zu leben. Spione werden auf der Stelle erschossen, Monsieur. Und wer in den Verdacht gerät, bei der Résistance zu sein oder auch nur Kontakte mit ihr zu haben, spielt ebenfalls mit dem Leben. Die Funkanlage kann ich nur als Empfänger benutzen, nicht als Sender, sonst springen die Boches um mich herum wie der Reigen der kleinen Schwäne in Schwanensee und ich spiele demnächst da oben auf einer goldenen Harfe – mit meiner Schwägerin Annabelle und ihren Töchtern im Quintett, vermute ich. Danke, ich würde irgendwann gern wieder am Konservatorium in Paris unterrichten und nicht bei Monsieur Tschaikowski auf Wolke sieben ergänzende Studien treiben.“

Sam nickte.

„Wie … kommen Sie eigentlich wieder zurück?“

„Ich habe mein Taxi bestellt. Haben Sie bitte Verständnis, dass ich Ihnen erst sehr kurzfristig sagen kann, wann und wo ich ein Landezeichen benötige.“

Delacroix sah ihn eine Weile an.

MonsieurShepherd …“, begann der Franzose, bedächtig den Namen betonend, „die französische Résistance ist zwar eine locker strukturierte Widerstandsorganisation, aber die Mitglieder dieser Organisation setzen in den besetzten Gebieten jede Minute, die vergeht, ihr Leben aufs Spiel, um Ihnen Informationen zu beschaffen oder um Ihnen mit Sabotage zu helfen. Wir sind Ihre Verbündeten. Und Verbündete vertrauen einander. Vertrauen bedingt Vertrauen. Ich kann verstehen, dass Sie wegen Ihrer verschwundenen Agenten besorgt sind – nur lautet der Name meines Kontaktmannes nicht Shepherd …“

Sam sah in die Mündung einer deutschen Luger-Pistole.

Delacroix lächelte kühl, als er förmlich die Gedanken seines Gegenübers las.

Die Munition kriege ich hier am besten …“

[1] Boche: französische Schimpfbezeichnung während des II. Weltkrieges für Deutsche allgemein und die deutschen Soldaten im Besonderen.

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Kapitel 9

Kontaktaufnahme II

Nachforschung


Delacroix  grinste freudlos.

„Parolen kann man irgendwie erfahren. Sie werden mir jetzt eine kleine Geschichte erzählen – von Ihrem Großvater und seinem besten Freund …“, forderte er den für ihn fremden Fallschirmspringer auf.

Bennett lächelte schief. Es war klar, dass Leute, die in einem vom Feind besetzten Land eben diesem Feind Widerstand leisten wollten, extrem vorsichtig sein mussten. Die Deutschen waren nicht dafür bekannt, mit Partisanen sanftmütig umzugehen. Amerikanische Lockerheit, was Parolen und so weiter betraf, war hier wirklich unangebracht.

„Mein Großvater und sein bester Freund waren zusammen auf West Point. Mein alter Herr war Lieutenant bei der Union, sein Kumpel stammte aus Virginia und wechselte die Pferde, als er sich für die Südstaaten entschied. Mein alter Herr hat eine Fünf-Dollar-Note zerrissen, seinem Kumpel eine Hälfte davon gegeben und die andere selber eingesteckt. Dann hat er ihm geschworen, dass sie den Schein am Ende des Krieges wieder flicken würden und sich immer noch in die Augen sehen könnten. Als der Norden den Krieg dann gewonnen hatte, kam mein alter Herr als Besatzungssoldat nach Virginia und schützte den Hof seines Kumpels vor plündernden Soldaten. Sie haben ihren Fünf-Dollar-Schein unter Tränen geflickt – und Großvaters Kumpel wurde Taufpate meines Vaters. Friede – Freude – Eierpampe.“

Delacroix grinste breit.

„Und dann stellten sie fest, dass die Fünf-Dollar-Note eine Blüte war!“, ergänzte er die Geschichte. „Gut, Monsieur Bennett, jetzt weiß ich, wen ich vor mir habe. Ich bitte um Nachsicht für meine Hartnäckigkeit. Mon Colonel, die französische Küste ist fast vollständig mit Betonbunkern befestigt. Es wird sehr, sehr schwierig, wenn Sie und Ihre britischen Kollegen hier in der Normandie landen wollen. Hier, sehen Sie:“

Delacroix holte aus dem Schrank einen aus Zucker- und Mehltüten zusammengeklebten Bogen, der etwa der amerikanischen Papiergröße Tabloid oder der deutschen Norm A3 entsprach. Darauf hatte Delacroix die Küstenlinie von Cherbourg auf der Halbinsel Cotentin bis etwa zur Hälfte der Calvados-Küste bei Arromanches gezeichnet und die Stellungen der von den Deutschen Atlantikwall genannten Befestigungslinie eingetragen. Es reihte sich Bunker an Bunker …

„Sie sind Dutzende von Metern tief in die Dünen gebaut. Völlig unmöglich, sie mit Luftangriffen oder Schiffsartillerie zum Schweigen zu bringen“, kommentierte er die Stärke der deutschen Stellungen. Sam nickte. Schon seit langem beobachteten seine Untergebenen diese Küste. Die Pläne, die in seinen Depots in Großbritannien lagerten, waren genauer als die Handzeichnungen des französischen Widerständlers. Doch ihm war auch klar, dass sich stets etwas verändern konnte, was die Leute vor Ort schneller und besser wussten als seine Aufklärer.

„Diese und diese und diese hier sind ganz neu. Sie sind erst vor einer Woche fertig geworden“, ergänzte Delacroix und wies auf Stellungen im Bereich von Arromanches. „Hier liegt schwere Artillerie in den Bunkern.“

„Besteht die Möglichkeit, dass ich mir das persönlich ansehen kann?“, fragte Bennett. Alfonse sah ihn fragend an.

„Wie bitte?“

„Ich würde mir das gern selbst ansehen, Monsieur“, wiederholte der Amerikaner.

Pardon, das sollten Sie sich gut überlegen, Monsieur Bennett. Ihre Agenten sind in der Regel junge Männer, die nicht mal dreißig sind. Denen traue ich zu, dass sie sich nötigenfalls ins Wasser retten, wenn die Boches ihnen auf die Schliche kommen. Bei Ihnen hätte ich – mit Verlaub – ernsthafte Bedenken … Das kostet uns beide den Kopf.“

„Ich mache mich allein auf den Weg“, bot Sam an.

„Aber doch hoffentlich nicht mit der Mütze?!“, entfuhr es Alfonse, der auf Bennetts Baskenmütze wies.

„Wieso? Typischer französisch geht’s doch wirklich nicht“, wunderte sich Sam. Delacroix lächelte schief.

„Das ist sie, kein Zweifel. In den Départements Alsace und Lorraine gilt sie als Zeichen des Widerstandes gegen die Deutschen. Und deshalb ist es auch so gefährlich, sie zu tragen. Die Boches erkennen daran den Widerständler. Sie ist in Frankreich durch die Besatzung verboten, Monsieur.“

„Na schön. Haben Sie was Passenderes?“, fragte Sam.

„Empfehle eine Wollmütze, wie sie hier von den Fischern getragen wird. Das ist am unauffälligsten“, grinste Alfonse. „Und diese nützlichen Utensilien – Ausweiskarten, die halbwegs leicht zu fälschen sind.“

Sam betrachtete die Karte, die Delacroix ihm zeigte. Es war ein dünner, grauer Karton mit schwarz gedruckten, kursiven Buchstaben, die einzutragenden Daten waren mit der Schreibmaschine geschrieben. Zwei Stempel mit dem Hakenkreuzadler und der Umschrift „Feldpostnummer 39 740 SCH Dienststelle Caen“ zierten die linke untere Ecke der Karte sowie das oben rechts eingeklebte Passfoto. Dort war der Stempel über die linke untere Ecke des Fotos und die umgebende Karte gedrückt.

„Wie kommt man an so einen offiziellen Stempel?“, fragte Sam. Delacroix grinste.

„Man muss nur die Struktur durchschauen und jemanden im Standesamt sitzen haben“, erwiderte er.

„Wieso?“

„Nun, der Adler ist auf allen Stempeln des Deutschen Reiches gleich – ob Heeresdienststelle oder Standesamt. Dann entwende man einen oder mehrere Stempel und entferne die Umschrift. Die deutsche Frakturschrift ist zwar schwieriger als unsere lateinische Schrift, aber mit etwas Geschick kann ein künstlerisch begabter Mensch ganze Reihen von Gießformen für die neue Umschrift her­stellen. Die deutschen Feldpostnummern erlauben keine unmittelbare numerische Verbindung mit der jeweiligen Einheit. Sie werden fünfstellig nach dem Zufallsprinzip vergeben. Die Buchstaben SCH hinter der Nummer bedeutet zum Beispiel Küstenschutz. Kein deutscher Soldat, der auf Streife ist, kann alle theoretisch möglichen Feldpostnummern im Kopf haben. Ob die Nummer echt ist oder Fantasie, wird auf den ersten Blick nicht erkennbar sein. Das und ein passabel hergestellter Personalausweis sollten genügen, damit Sie sich umschauen können. Und versuchen Sie, möglichst wenig zu reden. Ihr englischer Akzent ist unüberhörbar. Moment.“

Delacroix stand auf und öffnete die Tür des Geheimraumes.

„Minette!“, rief er.

„Ja, Onkel Alfonse?“, kam die Antwort von oben aus dem Haus.

„Ich habe einen Kunden für dich, Mademoiselle!“

Es dauerte keine volle Minute, bis das junge Mädchen im Keller war.

„Unsere Meisterfälscherin: Minette Delacroix, meine Nichte“, stellte Alfonse sie vor. „Vierzehn Jahre alt – und die gleiche künstlerische Begabung wie ihr Papa, mein Bruder.“

Mit den von Minette gefälschten Papieren machten sich Alfonse Delacroix, Julien Lombarde und Sam Bennett früh am nächsten Morgen auf Umwegen nach Saint-Joseph-sur-Mer auf, um von dort Baguettes abzuholen und sie zur Bunkerbaustelle keinen ganzen Kilometer weiter westlich an der Küste zu liefern.

„He, du! Neu, was?“, sprach ein Posten Sam an, als der nur seine Ausweiskarte vorzeigte, nicht aber auch den Personalausweis. Diensteifrig buckelte der amerikanische Colonel vor dem Posten, der die beiden Winkel eines Obergefreiten auf den Ärmeln trug. Es war ein junger Bursche, der sicher noch keine zwanzig Jahre alt war. Er suchte den Personalausweis – ein Ding, das Amerikaner wie Briten geradezu verabscheuten – und zeigte auch dieses Papier dem jungen Deutschen.

„Schon gut, Alterchen. Merk‘ es dir nur für das nächste Mal. Ich kann nicht immer so gutmütig sein“, lächelte der und winkte sie alle drei durch.

„Na, Hufnagel? Was war los?“, fragte ein Feldwebel, der die Kontrolle gesehen hatte.

„Der Alte da ist neu. Fand seinen Personalausweis nicht gleich“, erklärte der junge Mann. Der Feldwebel, schon älter, sah seine jungen Kameraden mit einem Seufzen an.

„Ich geb‘ dir einen guten Rat, Heinz: Sieh dir diese Ausweise ganz genau an, besonders bei den Neuen. Die Résistance schmuggelt hier immer wieder Saboteure und Spione ein. Sei vorsichtig, sonst kriegt der Krämer dich bei den Hammelbeinen!“

Der Jüngere sah den Feldwebel erschrocken an. Hannes Himmelbeer war sechzig Jahre alt, war ein sanftmütiger Mensch, der es verstand, die jungen Kameraden von ihrer Abenteuerlust ganz fix zu heilen und sie zu verantwortungsbewussten Soldaten zu erziehen. Dafür benötigte er weder lautes Gebrüll noch die Drohung von Strafexerzieren und Extra-Liegestützen. Er brachte einfach die Erfahrung aus den Grabenkämpfen des Ersten Weltkrieges mit. Er nahm sie beiseite und erzählte ihnen, was geschehen konnte, wenn gerade sie nicht ihre Pflicht taten. Das wirkte besser als das barsche Gebrüll forscher junger Unteroffiziere.

Was Sam auf dem Weg zur Kantine der Baustelle zu sehen bekam, ließ ihm fast die Augen übergehen. Die Deutschen machten wirklich keine halben Sachen! Der Beton wurde tatsächlich derart dick aufgetragen, dass selbst die Blockbuster genannten Luftminen daran keine entscheidenden Schäden verursachen würden. Der weiche Sandboden, in den die Bunker gebaut wurden, würde zudem eine Bombenexplosion in der Nähe ausreichend dämpfen, um Schäden durch Beinahetreffer komplett auszuschließen. Es würde in der Tat sehr schwer sein, von vorn an diesen Stellungen vorbeizukommen. Ohne eine erfolgreiche Luftlandeoperation im Rücken dieser Verteidigungslinie wäre ein Invasionsversuch nur ein schreckliches Massaker unter den alliierten Landungstruppen.

„Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir diese Befestigungen gewünscht, als die Engländer den Hundertjährigen Krieg angefangen haben!“, seufzte Alfonse.

„Schätze, es gibt genügend Engländer, die sich wünschen, um 1200 hätte es so was wie die Maginot-Linie westlich von Paris gegeben“, grinste Sam und gab sich alle Mühe, seinen Akzent zu verbergen.

Sie brachten ihre Brotlieferung in die Kantine und machten kehrt. Der junge Obergefreite stoppte sie abermals und untersuchte Sams Ausweise intensiv, verglich sie sogar mit anderen Ausweisen französischer Arbeiter. Heinz Hufnagel ahnte nicht, dass sämtliche Ausweise, die er zum Vergleich heranzog, ebenfalls aus den Händen der fleißigen Meisterin der Fälscherkunst, Minette Delacroix, stammten …

„Alles in Ordnung“, sagte er schließlich. „Seid vorsichtig. Eure Freunde von der Résistance machen mit Leuten, die uns beim Aufbau hier helfen, meist kurzen Prozess“, gab er ihnen eine Warnung mit auf den Weg.

An den beiden folgenden Tagen konnte Sam auf diese Weise auch andere Baustellen an der nördlichen und nordöstlichen Küste der Halbinsel Cotentin in Augenschein nehmen. Sie bewiesen, dass Alfonse Delacroix sauber arbeitete und korrekte Informationen gesammelt hatte. Sam bat am Abend des 19. November darum, um sieben Uhr dreißig morgens des folgenden Morgens die Landebefeuerung für eine halbe Stunde so weit außerhalb des Ortes zu entzünden, dass die Deutschen es nicht sofort bemerkten.

Julien und Minette spielten verliebte Ausreißer, die sich in ihrer Verliebtheit vergessen hatten und die Verdunklung missachteten, um sich an einem kleinen Lagerfeuer wieder aufwärmen wollten.

Flint Anderson, der sich im Anflug befand, war hatte nullsiebenfünfundvierzig am 19. November als Abholzeitpunkt genannt bekommen und war pünktlich zur Stelle. Er verstand es, seine Lysander unterhalb der deutschen Radarerfassung immer wieder im Segelflug zu fliegen und so den deutschen Horchposten zu entgehen. Sonnenaufgang war erst fünf Minuten vor halb neun, so dass zum Startzeitpunkt die Dämmerung noch nicht weit fortgeschritten war.

Keine zwei Minuten, nachdem er gelandet war, war Anderson samt seinem Passagier wieder in der Luft. Die Maschine stieg höher, während Anderson gleichzeitig auf die offene See hinaus steuerte.

Doch noch vor Verlassen des Überwachungsraumes der deutschen Luftwaffe auf Guernsey hatte die Lysander die Mindesthöhe erreicht, um vom Radar geortet zu werden – und das Radar der Luftüberwachung zeigte dem zuständigen Lotsen einen leuchtenden grünen Punkt …

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Kapitel 10

Rettungsdrama

Zwei Tage vergingen, ohne dass man von Sam Bennett etwas hörte. Steve machte sich keine Sorgen, hatte Sam ihm doch gesagt, er werde von einer Lysander von St. Eval abgeholt. Flint Anderson, der hauptsächlich als Spezialpilot die Agenten in Frankreich absetzte und abholte, mochte ein Flegel sein, aber er war ein guter Pilot. Donovan hatte in dieser Hinsicht volles Vertrauen zu dem Funkrüpel.

Steve hatte an diesem Freitag, es war der 19. November 1943, Flugbereitschaft. Das hieß, dass er zwar jederzeit bereit sein musste, in sein Cockpit zu springen, die meiste Zeit aber in der Kantine oder der Bereitschaftsbaracke des Flugplatzes verbringen musste und den Fliegerhorst nicht in Richtung Collins’ Manor verlassen durfte. Von morgens an schon hatte es geregnet, es war kalt und grau draußen und richtig hell war es auch nicht. Harriet saß im Kontrollturm und sah von der grauen, verregneten Umwelt nur die grünen Punkte der Flugzeuge, die sie einwies. Zum Frühstück traf sie sich mit Steve und Daniel um acht Uhr in der Kantine. Während Harriet nach dem Essen wieder in den Tower ging, wollte Steve sich noch eine Mütze voll Schlaf gönnen, weil er schon von Mitternacht an auf den Beinen war. Daniel blieb noch mit Jerry Cox, Colin Toller und Jack Becker bei einer gemütlichen Runde Tee sitzen.

Steve mochte seit einer halbe Stunde schlafen, als eine Ordonnanz in die Bereitschaftsbaracke der amerikanischen Piloten gelaufen kam. Steve erwachte davon, dass ihn der Ordonnanzsoldat hektisch rüttelte.

„Major Donovan! Wachen Sie auf, Sir!“

Verschlafen kam Steve hoch.

„Hm? Was ‘n los?“, murmelte er und rieb sich müde die Augen.

„Der General will Sie sprechen, Sir. Sofort, Sir!“

Noch sehr verschlafen und recht zerknittert meldete Steve sich bei General Worsley.

„Sie wollten mich sprechen, Sir?“

„Sie haben Colonel Bennett doch in Saint-Joseph-sur-Mer abgesetzt, oder?“, fragte Worsley.

„Ja, sicher, Sir. Vor drei Tagen, Sir“, erwiderte Steve mit leicht genervtem Unterton.

Und dafür werde ich aus dem Schlaf gerissen!’, dachte er zornig.

„Captain Anderson sollte ihn aufgabeln. Die Lysander ist auf dem Rückweg von Jägern der Krauts angegriffen worden. Vor einer Stunde hat der Tower von Isle of Wight den Kontakt mit der Lysander verloren.“

„Letzte Position?“, fragte Steve.

„Keine Positionsmeldung. Die Maschine war nur zehn Minuten in der Luft. Anderson hatte noch keinen Kontakt zum Tower aufgenommen. Er wollte nach Wight fliegen, das hatte er bei seinem Abflug in Saint Eval als Zielflugplatz aufgegeben bekommen“, erklärte Worsley. Steve nahm sich beiläufig das Lineal vom Schreibtisch seines Chefs, ging zur Wandkarte in Worsleys Büro und lotete die mögliche Flugroute aus.

„Haben wir ‘ne Catalina hier, Sir?“

„Eine Catalina? Was wollen Sie damit, Major?“

Steve drehte sich um und sah seinen Vorgesetzten geradeheraus an.

„Colonel Bennett und Captain Anderson aus dem Kanal fischen, Sir!“, erwiderte er. „Es ist November, das Kanalwasser ist saukalt und außerdem droht noch schlechteres Wetter. Wenn ich gleich losfliege, besteht die Chance, dass ich sie noch lebend finde, wenn sie den Absturz überlebt haben.“

„Meine Güte, es gibt x Stützpunkte an der Kanalküste, die das erledigen können“, widersprach Worsley.

„Dann, Sir, hätten Sie mich besser nicht wecken lassen“, entgegnete Steve „Ich habe mit der Catalina schon Rettungsflüge gemacht, als alle anderen sie noch als reinen U-Boot-Jäger betrachtet haben, Sir. Außerdem hatten die anderen Stationen vor einer halben Stunde noch dicksten Nebel, wie ich dem aktuellen Wetterbericht entnommen habe, bevor ich mich hingelegt habe. Anderson hätte eigentlich nicht in Wight landen können. Er wäre zu uns umgeleitet worden.“

Auch, wenn Worsley sich nach außen hin sträubte, so recht war es ihm letztlich, dass sein Adjutant seinen Freund Sam Bennett retten wollte. Dass Bennett auch ein persönlicher Freund seines Adjutanten war, realisierte Worsley erst im Nachhinein.

„Wenn Sie eine Mannschaft zusammenkratzen können …“, sagte er nur. Steve hetzte hinaus zur Kantine.

„Alarm! Rettungspiloten gesucht!“, rief er. Schlagartig verstummten die Gespräche in der Kantine.

„Was ist los, Steve!“, fragte Jerry.

„Notruf aus dem Kanal! Eine Lysander mit Sam Bennett an Bord ist von den Krauts vor der französischen Küste abgeschossen worden. Plymouth, Saint Eval und auch Isle of Wight stecken im dicksten Nebel. Keine der Küstenstationen kann ein Flugboot zur Rettung schicken. General Worsley sucht Freiwillige für eine Rettungsmission. Wer kommt mit?“, rief er. Innerhalb von zehn Sekunden standen zwanzig Leute um ihn, darunter auch Daniel, Toller und Jerry.

„Jerry, halte du dich mit deinem Haufen bereit, nötigenfalls Eskortenschutz zu geben. Danny, Toller, ihr kennt euch hier gut aus. Becker, Croft, Marsh, Allison, ihr vier kommt auch mit. Los, beeilen wir uns, Leute!“

Die sieben Männer rannten zu der auf dem Vorfeld stehenden Catalina. Daniel checkte so schnell durch, wie es irgend möglich war, Steve ließ sich die Starterlaubnis geben und bat Harriet, ihm einen Korridor freizuhalten; Croft und Allison tankten noch nach; Toller und Becker berechneten aus den dünnen Informationen den Absturzpunkt der Lysander. Steve hatte ein ungutes Gefühl in der Magengrube.

„Was meinst du? Ist noch was zu retten?“, fragte Daniel. Steve zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Aber wenn ich es nicht wenigstens versuche, erscheint mir mein Vater in Albträumen!“, erwiderte er. „Flugboot Yankee Zulu ist startklar“, meldete er dann an den Tower, als Becker ihm ein Signal gab.

„Flugboot Yankee Zulu, Sie haben Startfreigabe auf Bahn zwei“, hörte Steve die Stimme seiner Frau im Kopfhörer.

Das Flugboot erreichte die Startbahn, Steve bremste noch einmal ab, gab mit angezogener Bremse Schub, löste dann die Bremse und ließ das Flugzeug anrollen. Immer schneller rollte die Catalina über die Startbahn und hob dann ab. Steve drehte noch im Steigflug auf den Kurs Richtung Cherbourg.

„Verdammt nah an der französischen Kanalküste!“, sagte Steve, als Toller ihm die Absturzposition durchgab. Sie war nur zwanzig Meilen von dem Punkt entfernt, an dem Steve in der Nacht Sam Bennett abgesetzt hatte.

„Und wir haben keinen Jagdschutz“, entfuhr es Daniel.

„Muss dir doch bekannt vorkommen“, gab Steve zurück. „Aber ich fliege so tief wie möglich, um unterhalb ihres Radars zu bleiben. Außerdem sehen wir mögliche Wrackteile oder ein Floß dann besser. Von der Küste dürften die Krauts uns auch mit Ferngläsern da nicht mehr sehen können, schätze ich.“

Starker Wind zerrte mit schlecht kalkulierbaren Böen an den Flügeln des Flugbootes und nötigte Steve, wieder höher zu fliegen. Es gelang ihm aber unterhalb der etwa tausend Fuß niedrigen Untergrenze der Radarabtastung zu bleiben.

„Schon – aber da habe ich zehn MGs um mich herum. Cathy ist unbewaffnet – vergiss das nicht“, erwiderte Collins.

„Wir müssen das fragliche Seegebiet bald erreichen“, sagte Steve eine dreiviertel Stunde nach dem Start und schaltete die Bordsprechanlage ein. „Warrant Officer Becker, Flight Sergeant Toller: Gehen Sie bitte in die Aussichtskanzeln im Heck und suchen Sie die Wasseroberfläche auf beiden Seiten des Flugbootes ab!“, wies er die beiden Beobachter an.

„Wir sind schon dabei, Sir“, erwiderte Becker, der mit Toller schon in den Kanzeln Platz genommen hatte. Steve bemerkte Daniels Blick, der nachdenklich auf die markierte Absturzposition gerichtet war.

„Du solltest lieber Jagdschutz anfordern. Die Krauts machen sonst aus uns auch noch Kleinholz“, warnte der Brite. Steve ging darauf nicht ein, weil es in seinem Kopfhörer piepte.

„Was gibt’s?“, meldete er sich.

„Sir, ein Gummifloß mit zwei Insassen Backbord voraus“, meldete Becker. Steve sah aus dem linken Fenster.

„Festhalten, Jungs, es geht abwärts!“, warnte er dann seine Mannschaft. „Croft, Allison: Macht die Tampen klar, damit wir sie gleich ‘reinziehen können!“, kommandierte der Major dann. In einem Bogen brachte er das Flugboot nach unten und wasserte in der Nähe des Gummifloßes. Corporal Croft, gebürtiger Texaner und im Zivilberuf Cowboy, schwang eine Leine wie ein Lasso, warf es zielgenau und erwischte den Oberkörper von Sam Bennett, der halb apathisch danach griff und es festhielt. Croft und Private Allison zogen gemeinsam, um das Floß so schnell wie möglich an das Flugboot und aus dem Wasser zu bekommen. Sergeant Marsh und Warrant Officer Becker hievten die verwundeten Floßinsassen nacheinander heraus und trugen sie zu den Liegen im hinteren Bereich des Flugbootes, wo sie sie notdürftig versorgten. Croft und Allison ließen schon die Luft aus dem Floß, kaum dass es im Inneren der Maschine war.

„Alles klar, wir haben sie an Bord, Sir!“, meldete Toller ins Cockpit. Er schloss eilig die Seitentür, während Steve schon die Maschine in den Wind drehte und vollen Schub gab. Die Catalina hob aus dem Wasser ab, wurde von den heftiger werdenden Böen erfasst und durchgerüttelt. Sie gehorchte nur widerwillig, aber es gelang Steve, die Maschine unter Kontrolle zu behalten. Bei dem gegenwärtig herrschenden Wind war zu erwarten, dass der Nebel über der Insel Wight inzwischen weggeblasen worden war. Donovan startete nach Westen, zog aber in kaum hundert Fuß Höhe schon nach Nordosten, um Wight anzusteuern. Im Interesse seiner beiden Verwundeten stieg er schon nach wenigen Minuten über die Grenze der Radarerfassung hinauf, weil es dort etwas ruhiger war.

„Unbekanntes Flugobjekt, relativ langsam, fliegt steigend nach Nordosten, Herr Hauptmann!“, meldete ein deutscher Radarlotse auf dem Flugplatz von Cherbourg. „Keine Antwort auf Anrufe über übliche Luftwaffenfrequenzen“, ergänzte er.

„Also Tommies oder Amis“, mutmaßte der zuständige Hauptmann der Luftverkehrskontrolle.

„Maschine ist im gleichen Gebiet aufgestiegen, in dem die Kameraden vom JG 53 das Spionageflugzeug abgeschossen haben“, meldete der Obergefreite am Radar. Der Hauptmann traf seine Entscheidung.

„Kranz, geben Sie Alarm für das JG 53 auf Guernsey. Die sollen sich um den verdammten Tommy kümmern!“

„Jawoll, Herr Hauptmann!“, bestätigte Obergefreiter Kranz. Nur Minuten später hob die Alarmrotte vom Flugplatz Saint Peter Port auf der von den Deutschen besetzten Kanalinsel Guernsey ab, um den augenscheinlich Radada** fliegenden Feind abzufangen.

„Achtung: Jäger achtern von elf Uhr!“, meldete Warrant Officer Becker erschrocken, als sie auf halbem Weg nach Wight waren. Steve wusste, dass er mit der gegenüber einem Jäger deutlich langsameren Catalina bei aller Flugkunst eigentlich keine Chance gegen die beiden Messerschmitts hatte, die sich rasch näherten.

„Daniel, wir brauchen Verstärkung! Ruf das Küstenkommando! Ich versuche, sie uns irgendwie vom Hals zu halten“, wies Steve Daniel an, der auch sofort mit dem RAF-Küstenkommando auf der Isle of Wight Kontakt aufnahm und auch auf die Verwundeten an Bord hinwies.

„Ami auf sieben Uhr, Justus!“, rief der Katschmarek** der Alarmrotte von Guernsey. „Komm, Junge: Pauke-Pauke**!“, forderte er dann.

„Gute Idee, Willi!“, gab der Rottenführer zurück. Die beiden Messerschmitts stürzten sich auf das schwerfällige Flugboot wie Geier auf Aas. Aber dass das Flugboot Haken wie ein Jäger schlug, hatten sie nicht erwartet.

„Sir – nicht so heftig!“, warnte Becker von hinten. „Die Verwundeten fallen uns sonst aus den Betten!“

„Besser, sie brechen sich noch Arm und Ohr, als dass sie bald das Fliegen mit Engelsflügelchen lernen müssen!“, entfuhr es Steve. Erneut riss er das Flugboot zur Seite, um den tödlichen Geschossen der Messerschmitts zu entgehen. Das splitternde Geräusch von hinten zeigte, dass er nicht den gewünschten Erfolg gehabt hatte.

„Becker: Schadensmeldung!“, forderte Steve und lenkte schon wieder gegen.

„Sorry, Sir, aber Jack kann nicht antworten. Warrant Officer Becker ist verwundet und ohne Bewusstsein. Einschüsse im unteren Heckbereich. Schwimmfähigkeit dürfte gelitten haben“, meldete sich an seiner Stelle Toller.

„Danke, Toller. Versorgen Sie ihn, so gut es geht.“

„Wird gemacht, Sir“, bestätigte Toller. Der britische Flight Sergeant konnte sich nur knapp festhalten, als die Catalina wieder unvermittelt die Richtung wechselte.

„Jerry und seine Staffel sind unterwegs, Wight hat schon zwei Staffeln Spitfire in Marsch gesetzt. Wir müssten sie eigentlich gleich sehen“, meldete Daniel. Steve schien ihn nicht zu hören und ließ die Maschine pendeln, steigen und fallen, dass sich schon seine Besatzung kaum darauf einstellen konnte. Toller, solche Mätzchen aus vielen Einsätzen mit Daniel gewöhnt, kam damit noch am besten zurecht. Croft und Allison brauchten dringend die Spucktüten, um eine Verschmutzung der Catalina zu vermeiden.

„Sir, wenn Sie so weitermachen, müssen Sie den Vogel nachher saubermachen! Hier hinten kotzt alles“, warnte Toller. Auch Daniel war recht grün um die Nase, fand Steve.

„Du? Kannst du bitte mal ‘n paar Sekunden einfach geradeaus fliegen?“, bat der junge Brite.

„Wenn die dahinten aufhören, mit Blei zu schmeißen, habe ich nichts dagegen, Danny“, erwiderte Steve und riss das Steuer wieder nach rechts.

„Dat jibbet doch nich! Wat is en dat für ‘ne Pillot?“, grollte Rottenführer Justus kölsch breit. Abgesehen von einem wahrscheinlichen Einschuss im unteren Backbordheckbereich hatten die deutschen Piloten weder von unten noch von hinten treffen können. Alle bewährten Rezepte fruchteten nichts bei dem völlig unberechenbar fliegenden Amerikaner.

„Achtung, Justus! Indianer** von elf Uhr!“, warnte Willi ihn. Es waren zwei komplette Staffeln Spitfire – die beiden Deutschen gaben auf und drehten angesichts des hoffnungslos überlegenen Feindes ab.

Die britischen Spitfire bildeten einen Schutzkreis um die Catalina.

„Squadron Leader Pritchard an Catalina mit dem amerikanischen Kennzeichen: Haben Sie nach der Polizei gerufen?“

„Major Steve Donovan, 8th USAAF von Maidenfield. Danke fürs Eingreifen, lieber Bobby. Sie retten mir zum dritten Mal den Hals, Mr. Pritchard. Ihr seid so pünktlich wie bei uns die Kavallerie. Danke, Jungs!“, meldete sich Steve. Jetzt konnte er beruhigt geradeaus fliegen. Neben ihm keuchte Daniel erleichtert. Auch von hinten kam mehrstimmig dankbares Ächzen.

„Keine Ursache, Kamerad. Kostet nur ‘n bisschen Bourbon“, erwiderte Pritchard mit hörbarem Grinsen. „Übrigens: unser Lazarett ist überbelegt. Schaffen Sie’s nach Maidenfield?“

„Wenn mir die Krauts nicht wieder am Schwanz hängen, kein Problem“, grinste Steve. „Flugboot Yankee-Zulu dankt im Namen aller Passagiere, Sir.“

Wenig später war auch die 632nd Squadron USAAF unter Major Jerry Cox zur Stelle, der den Schutz der Catalina übernahm. Die Briten drehten ab und flogen nach Isle of Wight zurück. Als die Catalina in Maidenfield landete, schlug Steve dankbar ein Kreuz.

„Diesmal hatten sie mich fast am Arsch!“, hustete er ungewohnt vulgär.

„Steve, für solche Scherze wie heute suchst du dir am besten Leute, die es lieben durch das Flugzeug zu segeln – ohne Hand am Steuerhorn. Mir liegt das gar nicht“, würgte Daniel kreidebleich. Steve sah sich um und entdeckte die grünen Gesichter seiner Crew. Ihm war selbst auch nicht wohl, aber mehr, weil er sich gegen die Angreifer nicht wirklich hatte wehren können. Allein Toller sah noch so aus, als ob er zum Fünfuhrtee noch ein Cremestückchen vertragen konnte.

„Wie lange hast du gebraucht, um Toller, McFarlane und den Rest deiner Mannschaft ausweichfest zu machen?“, fragte Steve, als das Flugboot in Parkposition stand.

„Reden wir später drüber. Die Verwundeten müssen zunächst ins Lazarett“, erwiderte Collins. Vom Hangar kamen einige Krankenwagen und übernahmen die Verwundeten.

Eine halbe Stunde später spritzte ein sichtlich grüner und naserümpfender Major Donovan höchstselbst die völlig verdreckte Catalina mit dem Wasserschlauch aus. General Worsley hatte ihn dazu verdonnert, weil sich sämtliche Flugplatzwarte weigerten, in dem ‚Kotzbomber’ Putzfrau zu spielen. Daniel ließ sich nicht lumpen und half seinem Freund und Schwager dabei.

„Also, wie hast du deine Jungs luftfest bekommen?“, fragte Steve erneut, während sie die Maschine reinigten.

„Die hatten an den MGs zu tun. Die waren zu beschäftigt, um nach den Kotztüten zu suchen. Lass die Cathy bewaffnen und du hast in solchen Situationen das Problem nicht mehr“, antwortete Daniel grinsend.

„Hoffen wir auf baldige Luftherrschaft über dem Kontinent“, seufzte Steve.

Am frühen Abend fand Steve Zeit, sich im Lazarett nach den Verwundeten zu erkundigen.

„Colonel Bennett hat schon nach Ihnen gefragt, Sir. Er liegt im Zimmer 25, hier rechts durch die Tür“, antwortete die Schwester. „Captain Anderson ist noch ohne Bewusstsein und Warrant Officer Becker ist im Saal 5, dort hinten links, Sir.“

„Danke. Was ist mit den beiden?“

„Captain Anderson hat eine Splitterwunde im rechten Oberschenkel. Er hat viel Blut verloren. Zimmer 30, Sir. Für Warrant Officer Becker habe ich noch keinen Befund, Sir“, erwiderte die Krankenschwester.

„Danke, Schwester.“

„Hallo, Sam“, begrüßte Donovan den väterlichen Freund.

„Hallo, Steve. Oh, Gott, war das ein grauenhafter Flug! Wenn du den erwischst, der das vermaledeite Flugboot geflogen hat, gib ihm bitte Unterricht!“

Steve setzte sich grinsend ans Bett.

„Da müsste ich mir selber Flugunterricht geben, Sam.“

„Wie bitte? Aber … das kann ich nicht glauben! Das kann nicht sein!“, widersprach Sam heftig.

„Es kann“, grinste Steve. „Wir hatten eine Rotte Messerschmitts am Heck hängen, und wir waren nicht bewaffnet. Also musste ich den Geschossen irgendwie ausweichen, wenn ich dich und Flint lebend herbringen wollte. Meine Strafe habe ich schon bekommen: Ich durfte den Vogel selber saubermachen.“

„Geschieht dir recht, so wie du uns durchgeschüttelt hast!“, versetzte Sam. „Aber ich danke dir, dass ihr uns ‘raus gefischt habt.“

„Worsley hat mich extra wecken lassen, als er erfuhr, dass ihr abgestürzt seid. Was ist passiert?“

„Also – zunächst: Unsere Freunde von der Résistance sind sauber. Es waren wirklich üble Zufälle“, erklärte Sam. Steve sah ihn skeptisch an.

„Ganz sicher?“, fragte er zweifelnd nach.

„Ja, ich bin sicher“, erwiderte Bennett bestimmt. Steve nickte. Sam war der Fachmann. Er hatte seine Gründe, wenn er das so beurteilte.

„Und euer Absturz?“

„Captain Anderson hat mich vereinbarungsgemäß abgeholt. Leider hat uns wohl das Radar bemerkt, weil er wohl zu früh zu hoch auf die See hinausgeflogen ist. Jäger haben uns angegriffen und uns Saures gegeben. Ich hab’ einen Schlag an den Kopf bekommen und dann weiß ich nichts mehr. Bin erst im Gummiboot aufgewacht. Nach weiteren Einzelheiten solltest du Anderson befragen.“

„Muss die Lysander geborgen werden?“

„Ich habe kein Geheimmaterial bei mir gehabt, falls du das meinst. In der Lysander ist nichts Wertvolles mehr gewesen.“

„Wie geht’s dir?“

„Kopfschmerzen und ‘ne massive Grippe, weil ich komplett nass war. Die Verwundung selbst ist nur ein kleiner Streifschuss am Kopf, nichts Ernstes. Mir wird ganz anders, wenn ich daran denke, dass ich für den kleinen Kratzer das Purple Heart bekommen werde. Du hast für deine lila Herzchen sehr viel mehr bluten müssen.“

„Denk’ dir nichts dabei. Das Purple Heart sagt nur, dass jemand im Kampf verwundet wurde oder gefallen ist. Über die Schwere der überlebten Verwundungen sagt es nichts aus. Nimm es, du hast es ebenso verdient wie ich auch“, erwiderte Steve lächelnd.

„Meine Güte, wenn ich denke, in welchem Zustand Harriet und ich dich in Edinburgh gefunden haben: Mehr tot als lebendig! Ich hätte keine fünf Cent auf dich verwettet!“

„Zum Glück war Harriet etwas risikofreudiger. Aber wäre sie nicht bei mir geblieben in der Nacht – ich hätte die fragliche Nacht nicht überlebt, Sam“, entgegnete Steve ernsthaft.

„Was ich dir schon lange sagen wollte, mein Junge: Du hast eine wunderbare Frau. Eine Frau, die dich sehr liebt. Harriet ist so ähnlich wie meine Mary war – ein Diamant im Wüstensand.“

„Ich weiß“, grinste Steve. „Aber ich habe eine Weile an dem Diamanten schrubben müssen, bis ich ihn freigelegt hatte.“

„Grüß sie bitte von mir.“

„Natürlich. Wie lange musst du noch hierbleiben?“

„Ein oder zwei Wochen etwa.“

„Dann erst mal gute Besserung. Ich komme noch mal, wenn mir nichts dazwischen kommt“, verabschiedete sich Steve.

Dann besuchte er Jack Becker, der eine Kugel im Bauch und Splitterverletzungen am linken Arm hatte. Becker war zwar wach, für ein längeres Gespräch war er aber noch zu schwach.

„Ich wünschte, Esther wäre hier“, sagte er leise.

„Soll ich ihr schreiben?“, bot Steve an.

„Ja, bitte, Sir“, flüsterte der Warrant Officer matt.

„Ich schreibe ihr noch heute, Mr. Becker. Danke, dass Sie bereit waren, mitzufliegen. Gute Besserung.“

Becker schlug mühsam die Augen auf und grinste verhalten.

„Danke, Sir. Für Sie tue ich fast alles, Sir.“

Steve stand vorsichtig auf und verabschiedete sich mit einem Händedruck von seinem Warrant Officer.

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Kapitel 11

Brüderliches Treffen

Collins’ Manor lag in Maidenfield Village in der Grafschaft Kent in Südengland. Schon seit 1940 gab es in diesem südlichen Teil Englands keine Straßenschilder mehr. Zeitweise war es sogar verboten worden, die Grafschaften Essex, Norfolk, Suffolk, Kent, Sussex, Devonshire oder Cornwall zu betreten, wenn man dort nicht wohnte oder einen dienstlichen Auftrag dafür nachweisen konnte. Jetzt, im November 1943, war dieser breite Streifen südlich von London zwischen Margate im Osten und dem Dartmoor im Westen in ein riesiges Heerlager verwandelt. Täglich brachten Schiffe aus den USA und Kanada mehr Truppen nach Großbritannien. Sie sollten die Befreiung Europas vom Nationalsozialismus von Frankreich aus besorgen. Aber zunächst musste eine Landung der Alliierten in Frankreich erfolgreich sein.

Die Planungen für dieses Unternehmen liefen genau genommen bereits seit 1940, seit die Deutschen die Invasion Großbritanniens vorgehabt, aber nicht durchgeführt hatten. Konkretere Formen hatten die Planungen aber erst mit dem Kriegseintritt der Sowjetunion im Juni 1941 und dem der Vereinigten Staaten im Dezember 1941 angenommen. Stalin, dessen Armee sich bis September 1941 vor den angreifenden Deutschen nur zurückgezogen hatte, hatte frühzeitig und lautstark eine zweite Front gefordert, die die Rote Armee entlastete. Die Operation Torch, die alliierte Landung am 8. November 1942 in Nordafrika, die nachfolgende Vertreibung der Deutschen und der Italiener aus Afrika und die Operation Husky, mit der am 10. Juli 1943 die westlichen Alliierten den Kampf am Boden erstmals auf das von den Achsenmächten gehaltene europäische Festland trugen, machten deutlich, dass die Westalliierten es durchaus ernst meinten, wenn sie Stalin eine zweite Front versprachen. Aber Stalin war die Attacke auf Italien trotz der nur knapp zwei Monate später am 8. September 1943 erfolgenden Kapitulation Italiens noch lange nicht genug. Er forderte weiter eine zweite Front, die diesen Namen auch verdiente – sie sollte breit sein und deutsche Truppen in erheblichem Ausmaß binden.

Immerhin war es den Westalliierten gelungen, Italien praktisch umzudrehen. Am 13. Oktober 1943 erklärte Italien nach dem Sturz Mussolinis Deutschland den Krieg. Zum zweiten Mal nach 1915 war Italien damit seiner ursprünglichen Bündnisverpflichtung untreu geworden und hatte sich der anderen Seite angeschlossen – eine Tatsache, die Italiener in den Augen mancher Deutscher bis heute als unsichere Kantonisten erscheinen lässt. Für die Deutschen – und das galt nicht nur für wirkliche Nazis – war dabei besonders enttäuschend, dass Deutschland gerade zugunsten italienischer Großmachtträume auf dem Balkan eingegriffen hatte, mit dem Afrikakorps massive Unterstützung für die italienischen Verbündeten in Nordafrika geleistet hatte – unter hohen Verlusten an Menschen und Material, die nun an anderer Stelle fehlten. Und zum Dank erklärten genau jene, die für eine Verzettelung gesorgt hatten, Deutschland den Krieg. Dass es in Italien inzwischen eine gänzlich andere Regierung gab, die mit Mussolinis Faschisten nichts zu tun haben wollte, die Italien vom Makel des Faschismus reinigen wollte, stand auf einem anderen Blatt, das die meisten Deutschen nicht wahrnehmen wollten.

Eines Abends, es war der 24. November 1943, fuhr Steve nach Hause, nach Collins’ Manor. Es war der Vorabend des Thanksgiving Day, eines hohen Feiertages für die amerikanischen Staatsangehörigen. Daheim, in den Staaten, war der Thanksgiving Day in der Regel ein arbeitsfreier Tag. In Friedenszeiten versuchte deshalb auch jeder Soldat, möglichst an diesem Tag freizuhaben, um mit der Familie das Erntedankfest traditionell bei Puterbraten und Kürbispie zu feiern. Für General Worsley und seinen Stab standen für diesen Tag keine dringenden Aufgaben an, so dass Worsley seinem Stab freigegeben hatte.

Der General hatte seinen Leuten als kleines Geschenk jeweils einen Truthahn überreicht – extra eingeflogen aus den Staaten, denn in Großbritannien waren Truthähne so knapp, dass sie unter die rationierten Lebensmittel fielen. Das britische Ernährungsministerium hatte für ganz Großbritannien 1,6 Millionen Truthähne als Weihnachtsbraten bewilligt. Faktisch bedeutete das, dass nur etwa zehn Prozent der britischen Familien den traditionellen Truthahnbraten bekommen konnten. Korruption sorgte dann auch noch dafür, dass die meisten freigegebenen Puter in recht dunklen Kanälen verschwanden. Um den britischen Verbündeten nicht noch die wenigen vorhandenen Puter streitig zu machen, hatte General Worsley Trut­hähne aus den USA geordert und dank seiner Verbindungen auch bekommen.

Hinter Steve lag auf dem Rücksitz seines Dienst-Jeeps wohlverpackt ein Prachtstück von Truthahn, der gut und gern zehn Pounds auf die Waage brachte. Damit sollten sämtliche Bewohner von Collins’ Manor einschließlich des Butlers Marcus und der Köchin Elly wohl satt werden. Der Weg von Maidenfield Airfield bis nach Maidenfield Village war nicht weit. Steve kannte die Gegend inzwischen so gut, dass er auf die ohnehin nicht vorhandene Straßenbeschilderung auch gut verzichten konnte. Er fand auch bei Dunkelheit und Nebel nach Collins’ Manor.

Andere hatten damit offensichtlich mehr Schwierigkeiten, denn etwa auf halbem Weg nach Collins’ Manor bemerkte Steve einen Jeep mit amerikanischem Kennzeichen am Straßenrand. Steve bremste und bemerkte einen amerikanischen Offizier, der mit einer Taschenlampe seine Landkarte studierte, aber immer wieder hilflos mit den Schultern zuckte. Ohne Hinweisschilder an den Straßenkreuzungen hatte er keine Chance, bei Dunkelheit und Nebel seinen Weg zu finden.

„He, Kamerad, kann ich helfen?“, fragte Steve. Der andere Amerikaner sah zu ihm hinüber.

„Ja, ich bin total vom Weg abgekommen und habe keine Ahnung, wo ich mich befinde. Können Sie mir sagen, wo ich hier stecke?“

Steve glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Was er da hörte, war die Stimme seines Bruders Mark! Doch der Captain steckte in der Uniform der US Army und Mark gehörte zu den Marines.

„Mark? Bist du das?“, fragte er verblüfft und stieg aus.

„Jesus! Steve! Was machst du hier?“, entfuhr es Mark, der ebenfalls ausstieg. Die Brüder umarmten sich herzlich. Sie hatten sich seit Weihnachten 1940 nicht mehr gesehen, denn Mark war zum Thanks­giving Day 1941 nicht mehr nach Oahu gekommen, wo sich die Brüder Donovan einmal im Jahr zu treffen pflegten. Damals war er auf den Philippinen stationiert gewesen und hatte wegen der Urlaubssperre nicht mehr nach Hawaii fahren dürfen.

„Wie kommst du hierher, Mark?“, fragte Steve schließlich. „Ich wähnte dich im Warmen.“

„Da war ich auch“, seufzte Mark. „Aber beim Kampf um Guadalcanal haben die Japse aus mir fast ein Sieb gemacht. Ich habe ein halbes Jahr im Lazarett verbracht. Als ich wieder okay war, ergab ein Leistungstest, dass ich nicht mehr tropentauglich bin. Frag’ mich nicht warum, aber ich bin nicht mehr tropentauglich. Die Marines wollen aber nur absolut fitte Leute haben, die überall auf der Welt eingesetzt werden können – wer da nicht tropentauglich ist, wird aussortiert. Also haben sie mich als Lieutenant entlassen. Erst war ich noch ein paar Monate bei der Nationalgarde und dann suchte man nach Ausbildern für die Invasionstruppen. Ich habe mich gemeldet und man hat mich angenommen. So habe ich eine Kompanie Infanteristen ausgebildet, die ein Captain von der 101st Division übernehmen sollte. Und der fährt sich doch auf dem Weg zum Dienstantritt tot! Da hat man mich gefragt, ob ich den Haufen übernehmen will. Die Jungs sind prima, also hab’ ich ja gesagt. Und nun bin ich Captain bei der US-Infantry, korrekterweise bei den Luftlandetruppen. Mich wundert bloß, dass du nicht längst Colonel bist.“

„Wäre ich vielleicht, wenn ich nicht eine Ehrenrunde durch den Second-Lieutenant gedreht hätte“, seufzte Steve. „Wo ist dein Quartier?“

„Ich hab’s noch verdammt weit. Mein Haufen ist beinahe ganz im Westen, in Portland.“

„Das an der Küste in Dorset?“

Mark nickte.

„Wenn du die Kanalküste meinst, ja“, erwiderte er.

„Dorset! Du lieber Himmel!“, entfuhr es dem Älteren. „Und was machst du hier in Kent?“

„Ich hatte dienstlich in London zu tun und hab’ mich auf dem Rückweg bei diesem wundervollen Wetter verfahren. Ich hab’ keine Ahnung, wo ich hier bin. Kannst du mir das mal zeigen?“

Steve zeigte seinem Bruder auf der Karte den Standort.

„Shit, die Hauptstraße habe ich glatt übersehen“, murmelte der Jüngere, als er sah, dass er einige Meilen weiter südlich war als er annahm.

„Mark, fluchen solltest du hier besser nicht. Die Tommies haben da sehr empfindliche Ohren.“

„Erstens ist keiner in der Nähe und zweitens befreit’s“, grinste Mark.

„Stimmt zwar, aber du solltest dich besser daran gewöhnen, auch im privaten Bereich etwas auf deine Art zu achten, dich auszudrücken. Die Fettnäpfchendichte wird dann allgemein geringer“, erwiderte Steve. „Ohne Beschilderung hast du bei Nacht und Nebel keine Chance, bis nach Dorset zu kommen. Wann sollst du dich zurückmelden?“

„Ich wollte nullsiebenhundert wieder im Camp sein.“

„Selbst, wenn du den Weg finden würdest, könntest du das vergessen. Bei all den Straßensperren bis nach Portland wärst du nicht vor morgen Mittag dort. Komm mit zu mir nach Hause.“

„Danke für die Einladung, Bruderherz.“

Die Brüder stiegen in ihre Jeeps, starteten sie. Steve fuhr voraus, Mark folgte ihm nach Collins’ Manor.

Als Mark den Jeep neben Steves abstellte und ausstieg, hätte Harriet beinahe den Falschen umarmt. Sie stockte.

„Wer sind Sie?“, fragte sie konsterniert.

„Donovan ist mein Name. Captain Mark Ashley Donovan, 101st United States Army Division. Guten Abend, Miss“, stellte Mark sich vor. Harriet sah ihn noch verblüfft an, als Steve in den Lichtschein ihrer Handlampe trat.

„Hallo, Schatz. Darf ich dir deinen Schwager, meinen Bruder Mark, vorstellen?“, fragte er und umarmte sie.

„Hallo, Steve.“

Harriet erwiderte seine Umarmung und küsste ihn.

„Mark, das ist Harriet, meine Frau“, stellte Steve dann vor.

„Herzlichen Glückwunsch nachträglich. Seit wann seid ihr verheiratet?“

„Seit Juni“, erwiderte Steve. „Ist der Rest der Familie auch im Haus?“, wandte er sich dann an Harriet.

„Mama ist hier, Papa ist noch im Ministerium und Daniel hat einen Einsatz gegen deutsche Stellungen in Holland. Kommt ‘rein, Jungs.“

Steve ging noch kurz zum Wagen zurück und holte den Festtagsbraten und folgte dann Frau und Bruder in das warme Haus. Butler Marcus stand schon bereit, um den amerikanischen Offizieren die Mäntel abzunehmen. Köchin Elly sah das große Paket, das Steve trug.

„Geben Sie nur her, Sir“, sagte sie und nahm Steve den Truthahn ab.

„Wissen deine Leute, wo du steckst?“, fragte er Mark.

„Nein, bisher noch nicht“, erwiderte Mark, der sich staunend umsah. Die Donovans waren keine armen Leute, aber ein Haus auf dem Land, das schon fast zweihundert Jahre alt und trotzdem aus Stein gebaut war, dessen Flur mit alten Ölgemälden von Vorfahren und deren Wappen geschmückt war, kannte Mark noch nicht. Steve griff gleich zum Telefon und ließ sich mit dem Hauptquartier der 101st Division verbinden.

„Hier ist Major Steve Donovan, United States Army Air Force. Ich hab’ jemanden aufgegabelt“, meldete er sich und winkte Mark heran. „Hier. Melde dich lieber bei deinem Haufen ab. Bei der dicken Suppe da draußen wird wahrscheinlich auch morgen noch den ganzen Tag Nebel sein. Dann kann nicht mal ich dich bis nach Plymouth lotsen, schon gar nicht bis nullsiebenhundert.“

Damit gab er den Telefonhörer seinem recht erschrockenen Bruder.

„Captain Donovan, 101st Division. Ist Colonel Carter zu sprechen?“

„Moment, Sir, ich verbinde.“

Es knackte, dann hatte Mark wieder Verbindung.

„101st Division, Lieutenant Stafford.“

„Hallo Dirk, hier ist Mark Donovan. Ist der Chef da?“

„Nein, der ist bei Bradley. Was gibt’s?“

„Ganz einfach: Ich hab’ mich gründlich verfahren und bin in Maidenfield gelandet.“

„Ach, du lieber Himmel!“, entfuhr es Stafford. „Bist du bis morgen früh hier?“

„Eben nicht. Deshalb rufe ich ja an. Ohne Straßenschilder finden ja nicht mal die Tommies von hier nach Portland“, erwiderte Mark.

„Okay, Mark. Ich weiß Bescheid und geb’s weiter. Wann ist mit dir zu rechnen?“

„Wenn sich der Nebel lichten sollte, wohl morgen Nachmittag.“

„Alles klar.“

„Danke, Dirk. Bis morgen dann“, verabschiedete sich Mark und legte auf.

„Bruder, einerseits danke ich dir, andererseits hast du mich gerade unmöglich gemacht“, beschwerte sich der Jüngere dann.

„Mark, wenn du morgen früh nicht um nullsiebenhundert zum Dienst erschienen wärst, hättest du eine Vermisstenanzeige bei der MP und nachfolgend ein Disziplinarverfahren am Hals“, entgegnete Steve ungerührt. „Kann sein, dass es ein paar Idioten gibt, die grinsen, weil du dich bei Nacht und Nebel und ohne Straßenschilder in einer dir fremden Gegend verfahren hast. Aber die solltest du einfach links liegen lassen oder ihnen beim nächsten Footballspiel den Hintern versohlen.“

Da der dichte Nebel auch am folgenden Tag eine Rückkehr nach Portland verhinderte, konnte Mark auch den Thanksgiving Day bei seinem Bruder und dessen Schwiegerfamilie verbringen. Sir Francis gab sich zwar zunächst sehr reserviert, als sein Schwiegersohn ihm den unverhofften Besuch vorstellte, doch durfte er bei der abendlichen Bridgepartie feststellen, dass Mark ebenso schnell die Feinheiten dieses typischen Spiels der englischen Upper Class erlernte wie sein älterer Bruder. Gewarnt von Steve bemühte Mark sich erfolgreich, verpöntes Fluchen zu unterlassen.

Der Weg nach Portland führte die Donovans an zahllosen Camps vorbei, in denen die Alliierten ihre Truppen für die Invasion sammelten.

„Wie weit ist eure Planung, Mark?“, fragte Steve. Mark sah ihn verblüfft an.

„Keine Ahnung“, sagte er. Als Steve nicht reagierte, setzte er hinzu: „Ich bin nicht wie du Adjutant eines Generals. Ich bin ein ziemlich kleines Würstchen von Truppenoffizier. Unsereins erfährt erst, wohin es geht, wenn er fast dort ist. Und was weißt du, großer Bruder?“

„Worsley ist in die Planung der Luftstreitkräfte einbezogen. Insofern weiß ich, dass das ganze Tamtam, was da im Osten gemacht wird, pure Tarnung ist.“

„Du meinst, der Angriff erfolgt nicht in Calais, wie jeder mutmaßt?“

„Es wird alles getan, den Krauts das vorzuspiegeln. Tatsächlich geht’s wohl eher in die Normandie, nach Calvados.“

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Kapitel 12

Seltsame Entdeckung

 

Am Sonntag nach dem Thanksgiving Day, es war der 28. November 1943, erhielt die Aufklärungseinheit, zu der inzwischen auch Daniel Collins gehörte, den Auftrag, die Bombenwirkung nach einem schweren Angriff auf Berlin zu überprüfen. Squadron Leader Merifield startete mit seiner Mosquito, Daniel und sein Fotograf Toller flogen eine zweite Maschine. Über dem eigentlichen Ziel Berlin lag eine dichte Wolkendecke, so dass sie keine Fotos von der Wirkung des Angriffs machen konnten.

„Ganz ohne Fotos fliege ich nicht zurück“, meldete sich Merifield in Daniels Kopfhörer. „Kommen Sie, Collins, sehen wir mal, ob wir weiter im Norden was Interessantes finden.“

„Was halten Sie von Peenemünde, Sir?“, schlug Daniel vor. „Das haben wir im August mal bombardiert. Wir könnten mal nachschauen, was die Krauts da inzwischen angestellt haben.“

„Gute Idee, Collins. Kurs zwei Grad, auf geht’s!“

Die beiden Mosquitos schwenkten fast auf direkten Nordkurs und flogen in Richtung Ostsee. Eine gute Viertelstunde später flogen die beiden Mosquitos bereits über der Insel Usedom, erreichten die an der Nordspitze gelegene Heeresversuchsanstalt Peenemünde. Peenemünde wurde schon seit längerer Zeit beobachtet und inzwischen nahezu zweimal in der Woche fotografiert, aber immer wieder fanden die Luftbildauswerter Neuigkeiten. Toller und Merifields Fotograf machten Fotos aus allen Perspektiven und hofften, dass die Fotospezialisten wieder etwas Interessantes fanden.

Eine gute Woche später, es war der 7. Dezember 1943, rief Worsley Steve zu sich. Vor Worsley lag eine Anzahl Luftbilder, als Steve sich bei ihm meldete.

„Ich zeige Ihnen das, was ich hier habe, nicht meinem Adjutanten, sondern dem Staffelkapitän einer erfahrenen Jagdeinheit, Major Donovan. Sehen Sie sich diese Luftbilder mal an, die die Kollegen von der RAF vor ein paar Tagen gemacht haben“, erklärte der General und wies auf die Bilder. Steve nahm sie zur Hand und verschmähte auch die Lupe nicht, die Worsley ihm gleich dazugab. Die Aufnahmen zeigten seltsame Betonbauten, die wie auf der Seite liegende Skier aussahen. In der Nähe der am Ende krummen Mauern befand sich ein schnurgerades Bauwerk, wahrhaft ein Strich in der Landschaft.

„Haben Sie so etwas schon mal gesehen, Major?“, erkundigte sich Worsley.

„Nein, Sir, was ist das?“, erwiderte Steve. Worsley seufzte.

Niemand weiß das. Nicht mal Flight Lieutenant Collins – und von dem stammen diese Aufnahmen“, sagte er schulterzuckend.

„Ist Collins in Maidenfield?“

„Ja.“

„Dann sollten wir mit ihm mal drüber reden, Sir. Manchmal hilft es, über Dinge zu sprechen. Ich lasse ihn holen, Sir.“

Wenig später war Daniel zur Stelle.

„Wo hast du diese Aufnahmen gemacht, Danny?“, fragte Steve nach der Begrüßung.

„Die? Die sind von Holland. Ich bin gestern über Lorient mit den Fotos angefangen und bin die Küste lang bis nach Holland geflogen. Das sind nicht die einzigen krummen Betonmauern, die Toller und ich gesehen haben. “

„Wo noch?“

„Eigentlich an der ganzen Küste verstreut – von der Normandie über Belgien nach Holland“, erwiderte Collins.

„Ist dir daran irgendwas aufgefallen?“

„Ehrlich, ich fliege die Maschine und Toller macht die Fotos. Den Rest machen die Auswerter in Medmenham. “

„Ist das hier ein Nordpfeil?“, fragte Steve und wies auf einen kleinen Pfeil in der rechten unteren Bildecke.

„Tollers Spezialität. Er hat in seine Kamera einen Kompass eingebaut und projiziert den Nordpfeil auf die Aufnahme“, erklärte Daniel.

„Colin ist einfach ein Genie!“, entfuhr es Steve. „Halt dir den bloß warm!“, empfahl er dann und ging mit den Fotos an die große Wandkarte in Worsleys Büro. Mit einem Bleistift zeichnete er die Lage der seltsamen Bauten und der in deren Nähe befindlichen geraden Mauern in die Karte ein. Dann nahm er ein Lineal und verlängerte die Geraden der Konstruktion. Die krummen Teile zeigten keine Besonderheit in der Lage, aber die geraden …

„Wenn ihr mich genau fragt, zeigen diese geraden Mauern direkt auf den Piccadilly Circus in London!“, sagte er schließlich. „Wie sehen die anderen aus?“

„Die sind noch in der Bildauswertung. Ich sage Toller Bescheid, dass er von seinen Negativen noch Abzüge macht. Dann wissen wir, ob das Zufall ist.“

Einige Stunden später kam Flight Sergeant Colin Toller mit den Fotos zu General Worsley. Gemeinsam übertrugen sie die Lage der Geraden der Stellungen auf die Karte – und das Ergebnis war eindeutig: Alle fotografierten Stellungen wiesen direkt auf die City of London, meist auf den Piccadilly Circus.

„Die Deutschen planen eine Teufelei mit London. Aber was haben sie vor, verdammt?“, fluchte Donovan.

„Vor ein paar Tagen hat eine von unseren Auswerterinnen ein Kleinflugzeug mit einem merkwürdigen Antrieb auf einem Foto von Merifield entdeckt. Das hat er über Peenemünde gemacht. Was sagt dir Peenemünde, Steve?“

„Peenemünde? Liegt auf der Insel Usedom in der Ostsee. Aber sonst muss ich passen“, gab Steve zu. Worsley sah ihn völlig überrascht an.

„Wie? Ich erlebe den Tag, an dem Major Steven Christopher Donovan in einer Frage in Sachen Deutschland passen muss? Juchhu! Den Tag streiche ich rot im Kalender an!“

„Nur zu, Sir. 7. Dezember 1943“, grinste Steve. „Ist kein gutes Datum, weder für mich persönlich noch für mein Land“, setzte er dann mit traurigem Unterton zu. Genau zwei Jahre war es her, dass Sid beim Überfall auf Pearl Harbor gefallen war.

„Ich habe aber nie behauptet, allwissend zu sein, Sir“, ergänzte er, als er die aufkommende Trauer um Sid und seinen ehemaligen Kadetten Coffer niedergerungen hatte. „Was weißt du über Peenemünde, Daniel?“, wandte er sich an Collins.

„Nun, es soll sich um eine Heeresversuchsanstalt der Deutschen handeln, wie der MI 6 herausgefunden hat. Sie experimentieren dort wohl mit neuen Sprengstoffen, vielleicht auch mit neuartigen Antrieben, wie es scheint.“

„Hast du auch Aufnahmen von Peenemünde?“, hakte Steve nach. Daniel sah Toller an, der nickte.

„Klar, Sir. Die sind sogar besser als die, die Miss Babington-Smith hatte, als sie das Ding identifiziert hat.“

„Wer ist die Dame?“, erkundigte sich Worsley.

„Eine von unseren Fotoauswerterinnen. Auf einer Aufklärungsaufnahme vom 28. November hat sie in der Nähe so einer komischen Stellung eine Art Flugzeug entdeckt. Hier, das sind meine Fotos davon“, grinste Toller. Mit triumphierender Miene zog er zwei Fotos aus seiner Mappe.

„Gott im Himmel! Was ist das denn?“, entfuhr es dem General. Eine der Aufnahmen zeigte deutlich erkennbar ein kleines Flugzeug auf geraden Mauer, die zweite zeigte Rauch, der am Ende des Flugzeugs davonzog.

„Das ist noch nicht alles, Sirs. Hier ist Nummer drei“, setzte Toller hinzu und schob ein drittes Foto dazu, das das Flugzeug in der Luft zeigte – mit einem Rauchschwanz hinter sich.

„Wie konnte der Vogel mit dem brennenden Schwanz starten?“, wunderte sich Worsley. Steve nahm sich die Lupe und sah sich das Foto näher an.

„Sir, das ist kein brennender Schwanz, das sieht eher nach einer Art Triebwerk aus. Mr. Toller, wie viel Zeit liegt zwischen diesen Aufnahmen?“

Toller dachte einen Moment nach.

„Ich hatte die Kamera so eingestellt, dass sie sie jede Sekunde ein Foto machte. Also drei Sekunden zwischen dem ersten und dem dritten Bild, Sir.“

„Das ist kein Fehler, das ist Absicht“, konstatierte Steve. „Das ist ein Dampfstrahl, der nach hinten geht, Sir. Dieses Flugzeug wird augenscheinlich von einem Dampfstrahl angetrieben.“

„Unsinn! Wie soll das denn funktionieren, Major?“, wehrte der General ab.

„Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt, soll ein gewisser Mr. Shakespeare mal gesagt haben, wenn ich recht entsinne. Die Krauts sind nicht nur Panzerfahrer und Stukaflieger. Manche sollen sogar richtig Gehirn haben, wie man hört. Um das Ding, was da auf dem Tisch steht, Sir, streiten sich Mr. Graham Bell aus Schottland und Mr. Philipp Reis aus Deutschland. Ohne einen gewissen Mr. Heinrich Hertz würde die Schwingung des Wechselstroms nach weiß der Teufel wem gezählt werden, aber nicht in der Einheit Hertz. Und unsere Temperaturskala ist nach einem Deutschen namens Fahrenheit benannt. Junkers hat in Deutschland schon Anfang der dreißiger Jahre ein Ganzmetallflugzeug gebaut. Reden wir lieber nicht von den weiteren Entwicklungen der Herren Messerschmitt und Junkers für den Kriegseinsatz. Mit zweien von denen habe ich mich erst gestern herumgeschlagen! Das sind so ein paar Stegreifbeispiele. Es gibt da einen Mr. Oberth, der davon träumt, Fluggeräte zu bauen, mit denen man in den Weltraum fliegen kann. Also, mit Propellern funktioniert das jedenfalls nicht. Und wenn ein Flugzeug mit einem Aggregat, das irgendwie Dampf produziert, innerhalb von drei Sekunden so gestartet werden kann, wie es hier auf Mr. Tollers Fotos zu erkennen ist, muss man wohl davon ausgehen, dass den Deutschen mal wieder eine bahnbrechende Erfindung gelungen ist“, erklärte Donovan. Worsley seufzte.

„Ich weiß, dass Sie die Deutschen mögen, Major Donovan. Ihre Bewunderung geht mir zuweilen etwas zu weit!“, bremste er.

„Sir, es ist einfach Fakt, dass der größte Teil des menschlichen Erfindergeistes für militärische Entwicklungen genutzt wird. Die Erfinder bekommen erst Geld, wenn sich Vater Staat für sie interessiert – und das ist nun mal in der Regel mit militärischer Nutzbarkeit verbunden. Oberth will Aggregate entwickeln, mit denen es möglich ist, die Erde in Richtung Weltraum zu verlassen. Entwicklung ist scheußlich teuer. Wenn er einen solchen – nennen wir ihn mal Strahlantrieb – entwickeln will, braucht er Geld. Mr. Goebbels faselt ständig irgendwas von so genannten Wunderwaffen. Es könnte sein, dass sich die deutsche Führung von dem Antrieb, den Oberth erträumt und vielleicht in Peenemünde konstruiert hat, militärische Nutzbarkeit erhofft hat. Wenn ein solcher Antrieb wirklich in der Lage ist, große Entfernungen schnell zu überbrücken, dann ist das militärisch nutzbar. Ich denke, das Resultat sehen wir hier.“

„Sie sind der Meinung, die Deutschen hätten einen propellerlosen Antrieb für Flugzeuge entwickelt?“, fragte Worsley verblüfft nach.

„Nicht nur das, Sir“, hakte Toller ein. „Sehen Sie sich das mal an.“

Damit legte Toller ein Foto vor, auf dem ein völlig flügelloser Körper mit einem Strahl von einer Betonplatte in einer stadionartigen Fläche abhob.

„Großer Gott!“, entfuhr es dem General. „Hoffentlich haben Sie Peenemünde gründlich zerstört, Flight Lieutenant!“

„Wir haben uns größte Mühe gegeben, Sir. Aber die Ideen sind da. Sie sind entwickelt, sie sind in den Köpfen drin. Da bomben wir sie nicht mehr ‘raus. Ich weiß natürlich nicht, wie weit die Testphase war, denn wir nehmen an, dass Peenemünde ein Entwicklungs- und Testzentrum ist. Es gibt sicher über das ganze Deutsche Reich verstreute Fabriken, in denen die Flugkörper oder Teile davon produziert werden“, erwiderte Daniel.

„Haben wir irgendwelche Erkenntnisse, welche Unternehmen in Deutschland an diesen Sachen arbeiten?“, fragte Worsley.

„Leider nein, Sir. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, von Arado bis Zeppelin, die für die Rüstung in irgendeiner Form arbeiten. Das konnte der MI 6 ermitteln, aber nicht, welche speziell an diesen möglichen Wunderwaffen werkeln“, erklärte Collins.

„Diese seltsamen Stellungen, die Flight Sergeant Toller und Flight Lieutenant Collins fotografiert haben, scheinen zu belegen, dass die Entwicklung soweit fortgeschritten ist, dass die Deutschen diese Flugzeuge für einsatzreif halten. Sie verlieren täglich ein Stückchen mehr an Luftherrschaft über dem Kontinent, Sir. Also überlegen sie sich gewiss, wie sie uns Tod und Verderben bringen können, ohne das Leben erfahrener Piloten zu gefährden“, mutmaßte Donovan.

„Sie meinen, diese Dinger sind unbemannt?“

„Oh, sorry, Sir. Flight Lieutenant Collins erzählte mir auf dem Weg hierher davon. Auch, dass sie den Aufschlag eines solchen Flugkörpers auf dem Meer vor Usedom beobachten konnten – und es waren keine Rettungsschiffe in der Nähe, etwa um einen Piloten zu bergen. Auch der MI 6 nimmt nicht an, dass die Krauts Piloten zum Selbstmord nötigen – schon gar nicht in einer Testphase, Sir.“

„Also die so genannten Wunderwaffen sollen das sein?“, brummte Worsley. „Und die Stellungen sind auf London gerichtet“, überlegte er laut weiter und sah Steve an.

„Das würde ich so sehen, Sir“, bestätigte Steve.

„Dann sollten wir uns um diese Stellungen kümmern. Ich spreche mit General Doolittle, ob wir uns die nicht mal vornehmen. “

„Gute Idee, Sir. “

„Ich habe gerade von Bombern gesprochen! Sind Sie krank, Major Donovan?“

„Sir, ich lehne Angriffe auf zivile Ziele ab. Das da sind eindeutig militärische Ziele. Die zu bombardieren – dagegen habe nicht mal ich was!“, versetzte Steve kühl.

General Worsley berichtete noch am selben Tag General Doolittle und General Spaatz über die Ergebnisse. Eine gute Woche später, es war der 15. Dezember, erhielt die 8th USAAF den Auftrag, die seltsamen Stellungen zu zerstören.

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Fortsetzung folgt

 

Anhang 

Glossar

In der vorliegenden Geschichte gibt es vermutlich eine ganze Reihe von Ausdrücken, die nicht jedem geläufig sind. Das Glossar habe ich hier in einen allgemeinen Teil und einen militärischen Teil getrennt. Der militärische Teil wird hier noch um eine Sonderliste für militärische Dienstgrade erweitert, weil insbesondere die Dienstgrade der britischen Royal Air Force und der Women’s Auxiliary Air Force sicher nur Wenigen bekannt sind.

Und natürlich gilt auch hier: Bitte Alarm geben wenn ein Begriff nicht bekannt ist, damit ich ihn samt Erklärung in das Glossar aufnehme.

 

* Allgemeiner Teil

AVGAS-Anlage: Betankungsanlage für Flugbenzin

Grad: In der fliegerischen Navigation wird der Kurs nicht wie in der Seefahrt mit Nord, Süd, Ost, West oder Zwischenstufen davon angegeben, sondern in Grad. 0 oder 360 Grad ist Nord, 90 Grad Ost, 180 Grad Süd, 270 Grad West.

Boche: französische Schimpfbezeichnung während des II. Weltkrieges für Deutsche allgemein und die deutschen Soldaten im Besonderen.

Zahlen: Normalerweise schreibe ich Zahlen als Zahlwörter aus. In dieser Geschichte habe ich ausnahmsweise weitgehend Ziffern verwendet, weil manche Zahlen doch zu unübersichtlich werden würden. Ich bitte hierfür um Nachsicht.

 

** Militärischer Teil (allgemein)

Allgemeine militärische Begriffe und historische Personen

Douhet: Giulio Douhet, italienischer Luftwaffengeneral. Douhet entwickelte die Theorie, dass strategische Bombenangriffe auf zivile Ziele einen Krieg entscheiden können. Die Theorie war schon zu Zeiten der Entstehung umstritten, da sie der Haager Landkriegsordnung von 1907 widersprach, nach der Zivilisten von Kriegshandlungen zu verschonen sind. Die Alliierten im 2. Weltkrieg haben sich an dieser Theorie orientiert, was zu entsprechend bewussten Angriffen auf zivile Ziele führte.

Fünfzehnhundert: Im der militärischen Sprachgebrauch der US-Streitkräfte werden Zeiten im Wortsinne ohne Punkt und Komma angegeben. Es gilt eine vierundzwanzig-Stunden-Einteilung, die in vier Ziffern angegeben wird. Fünfzehnhundert bedeutet also drei Uhr nachmittags, nullneunhundert entsprechend morgens neun Uhr.

Indianer: deutsche Bezeichnung für feindliche Flieger

Katschmarek: Spitzname bei der deutschen Luftwaffe für den Rottenflieger.

Pauke-Pauke: Gilt nach einigen Quellen als deutsches Angriffssignal der Jagdflieger.

Radada: Fachbegriff in der Fliegerei; Flugzeug fliegt unterhalb des Radarstrahls, um 300 Meter/1000 Fuß Höhe.

Militärische Dienstgrade:

Ich halte es für denkbar, dass auch mit den deutschen Dienstgraden nicht jeder etwas anfangen kann und gebe daher zunächst einen kurzen Überblick über die deutschen Einteilungen während des 2. Weltkrieges. Der niedrigste Dienstgrad wird dabei jeweils zuerst genannt:

Heer/Luftwaffe:

Mannschaften: Soldat – Oberschütze – Gefreiter – Obergefreiter – Stabsgefreiter

Unteroffiziere: Unteroffizier – Unterfeldwebel – Feldwebel – Oberfeldwebel – Stabsfeldwebel

Offiziere: Leutnant – Oberleutnant – Hauptmann – Major – Oberstleutnant – Oberst – Generalmajor – Generalleutnant – General (der Infanterie, der Panzertruppen, der Flieger, etc.) – Generaloberst – Generalfeldmarschall

 

Marine:

Mannschaften: Matrose – Matrosengefreiter – Matrosenobergefreiter – Matrosenhauptgefreiter – Matrosenstabsgefreiter – Matrosenoberstabsgefreiter

Unteroffiziere: Maat – Obermaat – Bootsmann – Stabsbootsmann – Oberbootsmann – Stabsoberbootsmann – Fähnrich zur See – Oberfähnrich zur See.

Offiziere: Leutnant zur See – Oberleutnant zur See – Kapitänleutnant – Korvettenkapitän – Fregattenkapitän – Kapitän zur See – Kommodore – Konteradmiral – Vizeadmiral – Admiral – Generaladmiral – Großadmiral

 

Paramilitärische Einheiten (hier SS):

Standartenführer = Oberst

 

Ausländische Militärdienstgrade

In der Regel sind hier britische oder amerikanische Dienstgrade genannt. Abweichende Bezeichnungen anderer Länder, die im Text vorkommen, sind ausdrücklich genannt.

Brigadier-General: So genannter 1-Stern(e)-General. Bei der Bundeswehr = Brigadegeneral, bei der Wehrmacht entsprechend dem Generalmajor.

Caporal: frz.: Gefreiter

Captain : Bei der Army = Hauptmann, bei der Navy = Kapitän zur See.

Colonel: Oberst

Commandant: frz. für Major

Commodore: Kommodore

Company Commander: Hauptmann der Women’s Auxiliary Air Force (WAAF)

Deputy Company Commander: Oberleutnant der WAAF

Ensign: Leutnant zur See

First-Lieutenant: Oberleutnant

Flight Lieutenant: Hauptmann der RAF (Royal Air Force)

Flight Officer: Hauptmann WAAF (ab 1942)

Group Captain: Oberst der RAF

Lieutenant: Bei der Army = Leutnant, bei der Navy = Kapitänleutnant

Lieutenant-Commander: Korvettenkapitän

Lieutenant-General: Generalleutnant

Lieutenant Junior Grade: Oberleutnant zur See

Petty Officer: P.O. 3rd – 1st Class: Untere Unteroffiziersdienstgrade der Navy, entsprechen dem Maat – Obermaat – Bootsmann der deutschen Marine.

Pilot Officer: Leutnant der RAF

Private: einfacher Soldat, unterster Dienstgrad überhaupt

Seaman: Matrose; unterster Dienstgrad bei der US Navy.

Second-Lieutenant: Leutnant

Sergeant: Feldwebel

Soldat Premier Classe: frz.: Gefreiter

Squadron Leader: Major der RAF

Warrant Officer: a) brit. Armee: Stabsfeldwebel; b) US-Streitkräfte: Fachoffizier unterhalb des Leutnants, dessen Dienstgrad nur in seinem Fachbereich gültig ist.

Wing Commander: Oberstleutnant der RAF

 

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Hypothetische Besetzungsliste

Ich denke, jeder Schriftsteller hat eine gewisse Vorstellung von seinen wesentlichen Figuren. Mir persönlich geht es so, dass ich mir bestimmte Schauspielerinnen und Schauspieler in den Rollen meiner Figuren vorstelle. Die Vorstellung kann zuweilen wechseln, wie ich zugebe.

Die vorliegende Geschichte Feuerhimmel datiert in ihren Ur­sprüngen aus dem Jahr 1980. In jenen Tagen war Harrison Ford eine passable Vorstellung für Steve Donovan, auch wenn er das richtige Alter bereits deutlich überschritten hatte – Steve Donovan ist bei Beginn dieser Geschichte 27 Jahre alt, Harrison Ford war zu dem Zeitpunkt, als ich meine ersten Versuche mit dieser Geschichte machte, 38 Jahre alt. 1998 begann ich dann nach längerer Recherche zum 2. Weltkrieg die Fragmente, die zu dieser Geschichte existierten, in eine flüssig lesbare Fassung zu bringen. Man kann sich unschwer ausrechnen, dass Mr. Ford dann 56 Lenze zählte und für die Besetzung eines 27jährigen gewiss nicht mehr in Betracht kam.

Aus heutiger Sicht und mit meinen gegenwärtigen Präferenzen, was Schauspieler betrifft, ergibt sich folgende Besetzungswunschliste, die nie und nimmer von irgendeinem Produzenten auf dieser Welt realisierbar wäre, weil die Leute vermutlich viel zu teuer wären, um sie alle in einem Film unterzubringen. Bei einem wäre es schon deshalb unmöglich, weil er leider nicht mehr unter den Lebenden weilt.

Diese Liste wird – wie das Glossar – kapitelweise aktualisiert. Es gibt sicher noch Figuren, für die ich bislang keine Vorstellung habe. Sollte jemand Ideen haben, bin ich für Anregungen dankbar.

Captain Steve Donovan: Orlando Bloom (ist zwar Brite und zählt inzwischen 37 Lenze, hat aber auch schon einen amerikanischen Soldaten gespielt und wirkt immer noch jung genug …)

Hauptmann Siegfried Heinsohn: Daniel Brühl

Lieutenant Angelo D’Amato: Giovanni Ribisi

Colonel Charles Worsley: Kevin Costner

Lieutenant-Commander Sidney Donovan: Christian Bale (auch Brite …)

Dr. Reginald Victor Jones: Jack Davenport

Stella Donovan: Karen Allen

Group Captain Henderson: Brendan Gleeson (bekannt als Menelaos in Troja, Reynald de Châtillon in Königreich der Himmel, Mad Eye Moody in Harry Potter und der Feuerkelch)

Pilot Officer Daniel Collins: Peter Cant (spielte den zum Ritter geschlagenen Bauernjungen in Königreich der Himmel)

Group Captain Sir Francis Collins: Jonathan Pryce

Squadron Leader/Major Vanderbuilt: Brad Pitt

Squadron Leader McMonahan: Daniel Craig

Pilot Officer Jerry Cox: Sean Astin

Harriet Collins: Keira Knightley

Kadett Winston Bellamy: Elijah Wood

Kadett Jonathan Coffer: Zac Efron

General James Doolittle: Alec Baldwin (hat diese Rolle schon gespielt)

Colonel Sam Bennett: Liam Neeson

Major Waldo Hopkins: Marton Csokas

Pilot Officer Ian McFarlane: Ewan McGregor

Flight Sergeant Toller: Luke Evans

Dr. Calvin Small: Matthew MacFadyen

Company Commander Maggie McFarlane: Kate Winslet

Lieutenant-Colonel Roger Hartwig: David Meunier

Major Sandy Hudson: Edward Norton

Wing Commander Bossom: Geoffrey Rush (okay, Australier …)

Captain Lucius Morgan: Hugh Jackman (noch ’n Aussie …)

Butler Marcus: Colin Firth

Mildred Collins: Mary Elizabeth Mastrantonio (zwar Amerikanerin, aber wenn Briten Amis spielen können, geht das auch umgekehrt …

Dr. Harry Nolan: Stellan Skarsgård

Lieutenant Flint Anderson: Hayden Christensen (Kanadier zwar, aber …)

Inge Hufnagel, Heinsohns Verlobte: Diane Kruger

Colonel Jones: Leonardo DiCaprio

Colonel Jeffrey Clinton: Ethan Hawke

Kadett Andrew Miller: Alfie Allen (zwar Brite – aber siehe oben … Empfohlen von Lex-er)

 Kadett Tamasz Kossuth:

 Kadett Stewart McReady: Dylan Smith

 Kadett Mike Wanninger: Logan Lerman

 Warrant Officer Jack Becker: Sam Worthington

 Squadron Leader Leslie: Jeremy Irons

 Lieutenant Mark Donovan: Heath Ledger (ich hätte ihn zu gern noch mal mit Orlando in dieser Welt zusammen gesehen … Friede sei seiner Seele)

 

 

 

 

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