Du lieber Himmel, was war das denn für ein Fußballspiel gestern Abend??? Den 2. Juli 2016 werde ich wohl so schnell nicht vergessen.
Seit buchstäblich 50 (in Worten: fünfzig!) Jahren, seit der WM 1966, bin ich vor dem Fernseher, wenn es um Welt- oder Europameisterschaften im Fußball geht. Es ist inzwischen das fünfundzwanzigste derartige Turnier, das ich verfolge. Aber so einen Krimi – nein: Thriller – wie gestern Abend habe ich noch nie erlebt.
Dass unsere Jungs eigentlich fast immer in entscheidenden Spielen in die Verlängerung oder ins Elfmeterschießen müssen und speziell in letzteren meistens das bessere Ende der Wurst haben, ist ja nichts Neues. Nur so nervenzerfetzend wie gestern habe ich das wirklich noch nie empfunden. Seit dem Handelfmeter in der 77. Minute (so einen Blödsinn zu machen, habe ich Jerome Boateng wirklich nicht zugetraut!) war ich schon auf wenigstens 200 in Sachen Blutdruck, in der Verlängerung ging es immer deutlicher nach oben, aber beim Elfmeterschießen war ich dem Herzkasper so nahe wie noch nie in meinem Leben.
Elfmeterschießen, um eine Entscheidung herbeizuführen … Boah! Eine Serie würde nun reißen: Italiens Dauersiege in ernsthaften Spielen gegen die deutsche Elf – oder das deutsche Dauerglück im Elfmeterwürfeln … Und es werden 18 (achtzehn!) Elfmeter werden, bis es entschieden ist. Meine Nerven fühlten sich an wie mehradrige Seile einer Hängebrücke über einem Abgrund unter Spannung, von denen ein Strang nach dem anderen unter der Belastung reißt … Mit jedem verpatzten Elfer eine Ader …
Özil bauzt auf den Pfosten (wenn man bewusst versucht, das Ding zu treffen, klappt es garantiert nicht!) Müller versemmelt (der arme Kerl hat ja wirklich den Torfluch im Moment!), Schweinsteiger übt „Hoheluft umsteigen“ (Hoheluft ist ein Hamburger Stadtteil mit fast gleichnamigem U-Bahnhof) und kegelt das Leder in die Tifosi hinter dem Tor. Kroos, Draxler, Hummels, Kimmich, und „Nachbar“ Boateng treffen.
Bei den Italienern versucht Bonucci zum zweiten Mal sein Glück, aber Neuer lässt sich nicht nochmals veräppeln, hält (wow, da rumpelten mir einige Felsen vom Herzen), Zaza – extra fürs Elfmeterwürfeln eingewechselt – patzt. Uff! Pelle macht es auch nicht besser. Insigne, Barzagli, Giaccherini, Parolo und de Sciglio versenken den Ball.
Darmian versucht es – Neuer hält! Und dann kommt Hector, Jonas Hector … Die Hängebrücke meiner Nerven hängt inzwischen an einem einzigen, verdammt dünnen Faden, der sich auch schon langsam aufdreht. Jonas nimmt Maß, schießt, Buffon hat die richtige Ecke, der Ball flutscht unter ihm durch, zappelt in den Maschen. Und nicht nur Achilles brüllt: Hectoooooor! Hectoooooor! Hectoooooor!
Ehrlich, ich habe vor Freude und Erleichterung geweint. Dass ich es noch erleben darf, dass eine deutsche Fußballnationalmannschaft die Squadra Azzurra in einem „richtigen“ Spiel (also kein Freundschaftsspiel um die Goldene Tomate) besiegt – ich kann es kaum fassen! Jabbadabbaduuuh! Halbfinale!
Und wer kommt jetzt? Blau-weiß-rot auf alle Fälle. Frankreich oder Island. Die Franzosen dürfte es freuen, dass „Captain Turner“ Mats Hummels wegen der zweiten – unberechtigten – Gelben Karte nicht dabei ist. Bei der WM 2014 war er es, der das entscheidende Tor gegen Frankreich machte. Mich freut es weniger. Der Bengel ist der Grund, weshalb ich wohl in der kommenden Saison zum Bayern-Fan mutieren muss …
Donnerstag geht die Nervenprobe in eine neue Runde. Ich hoffe, dass meine innere Hängebrücke bis dahin repariert ist. Heute Nacht hat mich dieses Trümmerteil echt nicht schlafen lassen.
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